Sachverständigengutachten zu Regelungsentwürfen zur Suizidhilfe
Priv. Doz. Dr. med. habil. Wulf M. Stratling
Facharzt für Anästhesiologie Consultant Anaesthesiologist
(Cardiff and Vale University Health Board)
Dozent für Anästhesiologie sowie für Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin/ Reader in Anaesthesiology and History, Theory and Ethics in Medicine
Universität zu Lübeck (Lübeck University, Germany)
Honorary Clinical Teacher
Academic Department of Anaesthetics and Intensive Care Medicine School of Medicine, Cardiff University, UK Great Britain
wulfstratling@ntlworld.com
Lübeck und Cardiff, den 29. Juli 2015
Betreff: Gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe / Sterbehilfe – Sachverständigengutachten zu den bisher vorliegenden Regelungsentwürfen
Detailliert fokussieren drei beiliegenden Stellungnahmen auf folgende (Teil-)Aspekte des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens:
Gutachten 1
Gutachten 1 vermittelt zunächst zu allen fünf derzeit vorliegenden Entschlussvorlagen eine allgemeine Übersicht, orientierende Rechtsfolgenabwägungen sowie sachverständige und politische Bewertungen. Im Ergebnis wird dabei gezeigt und begründet:
- Die beiden Gesetzentwürfe der Abgeordneten Sensburg / Dörflinger / Beyer et al. (Entwurf eines Gesetzes über die Strafbarkeit der Teilnahme an der Selbsttötung; BT-Drucksache 18/5376) sowie der Abgeordneten Hintze / Reimann / Lauterbach et al. (Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der ärztlich begleiteten Lebensbeendigung; BT-Drucksache 18/5374) sind als Grundlagen für eine weiter vertiefte sowie zielführende Diskussionen unbrauchbar.
- Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Brand / Griese / Vogler et al. (Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, BT-Drucksache 18/5373) perpetuiert unverdrossen Argumente und Regelungsvorschläge, deren Sachdienlichkeit und Stichhaltigkeit bereits vielfach untersucht und wissenschaftlich robust widerlegt worden sind. Im Sinne eines tatsächlich zielführenden Diskurses sind diese Vorschläge damit ebenfalls längst obsolet. Das politische Faktum, dass dieser Entwurf bisher dennoch – v.a. unter Politikern – bemerkenswert großen Zuspruch erhält, wird vor diesem Hintergrund kritisch untersucht: Dabei wird nachgewiesen, dass dieses Phänomen weit überwiegend zurückzuführen ist auf eine Mischung aus offensichtlich bewusster Desinformation und Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit einerseits und einer bisher nicht ausreichenden Auseinandersetzung vieler Entscheidungsträger mit der Komplexität der Thematik andererseits. Die Autoren belegen und begründen umfangreich, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass das von Brand / Griese / Vogler et al. propagierte, vollständige Verbot jeglicher „organisierten“ / „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe einer verfassungsrechtlichen Überprüfung realistischer weise überhaupt standhalten kann.
- Der Gesetzentwurf der Abgeordneten Künast / Sitte / Gehring et al. (Entwurf eines Gesetzes über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung, BT- Drucksache 18/5375) ist derzeit der einzige Entwurf, der sowohl den bisher bereits erreichten „Konsensrahmen“ abdeckt, als auch den objektiv notwendigen Regelungsgegenstand und –umfang umfasst. Damit erfüllt nur dieser alle objektivierbaren Grundkriterien, die zum Zwecke einer allgemeinen Rahmensetzung erforderlich wären. Allerdings sind auch bezüglich etlicher der von Künast/Sitte/Gehring vorgeschlagenen Ausführungsbestimmungen nachdrückliche Vorbehalte hinsichtlich ihrer Praktikabilität und (auch verfassungsrechtlichen) Verhältnismäßigkeit geltend zu machen. Dessen ungeachtet ist aus sachverständiger Sicht mit großer Eindeutigkeit festzustellen: Sofern der Gesetzgeber die Frage der Suizidhilfe überhaupt regeln will – oder kann, ist absehbar alleine eine „positiv-zulassende Regelung“ zielführend (und verfassungsrechtlich möglich); ausdrücklich auch unter Duldung einer kompetent und umsichtig „organisierten“ bzw. „geschäftsmäßigen“ Suizidhilfe. Sie allein erlaubt es, den wissenschaftlichen Erkenntnissen und Expertenvoten, den objektiven Regelungsbedürfnissen, dem verfassungsrechtlichen Rahmen und nicht zuletzt auch den Wünschen der breiten Mehrheit der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Mithin kommt – zumindest in letzter Konsequenz – überhaupt nur ein Vorschlag in die „allgemeine Richtung“ von Künast/Sitte/Gehring et al. für eine realitätsbezogene, ordnungspolitische Regelung der Suizidhilfe durch den Gesetzgeber in Betracht.
- Vor den genannten Hintergründen stellt schließlich der Antrag der Abgeordneten Keul / Sütterlin-Waack / Zypries et al. [Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe, BT-Drucksache 18/__(2015)], möglicherweise einen „kleinsten gemein-samen Nenner“ dar – oder auch einen “gesichtswahrenden Notausgang”, dessen materialrechtlichen Folgen dennoch der komplexen Gesamtlage inhaltlich angemessen blieben: Die breite Mehrheit der in Deutschland ausgewiesenen Experten ist sich einig, dass in der Frage der Sterbehilfe durch Suizidhilfe „an sich“ keine „Regelungslücke“ besteht. Daher stellt dieser Antrag derzeit wohl die „Präferenzlösung“ der meisten tatsächlich ausgewiesenen Experten dar: Besser keine gesetzliche Neu-Regelung, als eine schlechte, einen Rückschritt und eine langwierige und immer weiter eskalierende Kontroverse, deren letztlicher Ausgang (im Sinne einer pluralistisch-liberalen Duldung von Sterbehilfe) aber an sich i.W. bereits feststeht.
Gutachten 2
Sondergutachten zu Entwurf Künast/Sitte/Gehring über die Straffreiheit der Hilfe zur Selbsttötung (Konsensorientierte und insgesamt gelungene Rahmensetzung – in der Praxis ungeeignete Ausführungsbestimmungen).
Gutachten 2 diskutiert und erläutert detailliert die Stärken und Schwächen des derzeitigen Gesetzentwurfs der Abgeordneten Künast / Sitte / Gehring et al. (s.o.). Konkrete Verbesserungsvorschläge werden ebenfalls unterbreitet und begründet.
Der Grund für diese „Sonderbegutachtung“ ist, dass dieser Entwurf – trotz noch deutlicher Schwächen in Bezug auf z.T. wichtige Einzelfragen – der umfassendste, differenzierteste, am meisten konsensorientierte und damit ambitionierteste Vorschlag im Rahmen des nun begonnen Gesetzgebungsverfahrens darstellt: Jeglicher in positivem Sinne ziel- und konsensorientierte Diskurs im Rahmen der öffentlichen und der vertieften Debatte unter Experten sollte u.E. damit in erster Linie auf diesen Entwurf gerichtet sein.
Gutachten 3
Sondergutachten: Strafrechtliches Verbot der ärztlich assistierten, »organisierten«, oder »geschäftsmäßigen« Suizid-beihilfe bei schwersten Leidenszuständen? (zu Entwurf Brand / Griese / Vogler)
Gutachten 3 ist eine umfangreiche wissenschaftliche Übersichtsarbeit, die von den Autoren bereits im vergangenen Jahr erstellt und publiziert worden ist: Inhaltlich setzt sich diese kritisch mit den diversen, bisherigen „Vorlagen“ des aktuellen – und inhaltlich-argumentativ weitgehend unveränderten – Gesetzentwurfs der Abgeordneten Brand / Griese / Vogler et al. auseinander
Der Grund für diese abermalige „Sonderbegutachtung“ ist, dass dieser Entwurf – wie bereits ausgeführt – unverdrossen obsolete Argumente und Regelungsvorschläge perpetuiert, die ausnahmslos bereits vielfach untersucht und wissenschaftlich robust widerlegt worden sind. Die geradezu „erdrückende“ Fülle von Rationalen, empirischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Befunden aus den Bereichen der Medizin, der allgemeinen Human- und Sozialwissenschaften und der Ethik, die dieser Initiative entgegenstehen, werden daher hier nochmals zur Kenntnis gebracht.
Die Autoren sind zuversichtlich, mit diesen Stellungnahmen möglicherweise wichtige Beiträge zur Eingrenzung, Fokussierung und Versachlichung der aktuellen Debatte geleistet zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass auf dieser Grundlage wieder an einem tatsächlich zielführenden und angemessen differenzierten Diskurs zur Frage der Sterbehilfe durch Suizidhilfe in Deutschland angeknüpft werden kann.
Für etwaige Rückfragen stehen die Autoren gerne zur Verfügung.
Cardiff, UK und Lübeck, im Juli 2015
PD Dr. med. Meinolfus Strätling
Dr. med. Beate Sedemund-Adib