Anklage gegen SterbehilfeDeutschland und die politischen Folgen
Ein Verbot bestimmter Formen der Suizidhilfe beschäftigt seit langem die Politik. Nach aktueller Rechtslage ist in Deutschland das Töten auf Verlangen verboten. Straffrei ist hingegen die Hilfe zum freiverantwortlichen Suizid etwa durch einen Arzt, Verwandten oder auch beliebig anderen. Ein neuer Straftatbestand gegen bestimmte Formen der bisher straffreien Suizidhilfe ist jedoch geplant.
In die laufende Debatte platzte am Montag die Nachricht: Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat den Vorsitzenden und einen Arzt des Vereins SterbehilfeDeutschland wegen eines schweren Vergehens angeklagt, auf das mindestens 5 Jahre Haft stehen. Dieser Fall wird die gesetzgeberische Debatte befeuern.
Auch oder gerade! – wenn es gar nicht zu einem Prozess oder gar einer Verurteilung kommt, wird die sogenannte Lebensschutzfraktion dies in ihrem Sinn zu nutzen wissen und deshalb willkommen heißen. Zwar hatten sich Union und SPD auf eine Neuregelung der Suizidhilfe verständigt, die eine mehr oder weniger rigorose Verschärfung vorsehen würde. Doch hatte das Gesetzgebungsverfahren nicht gerade Fahrt aufgenommen, sondern drohte sogar seitens der SPD ins Straucheln zu geraten.
Kommt die Anklage einigen gerade zur rechten Zeit?
- Eben erst war die mögliche Verabschiedung eines noch zu formulierenden Gesetzes auf Herbst 2015 verschoben worden.
- Eben hatte ein Expertenabend am 6. Mai bei der SPD Zweifel aufkommen lassen, ob und wie daran überhaupt etwas zu ändern sein soll. Wie die Welt erfuhr und berichtete, gab es bei so gut wie bei allen Teilnehmer/innen jenes Abends schwere Bedenken gegen die drakonischen Verbotspläne der Union. Die Zweifel bezogen sich darauf, ob das Strafrecht das richtige Mittel wäre, um eventuelle Auswüchse der gegenwärtigen Sterbehilfepraxis einzudämmen. Sogar der entschiedene Sterbehilfegegner Franz Müntefering zeigte sich diesbezüglich skeptisch: Das in ein Gesetz zu packen, nein, das sei keine humane Perspektive.
- Eben noch hatten auch die Leser/innen der FAZ die Stellungnahme von Ingrid Matthäus-Mayer, Koordinatorin des Humanistischen Bündnisses www.mein-ende-gehoert-mir.de in ihrem gleichnamigen Gastkommentar zur Kenntnis nehmen können.
Da kam die folgende Nachricht vielen von der “Lebensschutzfraktion” wohl gerade recht.
Staatsanwaltschaft erheben Anklage gegen Kusch und Dr. Spittler
Wie am Montag bekannt wurde, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Roger Kusch und einen psychiatrischen Gutachter des Vereins, den Arzt Dr. Johann-Friedrich Spittler, Anklage erhoben wegen gemeinschaftlichem Totschlag – in mittelbarer Täterschaft – an zwei Seniorinnen, die sich selbst getötet haben. Kusch und dem Neurologen wird vorgeworfen, sich Anfang 2012 entschlossen zu haben, einen Präzedenzfall in der Sterbehilfe in Bezug auf eine Begleitung bis über den Todeszeitpunkt hinaus zu schaffen, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte. Dieses galt zum damaligen Zeitpunkt nämlich noch als fraglich.
Seit 2008 ist Roger Kusch, ehemaliger Hamburger Justizsenator, Gründungsvorsitzender des Vereins StHD, der seinen Mitgliedern “das Recht auf Selbstbestimmung bis zum letzten Atemzug garantieren” will, wie es in der Satzung heißt. “Sterbewillige” sollen beim Suizid begleitet werden, allerdings nur wenn ihr “Sterbewille unumstößlich ist”, ein ärztliches Gutachten vorliegt und “die Einsichts- und Willensfähigkeit des Sterbewilligen ohne jede Einschränkung zu bejahen sind”. Und auch eine “Auseinandersetzung mit Alternativen” müsse stattgefunden haben.
Insgesamt 118 Menschen hat Kuschs Verein beim Suizid geholfen
Der Verein, der vielen Gegnern immer schon ein Dorn im Auge war und auf den das geplante gesetzliche Verbot besonders zielt, hat nach eigenen Angaben etwa 450 Mitglieder und seit Gründung bisher 118 mal Beihilfe zur Selbsttötung geleistet bisher völlig straffrei. Bei der Straffreiheit nach geltender Rechtslage ist entscheidend, dass die Tatherrschaft beim freiverantwortlichen Suizidenten selbst liegt. Nun soll sie laut Staatsanwaltschaft jedoch bei den beiden Angeschuldigten gelegen haben und soll die Entscheidung zum Sterben von den Betroffenen nicht wohlerwogen gewesen sein. Zudem habe es entgegen der Vereinssatzung keine Aufklärung über Alternativen gegeben.
Laut Anklage äußerten Frau M. (81) und Frau W. (85), die zusammenwohnten, nach ihrem Vereinsbeitritt im Juni 2012 gegenüber Kusch die Absicht zum Suizid. Darauf bescheinigte der Arzt Dr. Spittler ihnen gegen ein Entgelt von 2.000 Euro, dass sie die Sterbeentscheidung freiverantwortlich getroffen hätten. Laut seinem Gutachten waren die Seniorinnen geistig und körperlich rege und sozial gut eingebunden. Der Grund für ihren Wunsch sei ihre Angst vor dem Altern und dessen Folgen gewesen. Kusch und dem Gutachter kam es laut Anklage bei diesem Fall darauf an, in Hamburg eine justizielle Entscheidung über einen Fall der Hilfe zur begleiteten Selbsttötung zu erzwingen. Ihnen sei bewusst gewesen, dass die Seniorinnen den Schritt ohne Unterstützung der Angeschuldigten nicht durchgeführt hätten. Sie hätten die Frauen schriftlich erklären lassen, dass sie über einen möglichst sicheren Weg des Suizids beraten worden seien und keine Wiederbelebungsmaßnahmen wollten.
Paradoxien und juristische Konstrukte
Am 10. November nahmen die Frauen laut Anklage im Beisein des Arztes eine tödliche Medikamentendosis ein, die Kusch hatte beschaffen lassen. Noch kurz zuvor sollen sie mit der Entscheidung “gehadert” und geweint haben, worauf der Arzt aber nicht einging. Dass die Suizidbegleitung also trotzdem durchgezogen worden sei (wohlmöglich weil der Präzedenzfall langfristig geplant war), ist der schwerwiegendste Vorwurf. Wer das allerdings ausgesagt haben soll, wird aus der Anklageschrift nicht ersichtlich. Fest steht, dass Dr. Spittler nach dem Tod der Frauen selbst die Feuerwehr informierte. Ziel sei ja gewesen, die beabsichtigten strafrechtlichen Ermittlungen wegen Nicht-Hinderung eines Suizids zu erreichen. Denn zum damaligen Zeitpunkt war noch die paradoxe Vorstellung vorherrschend, man dürfe zwar Suizidhilfe leisten, müsse aber sofort den Ort des Geschehens verlassen, sobald eine Bewusstlosigkeit eingetreten wäre. Das ist seit der Entscheidung des Landgerichts Deggendorf vom Herbst 2013 aber praktisch vom Tisch. Danach kann einem Arzt nicht mehr vorgeworfen werden, einen noch lebendenden Suizidenten gegen dessen ausdrücklichen Willen nicht gerettet zu haben. Diese jüngere Rechtsprechung gab es aber 2012 noch nicht und sollte von den Angeklagten quasi erzwungen werden.
Doch es kam völlig anders. Nun wird der angebliche Übergang der Tatherrschaft plötzlich mit Hilfe eines anderen juristischen Konstruktes behauptet: Sie soll auf Kusch und Spittler übergegangen sein obwohl sich die beiden alten Frauen ja selbst getötet haben – weil diese nicht hinreichend über Alternativen zum Suizid (etwa über mögliche absolute Verweigerung lebensverlängernder Maßnahmen) aufgeklärt worden wären. Deshalb hätten sie sich nicht frei entscheiden können, sondern wären Werkzeuge ihrer eigenen Tötung durch Manipulation gewesen. Das hört sich fast noch bizarrer an als die in der Rechtsliteratur beschriebene Paradoxie bei eingetretener Bewusstlosigkeit eines Suizidenten.
Allerdings macht ein Punkt der bisher bekannt gewordenen Anklage-Argumentation wirklich nachdenklich, sollte etwas daran sein und nicht ausgeräumt werden können: Dass die beiden Seniorinnen sich am vorgesehenen Todestag betroffen und zweifelnd gezeigt hätten, Spittler sie aber in ihrem ursprünglichen Entschluss bestärkt und die Suizid-Vorbereitungen nicht abgebrochen hätte. Die Staatsanwaltschaft stützt sich dabei wohl hauptsächlich auf ein Schreiben von Spittler an Kusch, in dem er die Vorgänge in der Wohnung detailliert geschildert haben soll.
Reicht das allgemeine Medizinrecht zur juristischen Bewertung?
Wenngleich Verlauf und Ergebnis eines Prozesses sehr aufschlussreich für die Debatte zu einem neuen Suizidhilfe-Straftatbestand wären, ist nur allzu verständlich, dass die Angeschuldigten einen solchen wohl vermeiden wollen. Im Falle einer Verurteilung drohen 5 Jahre Gefängnis. Ob es überhaupt zu einem Gerichtsprozess kommt, ist aufgrund der dürftigen Ermittlungslage allerdings fraglich. Ob das Schwurgericht es dazu kommen lässt, wird sich erst im Herbst diesen Jahres entscheiden. Sofern dies jedoch der Fall ist, würde das Gericht einige wichtige Fragen zu prüfen und zu klären haben.
Offenbar wäre das bestehende Medizinrecht dazu hinreichend. Jedenfalls hat der Medizinrechtsanwalt Wolfgang Putz (Lehrbeauftragte an der Uni München) für die Redaktion von Patientenverfügung-newsletter dazu folgende allgemein-medizinrechtliche Ausführungen gemacht:
>> Jeder Arzt (und gleichermaßen Spittler und Kusch) schulden aus einem zugrundeliegenden Behandlungsvertrag das Angebot von Aufklärung. Lehnt der Patient die angebotene Aufklärung ab, entscheidet sich aber für oder gegen die Behandlung, ist sein Wille bindend, solange er frei von krankhafter Störung ist. Der Arzt schuldet im ersten Schritt das Angebot der Aufklärung und nicht die Aufklärung selbst.
Es ist sehr ernst zu nehmen, wenn die Hamburger Staatsanwaltschaft behauptet, die Suizid-Entscheidungen der beiden alten Frauen seien nicht ‘wohlerwogen’ gewesen. Sollten Spittler und Kusch nachweisen können, dass die beiden Damen keine solche Information/Aufklärung/Beratung wollten, dann schuldeten sie diese allerdings nicht. Dann könnte man die Freiverantwortlichkeit auch ohne diese Aufklärung bejahen. Gerade bei der Suizidaufklärung sollte man da aber sehr restriktiv sein (denn es geht ja nicht um die Alternative von Punktion oder Quarkwickel beim Gelenkserguss).
Lehnt jemand Aufklärung ab, dann muss man im Extremfall womöglich prüfen, ob er sich in etwa im Klaren ist, ob er weiß, was er nicht hören will. Das sollte der Arzt zu seinem Schutz bis zur Groteske betreiben, zumindest wenn gravierende Risiken drohen, wie etwa ein Versterben. Bei der Suizidhilfe ist aber das Versterben das Ziel, so dass man sich erst recht in gleicher Weise absichern muss. Wenn der Suizident für Kusch und Co schon zwingend freiverantwortlich sein muss (was unverzichtbar ist), dann ist er dennoch meist in einer psychisch schwierigen Situation und muss nicht wer weiß wie dumm sein, um Alternativen, andere Hilfsangebote und Beratungsmöglichkeiten gar nicht zu kennen. <<
Prozess fraglich Kusch präsentiert sich auf Pressekonferenz
Kusch und der für seinen Verein regelmäßig tätige Arzt Dr. Spittler äußerten sich am Dienstag bei einer spontan einberufenen Pressekonferenz zur Anklage der Hamburger Staatsanwaltschaft. Man sei davon betroffen und belastet, hieß es, sehe sich nach geltendem Recht aber auf der richtigen Seite der Vorwurf der Staatsanwaltschaft sei unhaltbar. RA Walter Wellinghausen, der den angeklagten Dr. Spittler vertritt, bezeichnete die Klageschrift als unsorgfältig vorbereitet.
Leidenden Menschen solle weiter geholfen werden. SterbeHilfeDeutschland würde, so Kusch ohne wenn und aber weiter betrieben wie bisher. Dabei demonstrierte er sogar eine technische Weiterentwicklung. Angesichts von ca. 40 sich drängenden Journalisten präsentierte Kusch eine Art Metallbügel. Dies sei eine neue Apparatur für Suizidwillige, die nicht mehr in der Lage seien, den Knopf des 2008 von ihm vorgestellten Injektionsautomaten zu drücken. Was einerseits in Deutschland auch allgemein für die ärztliche Suizidhilfe bei Gelähmten und Schluckunfähigen von Nutzen sein könnte, mag andererseits als Beleg für Kuschs Bedürfnis zur Selbstinszenierung erscheinen.
Welche Ängste und Beschwerden hatten die Frauen?
Nach Informationen der “Welt” litt laut Spittlers Gutachten eine der beiden Frauen unter Augenkrankheiten mit einer Einschränkung der Sehkraft, unter “Rückenschmerzen bei Bandscheibenvorfall und Wirbelgleiten” sowie unter gelegentlicher Harninkontinenz bei Blasenentzündungen. Bei der anderen Frau fanden sich bei Spittlers Begutachtung “Altersgebrechlichkeit”, eine nicht näher spezifizierte “Multimorbidität” sowie eine “nicht abgeklärte, fragliche Leukämie”. Die eine Seniorin soll im Jahresbericht von StHD als Fall Nummer 28 aufgeführt sein. Die Frau sei traurig gestimmt gewesen, heißt es im Gutachten von Spittler. “Früher dacht ich mal ans Altenheim, aber das will ich doch lieber nicht”, wird sie zitiert. Sie fürchtete sich offenbar vor einem langsamen und schmerzvollen Tod. “Zu StHD bin ich gekommen, um der Grausamkeit des Endes vorzubeugen.”
Das hört sich so an, als wenn man mit ihr über Möglichkeiten, einen befürchteten langsamen oder grausamen Tod zu vermeiden, sehr ausführlich und kontinuierlich hätte sprechen können (über Patienten- und Betreuungsverfügung / Schmerztherapie / Verzicht auf künstliche Ernährung u.a.). Dabei darf es sich natürlich bei der Suizidverhütung nicht um uneinlösbare Versprechen handeln – und gute Versorgung und Respekt ist in Pflegeheimen bekanntlich leider nicht an der Tagesordnung. Das klagt die Deutsche Stiftung Patientenschutz als vorrangig änderungsbedürftig ein. Dennoch sagte ihr Vorstand Eugen Brysch am Montag in Hamburg, hier seien zwei Menschen “Kuschs Geltungsdrang” zum Opfer gefallen. Wie Millionen andere Menschen in Deutschland hatten die beiden Frauen Angst vor Pflege, stellte er fest. Bisher habe die Gesundheitspolitik kein Konzept, Pflege so zu organisieren, dass sie dieser Angst mit konkreter Hilfe begegne.
Pflegeheimbewohner von stationärer Hospizversorgung ausgeschlossen
Seit längerem weist die Stiftung Patientenschutz auf die kaum bekannte Tatsache hin, dass sterbende Menschen in Pflegeheimen von der stationären Hospizversorgung ausgeschlossen werden. In ihrem Forderungskatalog aus 2013 heißt es:
Während die Sozialkassen für einen Platz im Hospiz bis zu 7500 Euro im Monat zur Verfügung stellen, liegt dieser Betrag für Pflegeheime bei maximal 1500 Euro. Damit wird deutlich, dass die stationären Hospize ihren 25.000 Bewohnern eine ganz andere Versorgung anbieten können, als es den deutschen Pflegeheimen für ihre 750.000 Pflegebedürftigen möglich ist. Ebenso ist praktisch ausgeschlossen, dass ein Pflegeheimbewohner in ein stationäres Hospiz wechselt. Das haben Kassen und Hospizbetreiber so entschieden. Es muss geklärt werden, warum Patienten in Pflegeheimen auch bei der Schmerzversorgung benachteiligt werden.
Dem ist absolut zuzustimmen. Demgegenüber ist der Zusammenhang mit einer anderen Forderung der Stiftung nicht einsehbar ist und zeigt ihre Zugehörigkeit zur “Lebensschutzfraktin”. Denn Brysch meint folgern zu können: Der Fall zeigt auch, wie dringend ein eigener Straftatbestand für das Verbot der organisierten Suizibeihilfe ist.
Auswahl der verwendeten Quellen für diesen Beitrag:
http://www.zeit.de/2014/21/hamburg-sterbehilfe-roger-kusch
http://www.taz.de/Kommentar-Anklage-wegen-Suizidhilfe/!138440/