Patientenverfügung Gesetz bis Mitte 2007? (Ministerin Zypries im Interview)
Ausschnitt aus Interview mit Brigitte Zypries (zu verschiedenen Gesetzesvorhaben) in der Berliner Zeitung vom 21.01.2006:
< Gilt das auch für die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung?
Zypries: Das wird etwas länger dauern, weil wir dazu sicher noch eine breite Debatte im Parlament führen werden. Ich hoffe aber, dass wir uns bis Mitte 2007 auf ein Gesetz einigen können.
Was sind für Sie die Kernpunkte?
Zypries: Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen muss in jeder Phase seines Lebens respektiert werden. Deshalb darf die Gültigkeit einer Patientenverfügung nicht für bestimmte Arten oder Stadien von Erkrankungen ausgeschlossen werden, etwa für Patienten im Wachkoma, das in der Regel nicht zum Tode führt. Dies hatten einige Abgeordnete gefordert. Das halte ich für falsch und verfassungsrechtlich für nicht vertretbar. Meine Position unterstützt auch der Nationale Ethikrat. Strittig war in der vergangenen Legislatur auch, ob nur schriftliche Verfügungen anerkannt werden oder auch mündliche.
Gibt es eine Annäherung?
Zypries: Ja, die ist sicher möglich. Wir halten es beispielsweise für sinnvoll, Patientenverfügungen schriftlich abzufassen. Dabei muss aber sichergestellt sein, dass auch der mündlich geäußerte Wille nicht unbeachtet bleibt und eine schriftliche Verfügung auch jederzeit mündlich geändert und widerrufen werden kann. Es darf ja nicht sein, dass ein Patient, der krankheitsbedingt nicht mehr schreiben kann, seinen Willen nicht mehr äußern oder ändern kann.
Wieso ist ein Gesetz nötig?
Zypries: Es ist das gute Recht eines Menschen festzulegen, ob und welche Behandlung er im Krankheitsfall haben möchte und zwar auch vorab für einen Zeitpunkt, in dem er nicht mehr entscheiden kann. Viele Menschen sind sehr verunsichert, ob ihr Wille wirklich beachtet wird. Diese Gewissheit soll ihnen das Gesetz geben
Der HVD wird dazu mit Kooperationspartnern u. a. aus dem Bereich der Wohlfahrtsverbände Ende Februar eine 26-seitige Broschüre “Standard-Patientenverfügung” herausgeben, die auch weitere Vorsorgeformulare wie Vollmachten, Notfallbogen u. ä. im DIN-A-4-Format enthält. Die Besonderheit ist die begleitend dazu angebotene Beratung durch medizinisch kompetente Fachkräfte und vor allem, dass jedem Vorsorgewillige anschließend auch eine passgenaue Patientenverfügung ausgehändigt werden kann. Dies ist mit Hilfe einer entsprechenden computergestützten Programmierung möglich, an der die “Stiftung menschenwürdiges sterben” mitgewirkt hat (bereits im Internet zu finden unter www.standard-patientenverfuegung.de) Im Hinterlegungsfall in der Zentralstelle für Patientenverfügungen ist zudem eine Aktualisierung alle 2 Jahre vorgesehen.
“Es ist nicht anzunehmen, dass in der vorgesehenen Patientenverfügungs-Regelung eine Beratung und Aktualisierung gesetzlich normiert wird”, ist sich Gita Neumann vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) sicher, “insofern tun wir mehr als gesetzlich vorgeschrieben sein wird. Aber ein Gesetz wird eh nur die Rahmenbedingungen festlegen können, die Interpretation und Befolgung des Patientenwillens in der konkreten Situation wird als praktische und ethische Herausforderung immer erhalten bleiben.”
Neumann will die neue Broschüre “Standard-Patientenverfügung” zu einer Veranstaltung “Patientenautonomie am Lebensende” präsentieren, die in Potsdam am 21.02. stattfindet. Eingeladen hat die Bundestagsabgeordneten Andrea Wicklein (SPD einen Beitrag leisten wird dort v. a. auch Bundesrichter a. D. Klaus Kutzer sowie weitere Vertreter/innen aus Ärzteschaft und von Vormundschaftsgerichten. Der Eintritt ist frei. Zeit: 21.02., 18:00 Uhr, Tagungshotel Voltaire, Friedrich-Ebert-Str. 88, hier: Tagungshotel Voltaire
Weitere Schwerpunktgebiete für die Initiative (Veranstaltungen zusammen mit Kooperationspartnern vor Ort) werden neben Berlin und Umgebung zunächst NRW sein (dort innerhalb der Ortsgruppen der AWO), Mecklenburg-Vorpommern sowie Süddeutschland. In Nürnberg wird vom 31.03.-02.04. ein Kongress der neu gegründeten Humanistischen Akademie Bayern stattfinden (genaue Daten folgen über unseren Newsletter), in Mecklenburg-Vorpommern ist mit Rückenwind durch die Landesregierung die Neugründung eines HVD-Landesverbandes geplant (mit Anlaufstellen in Schwerin, Greifswald und Rostock). Am 31. August beginnt dann in Prenzlau eine Reihe von Veranstaltungen in Brandenburg.
Als Referent/inn/en und Berater/innen kommen ausschließlich engagierte Personen in Betracht, die ehrenamtlich nur gegen Aufwandsentschädigung bzw. in einer gemeinnützigen Organisationen tätig sind, betont Neumann: “Denn wir bieten hier keine Basis für irgendwelche Sondereineinkünfte oder gar Geschäfte. In Frage kommen z. B. Mitarbeiterinnen von Hospizdiensten oder Beratungsstellen, Ärztinnen und Ärzte usw. Auch eine eventuelle staatliche Förderung oder durch Krankenkassen usw. lehnen wir ab, um in diesen sensiblen Fragen eines eventuellen Behandlungsverzichtes absolut neutral zu bleiben.”
Zwar sollen die Kooperationspartner im “Netzwerk Standard-Patientenverfügung” auch weiterhin ein eigenes, z. B. organisations- bzw. weltanschauungsspezifisches Musterformular oder Modell mit anbieten können. Voraussetzung für eine Mitwirkung ist allerdings, dass eine von Bundesministerin Zypries zurecht als verfassungsrechtlich unzulässig bezeichnete prinzipielle “Reichweitenbeschränkung” der Patientenverfügung abgelehnt wird.(Diese darf und soll vielmehr nur von dem Betroffenen in Anspruch genommen werden können, der dies für sich selbst so entscheidet). Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat das Standard-Modell zur Patientenverfügung auch im benachbarten Ausland z. B. meldete eine österreichische Klinik Interesse an einer Mitwirkung am Netzwerk an.
In Deutschland scheint die Forderung nach einer generellen Reichweitenbeschränkung auf einen tödlichen Krankheitsverlauf mit dem Ende der Enquêtekommission “Ethik und Recht der modernen Medizin” vom Tisch. Ein solches, dort von einigen Abgeordneten gefordertes Gesetz hätte die staatliche Einschränkung des Persönlichkeitsschutzes und des Rechtes auf Würde legitimiert wäre also das genaue Gegenteil zu einer gesetzlichen Verankerung der “Patientenautonomie am Lebensende” gewesen.
Quelle: Presseerklärung von Michael Kauch (FDP-Bundestagsabgeordneter) von 21.01.2006: Auch die FDP-Bundestagsfraktion bekräftigte ihre Forderung nach einer Neuregelung. Therapiewünsche und Therapiebegrenzungen durch Patientenverfügungen müssten in jeder Krankheitsphase anerkannt werden, erklärte der Fraktionssprecher für Palliativmedizin, Michael Kauch, am 21. Januar. Dies habe auch in Fällen wie Wachkoma, Demenz oder religiös motivierten Behandlungsbeschränkungen zu gelten. Auch bei nicht-einwilligungsfähigen Patienten seien Zwangsbehandlungen nicht akzeptabel.
Allerdings müsse geprüft werden, ob Patientenverfügungen hinreichend konkret formuliert seien und ob Anzeichen für Willensänderungen bestünden. Bei Demenz sei die Zurechenbarkeit zu prüfen. Auch sollten Patientenverfügungen nach dem Willen der FDP künftig schriftlich abgefasst werden.