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Beitrag

Rechtswidrige Weiterführung einer Intensivbehandlung

13. Dez 2008

Berliner Staatsanwaltschaft: Intensivbehandlung gegen Patientenverfügung war Körperverletzung

Sachentscheidung Staatsanwaltschaft Berlin:

  • Intensivmedizinische Weiterbehandlung durch Charité-Oberarzt entgegen Patientenverfügung war vorsätzliche Körperverletzung
  • Mitschuld an Verbotsirrtum trifft Berufsordnung der Berliner Ärztekammer

Das Verhalten des Oberarztes Dr. K. ist als vorsätzliche Körperverletzung zu werten, weil er eine begonnene künstliche Beatmung und Ernährung entgegen einer Patientenverfügung nicht abgebrochen hat. Dies geht aus einer Sachentscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft hervor, die dem Humanistischen Verband Deutschlands vorliegt. Entscheidende Mitschuld trifft danach die Berliner Ärztekammer, die im § 16 ihrer Berufsordnung bis heute Patientenverfügungen in bestimmten Situationen für unbeachtlich erklärt. Anzeige erstattet hatte die Witwe des auf einer Intensivstation der Charité in Berlin-Mitte verstorbenen Günter Marquardt.

Der nierenkranke Patient hatte in einer Patientenverfügung festgelegt, dass Dialyse, Beatmung sowie künstliche Ernährung nicht länger erlaubt sind. Als sich sein Zustand nach einem Eingriff zunehmend verschlechterte und ihr Mann bewusstlos blieb, legte die bevollmächtigte Ehefrau Monika Marquardt die Patientenverfügung vor. Sie erwartete, dass man ihn nun friedlich sterben lassen würde.

Der verantwortliche Arzt Dr. K. weigerte sich jedoch, dem nachzukommen. Mir wurde das Wort `Euthanasie´ an den Kopf geworden und der Hinweis, `man sei hier doch nicht in Holland´, berichtet die Ehefrau. Es folgten jahrelange zermürbende zivilrechtliche Verfahren und Ermittlungen. …>>

Vollständige Meldung siehe: http://hpd.de/node/5888

Aus dem parallel gelaufenen Zivilrechtsprozess geht hervor, dass der bewusstlose und künstlich beatmete Patient Günter Marquardt sogar noch am Tag vor seinem Tod unter Protest seiner Ehefrau zwangsweise der Dialyse zugeführt wurde.

Das ausführliche Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin (vom September 2008) kann Patientenverfügung-Newsletter-Abonnenten per Fax zugänglich gemacht werden. Quelle der Berufsordnung der Berliner Ärztekammer mit dem in Frage stehenden § 16, Abs. 2:

http://www.aerztekammer-berlin.de/35_Recht/06_Gesetze_Verordnungen/331_BerufsO.pdf

Der Jurist und Publizist Lutz Barth berichtet auf seine Anfrage bei der Berliner Ärztekammer hin von folgender Reaktion: Die Kammer habe Einsicht gezeigt und zugesichert, den bereits älteren Passus einer Überprüfung zu unterziehen. Es handele sich leider um eine “unglückliche Formulierung”.

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Aus: Newsletter Patientenverfügung des Humanistischen Verbandes:

” … Aus dem parallel gelaufenen Zivilrechtsprozess geht hervor, dass der bewusstlose und künstlich beatmete Patient Günter Marquardt sogar noch am Tag vor seinem Tod unter Protest seiner Ehefrau zwangsweise der Dialyse zugeführt wurde. “

Das ausführliche Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin (vom September 2008) wird unter Angabe Ihrer Fax-Nr., wenn Sie Patientenverfügung-Newsletter-Abonnent sind, gern zugänglich gemacht. “

Die Anfrage ist zu richten an: mail@patientenverfuegung.de oder Tel:
030 61390411

 

§ 16 Beistand für den Sterbenden der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin rechtswidrig (!?)

Die Ärztekammer Berlin hat im Vergleich zu den anderen Ärztekammern in ihrer ärztlichen Berufsordnung einen Sonderweg” eingeschlagen, der spätestens mit einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Berlin v. 20.09.08 zu verlassen” ist. Ich darf hier insoweit auf die Pressemittelung des HVD v. 02.12.08 Nr. 5888 inhaltlich Bezug nehmen.

Während alle anderen Kammerbezirke überwiegend den grammatikalischen Wortlaut der Musterberufsordnung der BÄK über die Regelung des Beistandes für den Sterbenden übernommen haben, hat sich sie Kammer in Berlin offensichtlich dazu veranlasst gesehen, einen weiteren Passus über den Umgang mit einer Patientenverfügung mit in die Berufsordnung aufzunehmen, der nachstehend wie folgt im Originaltext wiedergegeben wird:

“§ 16 Beistand für den Sterbenden -Patientenverfügung (Patiententestament)

(1) Der Arzt darf – unter Vorrang des Willens des Patienten – auf lebensverlängernde Maßnahmen nur verzichten und sich auf die Linderung der Beschwerden beschränken, wenn ein Hinausschieben des unvermeidbaren Todes für die sterbende Person lediglich eine unzumutbare Verlängerung des Leidens bedeuten würde. Der Arzt darf das Leben des Sterbenden nicht aktiv verkürzen. Er darf weder sein eigenes noch das Interesse Dritter über das Wohl des Patienten stellen.

(2) Eine Patientenverfügung (Patiententestament) mit Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, die der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfasst hat, ist für den Arzt verbindlich, es sei denn, es sind konkrete Anzeichen erkennbar, dass der Wille des Patienten sich geändert haben könnte. Soweit möglich, soll der Arzt Erklärungen von Bezugspersonen berücksichtigen.

Unbeachtlich sind Verfügungen und Erklärungen, die
– dem Arzt ein rechtswidriges Verhalten zumuten oder
– den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verlangen, obwohl der Zustand des Patienten nach allgemeiner Erfahrung eine Besserung im Sinne eines umweltbezogenen Lebens, die Wiederkehr der zwischenmenschlichen Kommunikation und ein Wiedererstarken des Lebenswillen erwarten lässt.”

Hier wäre sicherlich der Ärztekammer Berlin anzuraten gewesen, den Absatz 2 vorbehaltlos zu streichen, da in ihm beachtliche und kaum hinzunehmende Rechtsirrtümer offen zutage treten. Die Einstellungsverfügung der StA Berlin dokumentiert in aller Deutlichkeit einen Verbotsirrtum” des Berliner Arztes, der allerdings nicht entschuldbar war. Gleichwohl sah sich die StA veranlasst, dass Ermittlungsverfahren einzustellen, weil einerseits die Schuld als gering anzusehen sei und andererseits kein öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung bestand.

Die StA Berlin hat bei ihrer Entscheidung allerdings dem beschuldigten Arzt zugute gehalten, dass die Ärztekammern es bisher unterlassen haben, die Ärzteschaft über die relevante und damit einschlägige Rechtslage aufzuklären. Besonders nachdenklich muss aber freilich stimmen, dass die StA Berlin völlig zu Recht darauf hinweist, dass etwa die ärztliche Berufsordnung in Berlin diverse Unklarheiten” für die Ärzte schafft. Dieser Hinweis der StA Berlin verdient vollen Respekt und es war insofern hohe Zeit, hierauf aufmerksam gemacht zu haben.

Es ist keine Frage: § 16 Abs.2 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin ist schlicht rechts- und verfassungswidrig, in dem er die Verfügungen und Erklärungen des Patienten für unbeachtlich” erklärt, wenn und soweit der Zustand des Patienten nach allgemeiner Erfahrung eines Besserung im Sinne eines umweltbezogenen Lebens, die Wiederkehr der zwischenmenschlichen Kommunikation und ein Wiedererstarken des Lebenswillen erwarten lässt.”

Die Ärztekammer Berlin ist dringend daran zu erinnern, dass einzig der Patient darüber entscheidet, ob er eine Behandlung wünscht oder diese entsprechend ablehnt. Die Ärztekammer Berlin kann und vor allem darf sich nicht über den Willen des Patienten hinwegsetzen und insofern ist es mehr als bedauerlich, dass mit einer ärztlichen Berufsordnung eklatante Rechtsirrtümer aufrechterhalten werden und die Berliner Ärzteschaft an sich” gehalten wären, sich an ihre Berufsordnung zu halten.

Was also bleibt?

Die Ärztekammer Berlin sollte schleunigst ihre ärztliche Berufsordnung abändern und ihre Kammermitglieder auf die aktuelle Rechtslage (die seit Jahrzehnten besteht!) hinweisen, um so einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Berliner Ärztinnen und Ärzte nicht mit dem Vorwurf eines nicht entschuldbaren Verbotsirrtums” konfrontiert werden. Ohne hier die Einstellungsverfügung der StA Berlin vom Ergebnis her bewerten zu wollen, erscheint mir doch die Begründung ein deutlicher Hinweis darauf zu sein, dass hier ganz konkret und aktuell ein Entscheidungs- und Handlungsbedarf angezeigt ist, zumal in der Zukunft wohl nicht damit gerechnet werden darf, dass rechtswidrige Körperverletzungen strafrechtlich nicht sanktioniert werden.

Lutz Barth, 05.12.08
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