Verschwiegene Seite der Organspende – BÄK-Empfehlungen – aktueller Ratgeber
INHALT
1.) Wahre Ursachen für ärztliches Fehlverhalten im Organspende-Skandal: Selbstüberschätzung und Privilegierung
2.) Bundesärztekammer gibt neue Empfehlungen zu Patientenverfügungen und Organspende-Erklärungen heraus aktueller kritischer Ratgeber für Vorsorgende
1. ) Wahre Ursachen für verspieltes Vertrauen
Zur Zeit läuft unter einem scheinbaren Modetitel Das trägt man heute: den Organspendeausweis” eine großformatigen Werbekampagne. Viele Prominente halten das – inzwischen auch von der Bundesärztekammer (s. u.) in Frage gestellte – blau-orangene Kärtchen dem Betrachter entgegen. Darunter der Moderator Markus Lanz, dem auf Poster und Anzeige die Aussage in den Mund gelegt wird: DAMIT IST ALLES GESAGT”.
So einfach ist das also “nach meinem Tod” – wie es auf dem Organspende-Ausweis in irreführender Weise heißt? Zeitgleich hat sich herausgestellt:
Zu den Skandalen in Göttingen, München, Regensburg und Leipzig kommt nun noch ein fünfter hinzu. Auch bei Lebertransplantationen am Uniklinikum in Münster hätten sich für die Jahre 2010 und 2011 eindeutige Anhaltspunkte für systematische Falschangaben” ergeben, sagte die Vorsitzende der zuständigen Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer, Anne-Gret Rinder, am Mittwoch in Berlin, wo ein Kontrollbericht der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Doch zeichne sich ab, dass diese Aspekte in den Griff zu bekommen sind.
“Lassen Sie diesen Organspende-Scheiß!”
Derweil geht der Prozess um Manipulationen an der Warteliste in Göttingen gegen einen Transplantationchirurgen weiter: Mitarbeiter belasten den angeklagten Chef vor Gericht, schildern das schlechte Arbeitsklima unter ihm, seinen überheblichen Kommunikationsstil und Äußerungen von ihm wie die in der Titelzeile genannte.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem früheren Leiter der Transplantationschirurgie vor, die Meldung falscher Daten veranlasst zu haben, um seinen Patienten bevorzugt zu einer Spenderleber zu verhelfen.
Zeugen schildern den Angeklagten als einen Mediziner, der Mitarbeiter von oben herab behandelte, sich Diskussionen verweigerte und keinen Wert auf Kommunikation legte. Quelle: http://www.aerztezeitung.de/lassen-Sie-diesen-Organspende-Scheiss.html
Doch zeichnet sich ab, dass es ihm nicht um Geld ging. Worum aber dann?
Eine bemerkenswerte Analyse steuert Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann unter dem Titel Tote Helden” bei. Hier Stichworte daraus:
Sehr gute Ausstattung der Transplantationszentren, hohes Ansehen der Ärzte in diesem Elitebereich” der modernen Medizin, Macht und Karrieremöglichkeiten, Geschichte durch Heldenmythen und Grenzüberschreitungen geprägt (erste Herztransplantation durch Christiaan Barnard), ökonomisch sehr attraktiv und erfolgreich, als Prototyp der Hightech-Medizin über Jahrzehnte hinweg bevorzugt, großes Ansehen und öffentliche Bewunderung, ethisch brisante Anreizstrukturen (materielle und immaterielle) bei mangelnder Operationskapazität und knappen Ressourcen.
Prof. Vollmann kommt zu dem Fazit:
Während des Aufstiegs der Transplantationsmedizin vollzog sich in weiten Teilen der Medizin ein ethischer Wandel. Das traditionelle paternalistische Arzt-Patient-Verhältnis und der mächtige Halbgott in Weiß” traten zugunsten größerer Patientenselbstbestimmung und Teilhabe an der Entscheidungsfindung in den Hintergrund. In der Transplantationschirurgie finden wir aber bis heute die alten professionsethischen Haltungen. Ein Patient, der auf ein Organ wartet, folgt” seinem Chirurgen, weil er von der oft lebensrettenden Transplantation abhängig ist.
Der Transplantationschirurg wiederum setzt sich mit hohem persönlichem und beruflichem Einsatz für das Überleben seines Patienten ein, bis hin zur Fälschung von Daten und zur Verletzung von Regeln, wie es Ärzten in den Transplantationsskandalen vorgeworfen wird. Selbstüberschätzung und Privilegierung durch das System haben offensichtlich zu Maßlosigkeit und zu einem Fehlverhalten geführt, welches den Erfolg des Gesamtsystems Transplantationsmedizin heute gefährdet. …
Wer aber trägt die ethische Verantwortung für die große Zahl an Transplantationszentren, die diesen fragwürdigen Wettbewerb um Organtransplantationen erst ermöglicht hat? Wegen der lukrativen Honorierung von Transplantationen durch die Krankenkassen lag es im betriebswirtschaftlichen Interesse der Krankenhausträger, transplantationsmedizinische Zentren zu gründen und vorzuhalten. …
… letztlich geht es um eine wirkmächtige Behandlungsmöglichkeit für Schwerkranke mittels der modernen Medizin, die durch solidarisches Handeln und eine demokratische Geberkultur erst möglich wird. Dass heute Bürger trotz der bekanntgewordenen Skandale und trotz der fragwürdigen ökonomischen Entwicklungen in unserem Gesundheitswesen weiterhin bereit sind, selbstlos Organe zu spenden, ist dabei vielleicht das größte Gut, aus dem die Gesellschaft schöpfen kann.”
Vollständig nachlesbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/organspende-tote-helden-12195736.html
2.) Bundesärztekammer gibt neue Empfehlungen zu Patientenverfügungen und Organspende-Erklärungen heraus
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat jetzt im August neue Empfehlungen zum Umgang mit Patientenverfügung und dabei auch mit Organspendeerklärungen herausgegeben. Darin macht die BÄK am Ende unmissverständlich klar, dass der bloße Verweis auf den Organspendeausweis in seiner klassischen Form unzulässig ist. Vielmehr soll die Bevölkerung … darüber aufgeklärt werden, dass es ratsam ist, den Wunsch nach Therapiebegrenzung mit der Bereitschaft zur Organspende abzustimmen.” In den Muster-Organspendeausweisen seien Formulierungen zu ergänzen und zu präzisieren”. Siehe: http://www.bundesaerztekammer.de/downloads/Empfehlungen_BAeK-ZEKO_Vorsorgevollmacht_Patientenverfuegung_19082013l.pdf
Die Präzisierungen in den Organspendeausweisen betreffen insbesondere die intensivmedizisch verlängerte Sterbephase nach diagnostizierter schwerer Gehirnschädigung und vor einer endgültigen Hirntodfeststellung. Welche der Öffentlichkeit verschwiegenen Probleme wiederum mit der Hirntod-Diagnostik verbunden sind, zeigt diese ARD-Beitrag von Silvia Matthies:
http://www.youtube.com/watch?v=dkcDtfLjqnQ
Neue Ratgeber-Broschüre berücksichtigt BÄK-Empfehlung und Warnhinweise
Eine aktuelle Ratgeberbroschüre Standard-Patientenverfügung und mehr” des Humanistischen Verbandes Deutschlands hat diese kritischen Hinweise und die BÄK-Empfehlung bereits berücksichtigt. Siehe hier S. 15 unten: http://www.patientenverfuegung.de/files/spv-aktuell-kompakt.pdf
Der sehr kompakte, nur 24 seitige Ratgeber mit aktuellen Vorlagen zur Standard-Patientenverfügung und mit Vollmachts-Formularen ist hier für 3 Euro zuzüglich Porto zu bestellen:
https://www.patientenverfuegung.de/material-per-post
Eine noch kritischere Bewertung nimmt der Arzt und Medizinethiker PD Dr. Meinolfus Strätling in einem Beitrag vor:
Es ist nach seiner Einschätzung “absehbar eher unwahrscheinlich, dass in nennenswerten Umfange Patienten bevorzugt zu Gunsten der Organspende entscheiden würden, wenn ihnen klar wird, dass die Patientenverfügung und die Organspende in den meisten Fällen der Praxis nicht miteinander vereinbar sind. Es ist medizinisch, rechtlich und ethisch auch vollkommen legitim und verständlich, dass die meisten von ihnen wahrscheinlich nicht akzeptieren werden, dass ihre Patientenverfügung wenn´s wirklich darauf ankommt” doch eher regelhaft ausgehebelt” und übergangen werden kann, ohne dass ihnen (oder auch ihren Angehörigen und Stellvertretern) dann noch irgendeine wirklich relevante Möglichkeit zur weiteren Einflussnahme verbleibt. …”
Vollständig nachzulesen unter: http://www.patientenverfuegung.de/info-datenbank/2013-5-5/die-verschwiegene-seite-stellungnahme-patientenverfuegung-und-organspende-vo