Start für Standard-PV 2017 – “der korrekt verfügte” Patient
Die online auszufüllende Standard-Patientenverfügung 2017 ist heute an den Start gegangen
Zum Vortrag „Patient ohne Verfügung – das Geschäft mit dem Sterben“ des Buchautors und Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns kamen am 24. Januar gut 450 Zuhörer/innen in die Berliner Urania. Eingeladen hatte neben dem hpd (dort Veranstaltungsbericht) die Zentralstelle Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes. Sie bot dort ihre aktuell überarbeiteten Bögen für eine Standard-Patientenverfügung (Stand 2017) – zu der es jetzt seit 1. Februar auch die überarbeitete Möglichkeit zum online-Ausfüllen gibt – sowie die Mappen für das noch differenziertere Fragebogen-Modell einer Optimalen Patientenverfügung an.
In der Veranstaltung kam erneut die enorme Verunsicherung zum Ausdruck, mit welcher Patientenverfügung man denn nun verlässlich dem Geschäft mit dem Sterben bzw. einer Übertherapie am Lebensende entgehen kann. Es traten etliche Missverständnisse zutage. So kam überraschender Weise auf gezielte Nachfrage zur Sprache, dass die im Buch von Matthias Thöns abgedruckte Vorlage seine eigene, persönliche Patientenverfügung ist – und keinesfalls sinnvoll etwa für schwerkranke oder für ältere Patienten. Im Konfliktfall einklagbar sind aber nur Patientenverfügungen, wenn sie dem Willen und den Wünschen des jeweils Betroffenen gemäß seiner Situation entsprechen.
Verunsichertes Publikum – Antworten auf viele Fragen
Stark kritisiert wurde von vielen Diskutant_innen im Publikum der BGH-Beschluss zum Qualitätsanspruch an eine wirksame Patientenverfügung vom Sommer letzten Jahres. Immer wieder wird gefragt, ob denn ein Besuch beim Notar mehr Rechtssicherheit bringe – die Antwort lautet eindeutig: Nein, denn Juristen haben in aller Regel nicht die notwendige medizinische Expertise, sondern schreiben nur vorformulierte Versatzstücke auf. Sog. wasserdichte Rechtssicherheit werde bei Patientenverfügungen aber allein durch konkrete medizinische Aussagen gewährleistet.
Der Verzweiflung nahe klagt ein Herr, er könne doch unmöglich alle erdenklichen Erkrankungen und medizinischen Maßnahmen auflisten. Thöns macht deutlich, dass dies auch nicht verlangt würde – es reichten im Prinzip die Situationsbeschreibungen und medizinischen Festlegungen in einer Standard-Patientenverfügung. Allerdings würden in allen ihm bekannten Modellen – die des Humanistischen Verbandes ist da eine Ausnahme – außer Antibiotika keine weiteren Medikamente genannt, die unterlassen werden können bzw. sollten.
Es wurde auch gefragt, ob denn ein Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen auch situationsunabhängig, d.h. absolut möglich sei. Antwort: Das ist in einer Standard-Patientenverfügung nicht möglich – dazu bedarf es einer individuell selbst erstellten oder einer sog. Optimalen Patientenverfügung, in der alle Behandlungsverbote verbindlich (auch absolut ab sofort) verfügt werden können. Dort müssen dann allerdings unbedingt die zu unterlassenden Maßnahmen (v.a. auch künstliche Ernährung und operative Eingriffe) aufgeführt werden. Die bloße Anweisung: Unter allen Umständen „keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr“ ist unzureichend – darauf eben hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Sommer 2016 hingewiesen.
Was macht die Standard-Patientenverfügung Stand 2017 aus?
Sie zeichnet sich v. a. durch noch bessere Benutzerfreundlichkeit aus, verbunden mit einer aktualisierten Ausfüllhilfe. Dort wird zu Teil B (medizinischen Festlegungen) in Punkt 5 besonders sorgfältig die mögliche Unterlassung von Antibiotika und sonstigen Medikamenten behandelt, die sowohl lindernd als auch lebensverlängernd wirken können.
In der neuen Ausfüllhilfe heißt es zur Gabe von Medikamenten am Lebensende:
„Bei Punkt 5 geht es um eine palliativmedizinische Gratwanderung: Einerseits sind Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung besonders anfällig für Infekte, die zu lindern wären. Doch haben auch Antibiotika unerwünschte Nebenwirkungen wie Durchfall oder Übelkeit. Zudem tragen sie zu einer Sterbe- bzw. Lebensverlängerung bei. Antibiotika werden – ebenso wie Herz- und Kreislaufmittel – zumindest in der „Endphase“ eher nicht mehr (weiter) eingesetzt und stattdessen Morphin verabreicht.
Es können von Ihnen eine Option oder zwei von insgesamt drei Optionen gewählt werden, aber nicht alle. Das ist hier ganz leicht handhabbar, da die online-Programmierung keine andere Wahlmöglichkeit erlaubt. Insgesamt sind dann im – von uns angefertigten – Patientenverfügung-Dokument 6 verschiedenen Textaussagen möglich (damit ist der höchste Differenzierungsgrad in diesem Modell gegeben).“
Zudem ist in der Ausfüllhilfe präzisiert, dass sich dieses Standardmodell nicht etwa nur auf ein unumkehrbares Koma bezieht. Vielmehr erlauben im Teil A ein ankreuzbarer Unterpunkt und in Teil C eine Erweiterung die Möglichkeit, auch für sonstige plötzlich eintretende schwere Gehirnschäden vorzusorgen.
Für die komplizierte Neuprogrammierung wurde laut Aussage der Zentralstelle Patientenverfügung ein unterer vierstelliger Eurobetrag investiert. Das Gebührenniveau (regulär nur 36 Euro inklusive Vollmachten) kann aber gehalten werden. Ein Grund ist die stets steigende Anzahl der Nutzer_innen auf hohem Niveau – von denen viele ihre Patientenverfügung anschließend auch in der Zentralstelle noch hinterlegen.
Was ist mit bestehenden Patientenverfügungen?
Für die Inhaber_innen bisheriger Patientenverfügungen der Zentralstelle Patientenverfügung ändere sich nichts, so eine Sprecherin. Die Wahlmöglichkeiten zur Medikamentengabe am Lebensende sind auch in allen Vorläufer-Varianten der Standard-Patientenverfügung schon vorhanden gewesen, nur eine neue Kombinationsmöglichkeit sei jetzt eingeführt worden. Die Optimalen Patientenverfügungen des Humanistischen Verbandes zeichnen sich eh – seit über 25 Jahren – immer schon durch einen so hohen Grad an Konkretheit, Abwägung und Individualität aus, dass hier die Anforderungen an Rechtsverbindlichkeit mehr als erfüllt sind.
Dies mag auch für viele Patientenverfügungen anderer Anbieter-Vereine, von Rechtsanwälten oder Notaren gelten. Die Zentralstelle Patientenverfügung habe damit aber teils sehr schlechte Erfahrungen gemacht, könne sie nicht länger auf Wunsch von Klient_innen einer Überprüfung unterziehen und prinzipiell nicht mehr zur Hinterlegung annehmen. Kosten für Zeitaufwand mit Rücksprachen für eine Überprüfung von Patientenverfügungen, die nicht von der Zentralstelle Patientenverfügung selbst erstellt worden sind, würden die Gebühren für die Neuausstellung einer Standard-Patientenverfügung bei Weitem überschreiten. Prinzipiell gelte der Hinweis zur allgemeinen Beruhigung: Nicht jede unzureichend formulierte Patientenverfügung sei später wirkungslos – auf besondere Konkretheit käme es vielmehr im Konfliktfall an, insbesondere bei Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten.