Gesellschaft für Palliativmedizin mit fragwürdigen Stellungnahmen
Gegen den § 217 im Strafgesetzbuch (StGB) zum Verbot der Förderung einer Selbsttötung hatten auch Palliativmediziner Verfassungsbeschwerden eingelegt. Doch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) diskreditierte diese als überflüssig und unterstützte damit die Beibehaltung des Gesetzes. Die beiden renommierten Palliativprofessoren R. Jox und G.D. Borasio haben eine besondere Stellungnahme der DGP und ihr Umgang damit jetzt als wissenschaftlich unlogisch und irreführend kritisiert.
Palliativärzte müssen Patient_innen im Stich lassen
Gegen das Gesetz hatten neben schwerkranken Patienten und Sterbehilfeorganisationen auch Mediziner_innen, darunter Palliativärzte wie Dr. Matthias Thöns und Dr. Benedikt Matenaer, Verfassungsbeschwerden eingelegt. Wie sie wegen der Kriminalisierung Patient_innen im Stich lassen müssen, darüber hatte 2017 der pv-Newsletter ausführlich berichtet: Als ein Problem stellte Thöns die bisher seinen Patient_innen zur Verfügung gestellte Notfallbox dar. Darin befinden sich Medikamente, die bei plötzlichem Ausbruch schweren Leidens in der Wohnung zur Verfügung stehen, bevor der Arzt eintreffen kann. Diese Mittel reichen in Dosierung und Kombinationsmöglichkeit allerdings auch aus, um dem bevorstehenden Tod zuvorzukommen. Es wird also laut § 217 StGB die strafbare Gelegenheit dazu verschafft.
Massive Einschränkungen durch den § 217 StGB bestätigte der Palliativarzt Benedikt Matenaer. Der renommierte Medizinrechtler und Rechtsanwalt Wolfgang Putz hat ihm geraten, im Zweifel auch schon vom Gespräch bezüglich eines Suizidwunsches abzusehen – solange das Gesetz Delikte bereits im Vorfeld bestraft. Matenaer betreut jedes Jahr ca. 500 Schwerstkranke. Er beschrieb den Fall eines vollständig gelähmten Schlaganfallpatienten, der nur noch seinen Kopf und die Finger der rechten Hand steuern sowie mit einem Strohhalm noch trinken kann. Der hatte weinend mitgeteilt, er “brauche eine Option”. Früher hätte er, so Matenaer, als Arzt dazu das Signal ausgesendet, “dass man über alles reden kann” – auch darüber, dass ein Patient sein Leiden nicht mehr ertragen kann und will.
DGP nimmt Kriminalisierung ihrer Mitglieder in Kauf
Doch in der Stellungnahme der DGP vom 14. März 2019 an das BVerfG fällt die Fachgesellschaft ihren Mitgliedern in den Rücken mit dem Votum: „Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) sieht durch die Einführung des § 217 StGB im Dezember 2015 keine negativen Auswirkungen auf die Palliativversorgung …“ Denn in der Begründung des Gesetzgebers würde es ja als erklärte Absicht der Regelung heißen, dass diese sich „nicht gegen die in der palliativmedizinisch und hospizlichen Versorgung beschäftigten Menschen und ihre Tätigkeit“ richte. Die DGP vertraut offenbar auf ihren durchaus positiven Sonderstatus bei der Politik. In diesem Sinne versichert sie den Karlsruher Richtern des Weiteren, die Regelung „erzwingt auch keine Einschränkung“ von als „gute klinische Praxis“ anerkannten Vorgehensweisen. Man könnte da heraushören, dass die von Dr. Thöns und Dr. Matenaer also nicht dazu gehören würden.
Diese beiden Beschwerde führenden Ärzte beanstanden, dass der umstrittene Paragraf oft eine Behandlung verhindere, die sich ausschließlich am Patientenwohl und -willen orientiert. Er verunsichere massiv darüber, wieweit palliativmedizinische Notfallmaßnahmen im ambulanten Bereich betroffen seien und ob auch die ärztliche Begleitung beim sogenannten Sterbefasten unter das Verbot der Förderung eines Suizids fällt. Zumindest für Strafrechtler ist dabei klar, dass der bewusste Verzicht auf Essen und Trinken zur absichtlichen Herbeiführung des Todes eindeutig als Suizid zu klassifizieren ist. Dieser Auffassung schließt sich Prof. Alfred Simon an, Leiter der Akademie für Ethik in der Medizin, der in seinem Beitrag dabei sorgfältigst auch alle Gegenargumente in Betracht gezogen hat.
Entscheidung über Gut und Böse als Selbsttäuschung
Stattdessen setzt sich die DGP – zwar windelweich- für offene Gespräche mit suizidwilligen Patient_innen ein, denen am Ende der ärztlich assistierte Suizid jedoch stets verwehrt bleiben soll. Vertreten wird ein sympathisch erscheinender weicher Paternalismus mit offenem Ohr für alle Nöte der optimal zu versorgenden Patient_innen, der aber auf seinem Anspruch besteht, strikt zwischen Gutem (Hospiz- und Palliativversorgung) und Bösem (Suizidhilfe) allein entscheiden zu können. Das Kippen in Heuchelei erinnert an kirchliche Positionen. Als moralisch saubere Alternative zum Suizid, so die DGP in der oben genannten Stellungnahme für das BVerfG, „bleibt schwerstkranken und leidenden Menschen die Möglichkeit, auf Essen und Trinken zu verzichten.“
Dazu hatte sich bereits 2018 der Palliativprofessor Ralf Jox wie folgt geäußert: Wie die auch sogenannte terminale Sedierung (als Ersatz für die verteufelte „aktive“ Sterbehilfe) würde die Sterbeform durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVET, sogenanntes Sterbefasten) von Ärzteorganisationen „oft als vorzugswürdige Alternative zu assistiertem Suizid“ dargestellt. Doch, so Jox weiter „…große Grauzonen und Überlappungen zwischen diesen Sterbeformen werfen die Frage auf, ob die Wertungsdifferenz … zuweilen eher einer Art Selbsttäuschung und Gewissensbeschwichtigung geschuldet ist.“
Sterbefasten soll kein Suizid sein
Eine weitere Stellungnahme der DGP hat diese Beurteilung weiter befeuert. Im dem von ihrem Vorstand verabschiedeten Grundsatzpapier zum „Sterbefasten“ steht fettgedruckt als Grundsatz „Freiwilliger Verzicht auf Essen und Trinken ist keine Form des Suizids“. In der Einleitung wird befürchtet, durch eine andere Einordnung von FVET würde der „Umgang der Palliativversorgung mit Selbsttötungsabsichten und -handlungen neu angefacht.“
Die Auswirkungen des Papiers sind durchaus zwiespältig zu bewerten, denn immerhin gibt es für die Praxis grünes Licht und enthält hilfreiche Anleitungen, wie das Sterbefasten (als Nicht-Suizid!) pflegerisch, medizinisch und spirituell im Hospizsinne zu begleiten ist. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch die damit verbundene Instrumentalisierung zugunsten der palliativ-hospizlichen Moralvorstellung. Zumindest hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesetzgeber gezeigt, dass sie sich selbst damit als vermeintlich ethisch „rein“ empfehlen kann. Dies mag sich nach dem Karlsruher Urteilsspruch jetzt am 26. Februar als Makulatur erweisen. Bestehen bleibt aber der Vorwurf, dass die DGP die Verunsicherungen ihrer circa 6.000 Mitglieder und ein „Wischiwaschi“ gern in Kauf nimmt, wenngleich sie sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft versteht, die doch an wertepluralistischem Austausch und inhaltlichen Klarstellungen interessiert sein müsste.
Dass dies nicht der Fall ist, beklagen die Medizinethiker und Palliativprofessoren Jox und Borasio aufgrund ihrer jüngst gemachten Erfahrungen mit Nichtveröffentlichung ihrer Repliken auf das o.g. Positionspapier. Dabei war es zuvor auch von der Arbeitsgemeinschaft Ethik der DGP, also den Sachverständigen der eigenen Fachgesellschaft, weitgehend kritisiert worden. Diesem Gremium gehören u.a. neben Prof. Simon auch Prof. Jox an – vor allem dessen dezidierte Gegenmeinung zur Kenntnis zu bringen ist aber von den ärztlichen Standesorganisationen unerwünscht und wurde abgelehnt. Der Humanistische Verband hat ihm zusammen mit seinem Kollegen und Mitstreiter Prof. Gian D. Borasio dafür hier einen Raum eröffnet. Denn beider Credo lautet: „Der ethische Diskurs zu diesen Fragen sollte in ideologiefreier Offenheit und verantwortungsbewusster Ernsthaftigkeit geführt werden.“