Fortlaufende Meldungen zur ersten Bundestagsdebatte über PV am 10.03.
Quelle: zdf.heute online, 10.03. Abends:
"Erste Bundestagsdebatte über Selbstbestimmung in medizinischen Behandlungsfragen
Der Bundestag hat in einer ersten großen Debatte um die rechtliche Regelung für Patientenverfügungen gestritten. Dabei sprach sich am Donnerstag eine Mehrheit der Redner für eine zeitliche Begrenzung der Gültigkeit solcher Verfügungen aus und forderte die Schriftform. Zugleich mahnten Fachpolitiker von SPD, Union und Bündnisgrünen nachdrücklich mehr und bessere Angebote der Hospizarbeit und Schmerzmedizin an.
Rechtliche Regelungen zu Patientenverfügungen gab es bislang nicht. Das Parlament behandelte das Thema nach Vorlage des Zwischenberichts seiner Enquêtekommission "Ethik und Recht der modernen Medizin". An Bedeutung gewann die Debatte durch den andauernden Streit um einen Gesetzentwurf von Zypries, den die Ministerin angesichts andauernder Kritik mittlerweile nicht weiterverfolgen will.
Nun wollen Rechtspolitiker der SPD dieses Konzept leicht verändert umsetzen. Die meisten Vertreter der Enquêtekommission drängen dagegen auf zeitliche und sachliche Begrenzungen der Gültigkeit und umfassende Beratung. Daraufhin warf der FDP-Vertreter Michael Kauch seinen Mitstreitern "Hysterie" vor und sprach von "paternalistischen Hardlinern bei Rot-Grün".
Zypries: Verfassungsrechtliche Probleme
Zypries, die entgegen der Ankündigung ihrer Fraktion selber das Wort ergriff, warnte die Abgeordneten vor einer Regelung, die verfassungsrechtlich keinen Bestand haben werde. Nach ihrer Überzeugung ist eine Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen auf Krankheitsfälle, die erkennbar einen tödlichen Verlauf haben, nicht haltbar. Sie müssten in jedem Krankheitsstadium gelten. Im Kern umstritten ist, ob Patientenverfügungen auch gelten sollen, wenn eine Erkrankung noch nicht irreversibel tödlich ist. Darunter fallen auch Wachkomapatienten. Außerdem gehen die Meinungen darüber auseinander, ob Verfügungen nach Jahren erneuert oder bekräftigt werden müssen oder nicht. Unterschiedliche Meinungen gibt es auch darüber, ob bei unklarem Patientenwillen und der Einsetzung eines Betreuers immer ein Vormundschaftsgericht angerufen werden soll, bevor eine Patientenverfügung angewendet wird.
Der Vorsitzende der Enquêtekommission, Rene Röspel (SPD), mahnte, Verfügungen dürften nicht unabhängig vom Krankheitsverlauf gesehen werden. Ähnlich äußerten sich sein Stellvertreter Hubert Hüppe (CDU), und die die Fraktions-Obleute im Ausschuss Thomas Rachel (CDU), Christa Nickels (Bündnisgrüne) und Wolfgang Wodarg (SPD). Rachel kritisierte, die Debatte um Verfügungen nehme nur einen Teilaspekt der Situation am Lebensende in den Blick. Das reiche nicht. Nickels mahnte, Begriffe wie Selbstbestimmung und Autonomie suggerierten, dass das eigene Sterben mit der gleichen Mentalität wie Karriereplanung anzugehen sei. Patientenverfügungen würden von Befürwortern einer weit gefassten Regelung "zum Goldenen Kalb der Patientenautonomie" aufgeblasen und vergötzt.
FDP gegen "Zwangsbehandlung"
Der FDP-Obmann Kauch wandte sich gegen "Zwangsbehandlungen". Die Mehrheit der Enquêtekommission wolle Patienten gegen ihren erklärten Willen zumuten, weiter behandelt zu werden. Nur der einzelne Mensch könne jedoch für sich entscheiden, ob man Maßnahmen als Geschenk oder Qual empfinde. Nachdrücklich lobte er den ursprünglichen Zypries-Entwurf, dessen Rückzug einer "Bankrotterklärung" gleich komme. Kauch wörtlich: "Die Menschen erwarten eine Antwort. Das Parlament muss jetzt handeln."
Auch Irmingard Schewe-Gerigk (Bündnisgrüne) betonte den Autonomiegedanken. Es sei falsch verstandene Fürsorge, gegen den Willen des Patienten zu entscheiden und medizinische Versorgung fortzusetzen. Sie plädierte dafür, von einer gesetzlichen Regelung abzusehen, wenn die Vorgaben zu strikt würden. "Dann sollten wir alles so lassen, wie es ist."
Mehrere weitere Redner, darunter Ute Granold (CDU), Carola Reimann (SPD) und Marlies Volkmer (SPD), sprachen sich in Einzelpunkten gegen die Mehrheitsmeinung der Enquêtekommission aus."
Quelle: Hamburger Abendblatt vom 10.03.2005:Politiker wollen Sterbehilfe erleichtern
Berlin Politiker von SPD und FDP haben vor der für heute angesetzten Bundestagsdebatte über Patientenverfügungen gefordert, die Sterbehilfe zu erleichtern. Nach einem Pressebericht schlägt der Bundestagsabgeordnete Rolf Stöckel (SPD)vor, Schwerkranken nach Schweizer Vorbild einen ärztlich assistierten Suizid zu erlauben. "Ich nehme einfach zur Kenntnis, dass sehr viele schwer erkrankte Patienten aus Deutschland diese Regelung nutzen", sagte Stöckel. In der Schweiz wird ein tödliches Mittel in Gegenwart eines Arztes eingenommen. Der FDP-Obmann der Enquête-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", Michael Kauch, plädierte dafür, dem Schwerkranken das von einem Arzt verschriebene tödliche Medikament mit nach Hause zu geben, wie es im US-Bundesstaat Oregon praktiziert werde.
BERLIN. Zur morgigen Plenardebatte zur Patientenverfügung erklärt der Obmann der FDP in der Enquête-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin", Michael KAUCH:
Patientenverfügungen noch in diesem Jahr neu regeln
"Die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen müssen noch in diesem Jahr neu geregelt werden. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ist mit ihrem Gesetzentwurf an paternalistischen Hardlinern bei Rot-Grün gescheitert, die Fürsorge über Selbstbestimmung setzen. Deshalb muss jetzt das Parlament handeln. Die FDP hat als einzige Fraktion einen Antrag zur Patientenverfügung eingebracht. Auf dieser Grundlage werden wir uns nun aktiv daran beteiligen, einen Gruppen-Gesetzentwurf einzubringen. Die Liberalen plädieren dafür, Menschen am Lebensende und bei schwerer Krankheit mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen. Wer klare und anwendbare Verfügungen getroffen hat, soll nicht mit der Angst leben müssen, Behandlungen ertragen zu müssen, die er selbst als unwürdig oder zu belastend empfindet. Die FDP setzt sich daher dafür ein, dass Therapiewünsche, Therapiebegrenzung und Therapieabbruch in jeder Krankheitsphase verfügt werden können. Eine Reichweitenbegrenzung lehnen wir ab. Nur bei offenkundigen Willensänderungen oder bei fehlender personaler Zurechenbarkeit etwa bei schweren Formen der Demenz sollte von Patientenverfügungen abgewichen werden dürfen.
Weiter unter: Presseerklärung FDP
Auszug aus FAZ.net vom 09.03. mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries:
" Sie haben den Gesetzentwurf nun unter Druck des Parlaments zurückgezogen, das Verfahren liegt jetzt in der Hand der Regierungsfraktionen. Eine Niederlage?
Zypries: Nein. Ich habe den Gesetzentwurf nicht zurückgezogen, denn er war ja noch nicht einmal im Kabinett. Der Entwurf bleibt Grundlage für die weitere Debatte, er wird nun über die SPD-Fraktion in den Bundestag eingebracht. Offenbar waren einige Abgeordnete davon ausgegangen, dass Gesetzentwürfe der Bundesregierung im Parlament nicht mehr geändert werden könnten. Dabei hat noch kaum ein Gesetzentwurf den Bundestag so verlassen, wie er eingebracht wurde.
Wird es noch in dieser Legislaturperiode eine Gesetzesnovelle geben?
Zypries: Ich würde es begrüßen, wenn wir das schaffen würden. Wir hatten angestrebt, das Gesetz in diesem Jahr zu erlassen. Aber das hängt vom Parlament ab. Es gibt auch einige Abgeordnete, die an der geltenden Rechtslage nichts ändern wollen
Das ausführliche Interview unter: Zypries-Interview
Schriftform bei Patientenverfügung unbedingt notwendig CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt erneutes Einlenken ausdrücklich
Zu der Aussage der Bundesjustizministerin, die Schriftform der Patientenverfügung als notwendige Voraussetzung für deren Verbindlichkeit anzuerkennen, erklärt der Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Enquête-Kommission ‘Ethik und Recht der modernen Medizin’ Thomas Rachel MdB:
"Frau Zypries hat, nachdem sie bereits auf den von ihr vorgelegten Referentenentwurf verzichtet hat, nun auch eingeräumt, die Schriftform als notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung anzuerkennen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt dieses erneute Einlenken ausdrücklich "
Presseerklärung vom 09.03.
"Humanistischer Verband warnt vor Aushebelung des Patientenwillens durch Bundestagsabgeordnete" unter: PE-HVD