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Aktuell: Suizid und Suizidhilfe

10. Okt 2011

1. Leseprobe: Aus ärztlicher Sicht

2. Einladung zur Tagung am 2. November (kostenfrei)

3. Wer hilft uns beim Alterssuizid?

Leseprobe

Dr. Ralf J. Jox ist Facharzt für Neurologie und Palliativmedizin, arbeitet zurzeit als Akademischer Rat an der LMU München. Er hat zudem in Medizinethik den Doktorgrad (München und Basel) sowie den Mastergrad (London) erworben. In seinem eben erschienenen Buch Sterben lassen entwickelt Jox Kriterien ethisch vertretbare Entscheidungen: Zwei Drittel aller Menschen in den reichen Ländern stirbt nicht mehr unerwartet, sondern absehbar, unter ärztlicher Begleitung.

Dabei  ähnlich wie vor ihm bisher nur der Arzt und Buchautor Dr. Michael de Ridder (Wie wollen wir sterben?)  behandelt Jox das Thema Suizid und Suizidhilfe wohlwollend-neutral. Er plädiert unaufgeregt für empirische Befunde bei den Auswirkungen einer kontrollierten Suizidhilfe.

Leseprobe:

Wenn die Frage gestellt wird, ob Beihilfe zum Suizid ethisch gerechtfertigt sei, so antworten die meisten, man könne es im Einzelfall verstehen und auch für ethisch legitim halten, es sei aber im gesellschaftlichen Maßstab ethisch nicht zu rechtfertigen, diese Praxis zu erlauben oder sogar durch eine gesetzliche Regelung zu bestärken. Wieder andere, insbesondere Ärzte­funktionäre, vertreten oft die Position, dass es sowohl individuell als auch gesellschaftlich legitim sein möge, es aber nichtsdestotrotz dem ärztlichen Berufsethos widerspreche. Das Problem solcher Argumentationen, so sympathisch sie auch differenzieren wollen, ist die Inkonsistenz: Ethische Urteile haben grundsätzlich einen universalen Geltungsanspruch, das heißt, ist man der Ansicht, Suizidhilfe sei ethisch erlaubt, sagt man damit zugleich, sie sei überall in der Welt und zu allen Zeiten und für alle Menschen unter vergleichbaren Situationen erlaubt. Wie kann man widerspruchsfrei argu­mentieren, Suizidhilfe sei zwar in konkreten Fällen ethisch zu vertreten, nicht aber transparent in der gesellschaftlichen Praxis? Und wie kann man zugleich behaupten, eine solche Hilfe sei Angehörigen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen ethisch zuzugestehen, müsse aber Ärzten verboten bleiben? 

Unter der Überschrift Schiefe Ebene: Mehr Suizide? Schlechtere Palliativ­medizin? Sozialer Druck auf Benachteiligte? begegnet Jox dieser prophetischen These mit empirisch-statistischem Datenmaterial:

Diese These ist deshalb ernst zu nehmen, weil sie ein Menetekel unge­heuren Ausmaßes und enormer sozialer Relevanz an die Wand malt. Die Frage bleibt indes, ob die Prophezeiungen stimmen. Dafür gibt es bislang keine Bestätigung.  Sieht man sich die Suizidraten verschiedener Länder  an, so lässt sich keine Korrelation mit der jeweiligen Rechtslage oder Praxis hinsichtlich der ärztlichen Suizidhilfe erkennen. Die höchsten Suizidraten in Europa verzeichnen Litauen, Weißrussland, Russland, Ukraine und Ungarn   überwiegend Länder mit strengen Verboten der Suizidhilfe beziehungs­weise jeder Art von ‘Sterbehilfe’ 

Von großer Bedeutung ist auch die Frage, ob sich die Qualität und Entwick­lung der palliativ­medizinischen Versorgung einer Gesellschaft durch eine gesetzliche Regelung der Suizidhilfe verschlechtern würde. Dies wäre umso bedenklicher, als dann möglicherweise manche Patienten, denen palliativ­medizinisch geholfen und Lebenswille zurückgegeben werden könnte, Suizidhilfe erbäten und bekämen, das heißt, man befände sich tatsächlich auf einer schiefen Ebene. Aber auch hier stützen die empirischen Befunde die These nicht. Als die angesehene britische Denkfabrik ‘Economist Intelligence Unit’  letztes Jahr das weltweit erste Ranking zur palliativ-medizinischen Versorgung am Lebensende durchführte, landete Deutschland zwar auf dem respektablen achten Platz von 40, Belgien und die Niederlande dagegen belegten die Plätze fünf und sieben  beides Länder, in denen die Tötung auf Verlangen beziehungs­weise die ärztliche Suizidhilfe legalisiert sind. 

Der offiziellen Statistik der Gesundheitsbehörde in Oregon ist zu entnehmen, dass 93 Prozent der Patienten, die durch ärztliche Suizidhilfe starben, von einem ambulanten Hospiz- oder Palliativdienst betreut wurden. Das ist auch nicht verwunderlich, da es zu den gesetzlichen Vorgaben gehört, dass alle Patienten, die in Oregon um ärztliche Suizidhilfe bitten, über palliativ­medizinische Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt werden müssen. 

Aktuelle Situation in Deutschland

Im Kapitel Zur aktuellen Situation in Deutschland zeichnet Jox minutiös die Entwicklung der standesärztlichen Entwicklung bis zum Kieler Ärztetag im Sommer 2011 nach. Er erwähnt als Vorboten einer Wende u. a. einen ausführlichen Artikel des Juristen Lipp und des Medizinethikers Simon, beide als Mitglieder im ‘Ausschuss für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen’ der Bundesärztekammer beratend tätig. Mitten in diesem Beitrag käme, so Jox ein stilistischer Schnitt und danach würde einfach behauptet, dass die Suizidhilfe indessen nicht Aufgabe des Arztes sein könne.  In der Folge gab es eine aufgeregte Diskussion, wie diese neue Formulierung nun zu interpretieren sei. 

Auf Diskussionsveranstaltungen mit Ärzten wird aber immer wieder darauf hingewiesen, dass es persönlich bekannte Einzelfälle von verdeckter ärztlicher Suizidhilfe in Deutschland gebe, doch die Dunkelziffer ist kaum zu schätzen.

Die Fernsehhsendung ‘Report Mainz’ vom Südwestrundfunk strahlte im Juni 2011 einen Bericht aus, in dem der Urologe und bekennende Sterbehilfe-Verfechter Uwe Christian Arnold zugab, etwa 150 bis 200 Patienten zum Suizid verholfen zu haben. Der von Roger Kusch, dem ehemaligen Hamburger Justizsenator, gegründeten Verein ‘SterbeHilfeDeutschland’ veröffentlichte in einem Weißbuch, dass im Jahr 2010 in 21 Fällen Suizidhilfe mit ärztlicher Unterstützung geleistet wurde. 

Es könnte durchaus sein, dass durch eine gesetzliche Regelung mit strikten Sorgfaltskriterien und Kontrollmechanismen die Häufigkeit der Suizidhilfe in Deutschland insgesamt eher ab- als zunähme. Auch die Zahl von gewaltsamen, traumatisierenden Suizidformen könnte sich reduzieren  Gerade dort, wo die Suizidhilfe zwar prinzipiell erlaubt, aber nicht offen geregelt ist, gedeihen am besten jene geschäftsmäßigen Sterbehilfe-Organisationen 

Leider ist gerade die Debatte um den assistierten Suizid in Deutschland bisher stark polarisiert, polemisch und ideologisch verlaufen. Neben den Wissenschaftlern und den Praktikern im Gesundheitswesen sind hier insbesondere Politiker und Medienvertreter gefragt, das Thema  sensibel, sachlich und umfassend aufzugreifen und einer reifen gesellschaftlichen Entscheidung entgegenzuführen.

Quelle: Ralf J. Jox Sterben lassen. Über Entscheidungen am Ende des Lebens, siehe:

http://www.koerber-stiftung.de/edition-koerber-stiftung/programm/bildungwissenschaft/artikel-detailseite/buch/sterben-lassen.html

Einladung zum 2. November, Berlin

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) e. V. lädt anlässlich des 4. Internationalen Tags des Rechts auf ein würdiges Sterben zu einer Podiumsdiskussion am Mittwoch, 2. November 2011, 14 bis 16 Uhr, ins Kino Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30, 10178 Berlin. Zum Thema Wer hilft uns, Würde im Sterben zu wahren? Ärzte im Spagat zwischen Gewissensfreiheit und Berufsordnung diskutieren u. a.:

Ingrid Matthäus-Maier, ehem. Verwaltungsrichterin und MdB (SPD),
Schauspieler Michael Lesch,
Jurist Lutz Barth,
Medizinethiker Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann (Ruhr-Universität Bochum),
der niederländische Arzt Aycke Smook (Präsident Right to Die Europe)
und der evangelische Theologe und Medizinethiker Professor Dr. Hartmut Kreß (Universität Bonn).

Zu Beginn wird der Kurzfilm Der Wald so kalt von Anne Pütz gezeigt.
Im Anschluss, ab ca. 16:30 Uhr, verleiht die DGHS ihren diesjährigen Medienpreis, den Arthur-Koestler-Preis 2011.
Der Eintritt ist frei. Bei Interesse wird um Bestätigung der Teilnahme gebeten unter E-Mail: presse@dghs.de

Wer hilft uns beim Alterssuizid?

Ich will sterben dürfen unter diesem Titel veröffentlichte u. a. der Tagesspiegel am 11.09.2011 ein leidenschaftliches Plädoyer des Schriftstellers Martin Ahrends für die spätere Möglichkeit des Alterssuizids:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/ich-will-sterben-duerfen/4594144.html

Der Beitrag löste eine Welle positiver Leserzuschriften aus, die in der Zeitung veröffentlicht wurden. Online Kommentare finden sich hier unten auf dieser Seite:
http://www.tagesspiegel.de/kultur/ich-will-sterben-duerfen/4594144.html?p4594144=4

Der Tagesspiegel griff daraufhin das Anliegen der Leserbriefe am 01.10. noch einmal auf, verbunden mit einer Expertenantwort: von Elke Baezner (DGHS):
http://www.tagesspiegel.de/meinung/was-kann-ich-fuer-ein-wuerdiges-sterben-tun/4679206.html