Neuer BGH-Beschluss: Künstliche Ernährung durch Pflegeheim war rechtswidrig
Als PDF-Datei: BGH Beschluss vom 8. Juni 2005
Siehe auch: “Selbstbestimmung heißt die Botschaft”, Kommentar in: Ärztezeitung vom 22.07.2007
Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Fall des Komapatienten Peter K. gegen das Pflegeheim Alpenpark in Kiefersfelden vom 08. Juni 2005 XII ZR 177/03
Mit “Beklagte” wird hier das Pflegeheim bezeichnet, welches Peter K. entgegen seinem im Voraus (mündlich) erklärten Willens nicht sterben lassen wollte. Die amtlichen Leitsätze lauten (vollständig wiedergegeben):
BGB §§ 1004 Abs 1 Satz 2, 1896, 1901, 1904; ZPO § 91 a
a) Verlangt der Betreuer in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt, dass die künstliche Ernährung des betreuten einwilligungsunfähigen Patienten eingestellt wird, so kann das Pflegeheim diesem Verlangen jedenfalls nicht den Heimvertrag entgegensetzen. Auch die Gewissensfreiheit des Pflegepersonals rechtfertigt für sich genommen die Fortsetzung der künstliche Ernährung in einem solchen Fall nicht (im Anschluss an BGHZ 154, 205).
b) Hat sich der Rechtsstreit durch den Tod des Patienten erledigt, rechtfertigt der Umstand, dass die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn (“Hilfe zum Sterben”) bislang nicht hinreichend geklärt erscheinen, eine gegenseitige Kostenaufhebung nach § 91 a ZPO.
Einzelne Zitate aus der Begründung:
Zu a):
Die mit Hilfe einer Magensonde durchgeführte künstliche Ernährung ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der deshalb der Einwilligung des Patienten bedarf.
Eine gegen den erklärten Willen des Patienten durchgeführte künstliche Ernährung ist folglich eine rechtswidrige Handlung, deren Unterlassung der Patient analog § 1004 Abs 1 Satz 2 in Verbindung mit § 823 Abs 1 BGB verlangen kann.
Dies gilt auch dann, wenn die begehrte Unterlassung wie hier zum Tode des Patienten führen würde. Das Recht des Patienten zur Bestimmung über seinen Körper macht Zwangsbehandlungen, auch wenn sie lebenserhaltend wirken, unzulässig.
Der Betreuer hat dem Willen des Klägers Geltung zu verschaffen. Seine Anordnung, die weitere künstliche Ernährung des Klägers zu unterlassen, war deshalb gegenüber der Beklagten und ihrem Pflegepersonal bindend.
Der mit dem Kläger geschlossene Heimvertrag berechtigt die Beklagte nicht, die künstliche Ernährung des Klägers gegen seinen durch seinen Betreuer verbindlich geäußerten Willen fortzusetzen.
Eine einmal erteilte Einwilligung in einen Eingriff in die körperliche Integrität kann bis zu dessen Vornahme jederzeit widerrufen werden; ebenso kann der Fortsetzung einer Dauerbehandlung jederzeit widersprochen werden.
Ohne Belang ist auch, ob sich die Beklagte in den Heimvertrag zu einer auch die künstliche Ernährung des Klägers umfassenden Versorgung verpflichtet hatte. Denn eine solche Leistungspflicht begründete jedenfalls keine Rechtspflicht des Klägers, die von der Beklagten geschuldete Leistung anzunehmen; erst recht schuf sie keine Befugnis der Beklagten, die Annahme dieser Leistung gegen den Willen des Klägers zu erzwingen.
Der Beklagten stand gegenüber dem Unterlassungsbegehren des Klägers auch kein Verweigerungsrecht zu, dass sich aus den in Art. 1, 2 und 4 GG verbürgten Rechten der Beklagten oder ihrer Pflegekräfte ableiten ließe. Zwar sind die Pflegekräfte der Beklagten auch in ihrer beruflichen Tätigkeit Träger der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Das bedeutet jedoch nicht, dass damit auch ihre ethischen oder medizinischen Vorstellungen vom Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1 GG umfasst sind oder mit dem verlangten Unterlassen in diesen Schutzbereich eingegriffen würde.
Insbesondere fand das Selbstbestimmungsrecht der Pflegekräfte am entgegenstehenden Willen des Klägers bzw. des für ihn handelnden Betreuers also an den ” Rechten anderer ” (Art. 2 Abs. 1 GG) ihre Grenze. Die Frage, ob das Verlangen des Klägers die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) des Pflegepersonals berührte, kann letztlich dahinstehen.
Im Übrigen verleiht die Gewissensfreiheit dem Pflegepersonal aber kein Recht, sich durch aktives Handeln über das Selbstbestimmungsrecht des durch seinen Betreuer vertretenen Klägers hinwegzusetzen und seinerseits in dessen Recht auf körperliche Unversehrtheit einzugreifen.
zu b):
Die strafrechtlichen Grenzen einer Sterbehilfe im weiteren Sinn (” Hilfe zum Sterben “, vgl. im einzelnen BGHSt 40, 257), auf die das klägerische Verlangen zielt, erscheinen dem Senat bislang nicht hinreichend geklärt. Das vorliegende Verfahren bietet im Hinblick auf die hier allein zu treffende Kostenentscheidung keinen geeigneten Rahmen, die Frage nach diesen Grenzen abschließend zu beantworten.