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Nur noch Missverständnisse? Dt. Ethikrat zur organisierten Suizidhilfe

30. Jan 2015

Prof. Christiane Woopen, Vorsitzende des Dt. Ethikrates, fühlt offenbar dessen Stellungnahme vom Dezember 2014 und sich in der Öffentlichkeit missverstanden. Eine Kriminalisierung sei gerade nicht angestrebt. So hatte auch der letzte Patientenverfügung-newsletter berichtet:

>> Die Welt titelt: Die Sterbehilfe-Debatte ist faktisch schon vorbei” es gehe allenfalls noch um Details. Hintergrund: Für eine entsprechende neue Kriminalisierung hat sich im Einklang mit der herrschenden Abgeordneten-Meinung im Bundestag nun auch der Deutsche Ethikrat ausgesprochen. Dieser ist das oberste ethische Beratergremium der Politik in dieser als heikel geltenden Frage, wobei zögerliche Abgeordnete diese Empfehlung wohl gern aufgreifen und befolgen werden.
Der 26-köpfige Ethikrat plädiert in seiner Stellungnahme kurz vor Weihnachten dafür, dass “Suizidhilfe sowie ausdrückliche Angebote dafür untersagt werden, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind, öffentlich erfolgen und damit den Anschein einer sozialen Normalität ihrer Praxis hervorrufen könnten”. <<

Doch nun rudert Woopen entweder wieder zurück und/oder versucht klarzustellen:
Die Formulierung der Stellungnahme des Ethikrates, dass bestimmte Angebote der Suizidhilfe untersagt werden” müssten, soll nicht als Plädoyer für eine Änderung des Strafrechts missverstanden werden. Plädiert würde vielmehr für die “Stärkung der Suizidprävention” dies hätte doch aus der Überschrift hervorgehen sollen. Woopen hat die Möglichkeit zu sehr ausführlichen Erläuterungen im Interview mit Matthias Kamann (Welt) ergriffen:

Christiane Woopen kritisiert nunmehr v.a. den Umgang mit der hohen Anzahl an Selbsttötungen in Deutschland an der auch der Ausbau der Palliativmedizin für terminal Kranke kaum etwas ändern würde: Nach meiner Wahrnehmung wird die Suizidprävention nicht in genügender Breite diskutiert. Das liegt daran, dass sich die Debatte an Sterbehilfevereinen entzündete und eine Verbotsdebatte war. Die wurde dann zu Recht damit verbunden, dass Sterbende mehr palliative Hilfe benötigen. Damit verengte sich der Blick auf Menschen mit schweren Krankheiten. Doch die sind nur ein Teil derer, die auf Sterbehilfevereine zugehen.”
Denn, so Woopen weiter, etliche Anfragende bei Suizidhilfevereinen beschäftigt keine tödliche Krankheit, sondern etwas, das auch viele andere Menschen bewegt: Sie sehen keine Lebensperspektive mehr für sich. Darum geht es dem Ethikrat: Rund 100.000 Menschen unternehmen in Deutschland jährlich Suizidversuche, an denen etwa 10.000 sterben. Das sind viel zu viele.” Richtig sei, dass davon zwar nur einige Hundert aufs Konto von Sterbehelfern gingen das zeige die große Dimension des Themas, doch dabei gelangt man auch zu den Vereinen. Es darf nicht dazu kommen, dass die Selbsttötung in Deutschland nach und nach etwa für alte Menschen oder für Menschen mit Angst vor ihrer Zukunft normal wird. Stattdessen müssen wir die Nöte all jener Menschen sehr ernst nehmen und darauf mit besserer Suizidprävention reagieren.”
Wenn auch keine Neukriminalisierung angestrebt werden soll, bleibt die Ethikratsvorsitzende dabei: Suizidhilfe darf kein normales Angebot sein bzw. werden so dürften sich auch Verbotsanhänger sich weiterhin von ihr bestätigt sehen.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article136755771/Suizidhilfe-darf-kein-ganz-normales-Angebot-sein.htm

Jedenfalls wird im Bundestag ein gesetzliches Verbot favorisiert, dass diese bisher legale Hilfe strafbar macht, sofern sie wiederholt (!) auch von Ärzten angeboten wird. Mit Gesetzentwürfen wird im Frühjahr gerechnet. Zur Versachlichung der Debatte sollte beitragen, dass die Praxis von Suizidhilfegesellschaften so objektiv wie möglich auf den Prüfstand kommt. Das Interesse daran ist groß, die folgende Veranstaltung zu Erfahrungen aus dem Ausland” (Schweiz und Niederlande) am 2. Februar ist bereits “restlos” ausgebucht. Diese wird im Rahmen des Bündnisses für Selbststimmung am Lebensende federführend von der  Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) verantwortet:
http://www.mein-ende-gehoert-mir.de/1365/lebenshilfe-durch-sterbehilfe-praktische-erfahrungen-aus-dem-ausland/

Eine weitere Veranstaltung zur Praxis von Sterbehilfegesellschaften für Deutsche Bürger/innen (SterbehilfeDeutschland e. V. und Dignitas, Standort Hannover) soll im Mai folgen. Dabei soll auch unter die Lupe genommen werden, ob und wie sich deren Sorgfaltskriterien und Haltungen etwa von organisierter” ärztlicher Suizidhilfe und /oder Suizidkonfliktberatung unterscheiden.

SterbehilfeDeutschland e. V. hatte am 21. Januar in den Räumen der Bundespressekonferenz ihren Jahresbericht 2014 vorgestellt. Für den Fall eines gesetzlichen Verbots seiner Tätigkeit – wenn auch nur die Aussicht auf Erfolg bestehe – werde es eine Verfassungsklage geben, sagte der Vereinsvorsitzende Roger Kusch in Berlin. Der frühere Hamburger Justizsenator ergänzte, er schätze die politische Situation so ein, dass der Bundestag in diesem Jahr ein Gesetz beschließen wird, “das unsere Arbeit erschwert”. Allerdings habe man schon vor Jahren mit einer Dependance in Zürich hinreichende Vorkehrungen getroffen.

Der Schatzmeister und stellv. Vorsitzende des Vereins, Torsten Benzin, sagte, der Verein wolle die derzeitige Rechtslage erhalten. Benzin veröffentlichte ein neues Buch, in dem unter anderem die aktuellen Aktivitäten des Vereins aufgeführt sind, dessen Mitgliedern beim Suizid geholfen wird. Laut eigener Statistik hatte SterbehilfeDeutschland Ende vorigen Jahres 613 Mitglieder, 283 Menschen wurden im vergangenen Jahr neu aufgenommen. 2014 half der Verein 44 Menschen beim Suizid, die alle im Buch Der Ausklang” (2015) kurz dokumentiert sind und Einblick in die Lebensrealität erlauben. Benzin unterstrich, dass es sich jeweils um ärztlich assistierten Suizid handelte. Über Honorare für die kooperierenden Ärzte sowie auch nur über deren ungefähre Zahl und die Form der Zusammenarbeit wollten sich die Vereinsvorsitzende  trotz gezielter Nachfragen von anwesenden Medienvertreter/innen nicht äußern. Dabei besteht offenbar insbesondere zu Palliativmedizinern ein auf Gegenseitigkeit beruhendes – Unverhältnis”. Doch sieht der Verein seinerseits keinen Bedarf zur Verbesserung und Kooperation. Wohl nicht zuletzt wegen dieser Abschottung” gab es auch recht kritische Presseberichte, siehe:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article136631380/Die-fragwuerdige-Sterbehilfe-Bilanz-des-Roger-Kusch.html

Besser erging es dem Gründer und Vorsitzenden von Dignitas (Schweiz und Deutschland), Ludwig A. Minelli, der in einem Gastartikel des Tagesspiegel seine Sicht der Dinge darlegen konnte. Minelli kritisiert: “Die Debatte in Deutschland über ein Gesetz zur Sterbehilfe zeichnet sich insbesondere im Bundestag durch das Vorherrschen von sinnwidrigen Schlagworten, weitestgehendem Mangel an Kenntnis der Fakten und bewusstem Ausblenden von wichtigen Bereichen aus.”
Minelli führt zehn eklatante Punkte auf, über die in Öffentlichkeit und Politik endlich sachgerecht und offen diskutiert werden muss.
http://www.tagesspiegel.de/politik/dignitas-gruender-zu-sterbehilfe-diese-zehn-eklatanten-maengel-hat-die-deutsche-debatte/11288908.html