Palliativgarten – Modell für selbstbestimmtes Lebensende
In Herne wird es nun erstmalig ein Angebot für Menschen geben, die mit ihrem Wunsch zu sterben allzu oft im Stich gelassen werden: Neben klassischer Palliativbegleitung und fachkundiger Beratung etwa zum „körpereigenen Leidlinderungsprogramm“ durch Endorphine ist auch eine Freitodhilfe nicht länger ausgeschlossen. Unterstützer ist der Arzt, Autor und Fachbuchherausgeber Matthias Thöns.
Das Projekt Palliativgarten möchte betroffenen Menschen und Familien individuell zur Seite stehen und ihnen in allen Belangen rund um das Thema Palliativversorgung, Begleitung und Lebensende bestmögliche Sicherheit geben. Umfragen zeigen, dass bis zu 90% der Menschen insbesondere Angst haben vor einer schlimmen letzten Lebensphase, vor Schwerstpflegebedürftigkeit oder vereinsamtem Leiden am Lebensende. Solche Ängste verderben vielen Menschen das eigentlich erfüllende letzte Lebensdrittel. Das Projekt Palliativgaren möchte ihnen diese nehmen.
Dazu findet der Gründer, der Palliativpfleger Benjamin Vogel, offene Worte: „Wirklich Schlimmes – also leidvolles Sterben – ist in guter Versorgung eine Rarität“, erläutert er. „Dies passiert eher bei umfangreicher Apparatemedizin. Leider oft unter unzureichender Berücksichtigung vom Patientenwillen oder Therapieziel.“ Experten sehen demgegenüber den Anteil an Übertherapie am Lebensende in der Intensivmedizin bei 50%, mittlerweile sei in Deutschland die größte Gruppe beatmeter Patienten die Gruppe 80+. Nur eine Minderheit von ihnen überlebe das, oft nach Wochen – oder gar einigen Monaten – leidvoller Apparatemedizin.
Vorsorgeplanung für „Leidlinderungsprogramm“ und gegen Intensivmedizin
„Genau vor so einem Lebensende haben sehr viele Menschen berechtigt Angst“ ergänzt Palliativarzt Dr. Matthias Thöns, der das Projekt unterstützt. Er ist Buchautor („Patient ohne Verfügung“) und jetzt auch Herausgeber des Fachbuches Assistierter Suizid im Kohlhammer-Verlag, das im 1.Quartal 2025 erscheint. In diesem Sammelband wird die seit vielen Jahren in Deutschland geführte Debatte um die Suizidhilfe aus der Sicht von praktisch Tätigen in den Bereichen Palliativmedizin, Psychiatrie, Pflege, Ethik, Polizei, Psychologie, Recht und der Sterbehilfeorganisationen allgemeinverständlich nachgezeichnet.
Mittlerweile stirbt jeder zweite im Krankenhaus an Apparaten. Hier helfe die frühzeitige Vorsorgeplanung mit der Verfassung einer Patientenverfügung (was man möchte und was nicht) und einer Vorsorgevollmacht (wer als Vertrauensperson legitimiert ist). In jedem Fall sei es hilfreich, sich im Falle „großer Medizin“ eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung einzuholen, so Thöns.
Ohne Intensivmedizin läuft in aller Regel das „körpereigene Leidlinderungsprogramm“: Durch den fehlenden Hunger und Durst werden Endorphine („körpereigenes Morphium“) ausgeschüttet, dies sorgt für zunehmende Müdigkeit, letztlich tiefen Schlaf und ruhiges Einschlafen. Wenn es doch mal anders kommt, lassen sich viele Beschwerden gut lindern. Es braucht in der Regel nur eine enge Betreuung durch das Palliativnetz vor Ort. Bei sehr schweren Beschwerden darf ein Palliativarzt zur Leidenslinderung eine Narkose einleiten (sog. palliative Sedierung), das wird allerdings sehr unterschiedlich gehandhabt.
Freitodhilfe bei unabwendbarer Sorge vor Würdeverlust
Es gibt aber Beschwerden und Zustände, erläutert Thöns weiter, die lassen sich wenig verändern, wie etwa die zunehmende Schwäche, die Hilflosigkeit, das Angewiesensein auf Pflege und Familie, eine Harn- und Stuhlschwäche. Und gerade hier sagen einige Menschen, davor habe ich große Angst, das will ich nicht erleben, das ist für mich würdelos, dann möchte ich eher sterben.
Eine leidfreie Methode zu sterben, ist die Freitodhilfe, bei der man nach dem eigenhändigen Starten einer tödlichen Narkoseinfusion sehr rasch friedlich einschläft. Hierbei die Hilfe eines Arztes anzunehmen, ist laut eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts ein „Grundrecht“, es ist also völlig legal. Es müssen allerdings von den Ärzt:innen vier Voraussetzungen der Freiverantwortlichkeit vorher eingehend geprüft werden und es sollte eine Bedenkzeit von 14 Tagen eingehalten werden.
Da dieses Recht aktuell an vielen Orten nicht umgesetzt werden kann, sei mit dem Palliativgarten ein Ort geschaffen worden, wo Menschen begleitet werden können – auch durch völlig leidfreie Freitodhilfe, räumt Vogel ein. Menschen, die das Unausweichliche anzunehmen vermögen, können durch gute palliative Einstellung beschwerdefrei oder zumindest leidarm ihre allerletzte Lebensphase verbringen. Dafür arbeiten Benjamin Vogel und Dr. Matthias Thöns mit Leidenschaft.
Kontakt: Benjamin Vogel, Palliativberatung Basis e.V./ Palliativgarten Herne, Nordstraße 138, 44828 Herne, palliativberatung-basis@gmx.de, Tel. 0162 40700224
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Beitragsbild: © Dr. Mathias Thöns