Enquête-Mehrheitsvotum: ethisch fürsorglich oder rechtswidrig und untauglich?
Das Mehrheitsvotum der Enquêtekommission “Ethik und Recht der modernen Medizin” zu Patientenverfügungen sollte ursprünglich bereits am 06.09. veröffentlicht werden im Folgenden juristische und ärztliche Stellungnahmen dazu. Nun ist der Gesamtbericht mit den umfangreichen Sondervoten erst am 24.09. vorgelegt worden. Er ist abzurufen unter: http://www.bundestag.de/medizin
Damit setzte sich ein vom CDU/CSU-Obmann in der Enquête, Thomas Rachel, und dem katholischen Moraltheologen Johannes Reiter, Universität Mainz, entworfener Vorschlag mit 15 zu acht Stimmen weitgehend durch.
Es ist vor allem die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Einschränkung der Reichweite und Gültigkeit von Patientenverfügungen, auf die Verbände und Fachleute nahezu einhellig mit Kopfschütteln reagieren: Untauglich, paternalistisch, praxisfremd, abenteuerlich so lauten die Urteile. Auch etliche Mitglieder der Kommission haben sich durch umfangreiche Sondervoten vom Mehrheitsbeschluss abgegrenzt. Insbesondere das von Kauch u. a. abgegebene Sondervotum schließt sich weitgehend den Ergebnissen zur Patientenverfügung an, die eine andere Kommission namens “Patientenautonomie am Lebensende, die vom Bundesjustizministerium eingesetzt war, im Juni diesen Jahres bereits veröffentlicht hatte.
Michael KAUCH, Obmann der FDP und Kommissionsmitglied, der ein Sondervotum abgab, kritisierte das Mehrheitsvotum als Basis dafür, dass Patienten “gegen ihren erklärten Willen Zwangsbehandlungen ausgeliefert” würden. Siehe dazu seine Presseerklärung bereits vom 30.06.2004 auf dieser Seite im Archiv direkt unter http://www.patientenverfuegung.de/pvnewsdb/admin/index.php?menue_do=change_action&uid=246″
Presseerklärung von Kauch vom 24.09., 12 Uhr unter: http://www.liberale.de/portal/?presse=1&id=39073
Anders sieht es der Sprecher der AG Ethik und Recht der modernen Medizin der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Wolfgang WODARG: ” Die Empfehlungen der Enquête-Kommission beruhen dabei auf der Auffassung, dass der Sinn einer Patientenverfügung nur darin bestehen kann, dem natürlichen Sterben seinen Lauf zu lassen, nicht aber darin, durch das bewusste Unterlassen von Heilung oder Versorgung den Tod willentlich herbeiführen zu lassen. Gerade wer die Patientenverfügung als ein wichtiges Mittel der Selbstbestimmung ernst nimmt, der darf nicht zulassen, sie zum Türöffner für eine implizite Form aktiver Sterbehilfe oder assistierten Suizids gemacht wird. Wir wollen auch in Zukunft nicht erleben, dass Menschen, denen beispielsweise Demenz droht, dazu gedrängt werden, mittels einer Patientenverfügung für ihr kostengünstiges und ‘sozialverträgliches Ableben’ zu sorgen.”
Und Kommissionsmitglied Dr. Michael WUNDER pflichtet Wodarg in der Frankfurter Rundschau vom 24.06. bei: ” Was wäre mit dem Demenzerkrankten, in dessen Verfügung steht, er wolle keine medizinische Behandlung mehr, wenn er einmal gefüttert werden müsse, der heute aber als Dementer, der gefüttert werden muss, ein zufriedenes Leben führt? Was wäre mit dem Schlaganfallpatienten, der gegen seine Patientenverfügung notfallmedizinisch versorgt wurde und heute wieder fit an allen Diskussionen teilnimmt? Beide wären bei einem schlichten Vollzug des einmal Verfügten zum Sklaven ihrer früheren Festlegungen als jüngere, gesunde Menschen geworden, als sie sich ein Leben mit Krankheit und Behinderung nicht vorstellen konnten.”
Aus Pressemitteilung von Wolfgang PUTZ Beate STELDINGER (Medizinrechtliche Kanzlei in München), München, 06.09.2004
Zum Votum der Enquête-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin des Deutschen Bundestages zur Verbindlichkeit von Patientenverfügungen
“Das Votum der Enquête-Kommission widerspricht den bewährten Grundsätzen des Arzt-Patientenverhältnisses, die die höchstrichterliche Rechtsprechung in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat. Danach gewährt Artikel 2 des Grundgesetzes jedem das Recht, jede medizinische Maßnahme an seinem Körper zu verbieten, unabhängig von Situation, Prognose oder Zielrichtung des Eingriffs (z. B. Heilung oder künstliche Ernährung). Der Patient schuldet keine Erklärung für seine Entscheidung, mag sie auch anderen unvernünftig erscheinen (So schon der Bundesgerichtshof in den 50er-Jahren, BGH St 11, 111). Diese Grundsätze gelten nach der Weiterentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in den Jahren 1994 bis 2003 auch für Entscheidungen am Lebensende. Patientenverfügungen wirken danach bei Verlust des Bewusstseins fort und binden alle, Ärzte, Betreuer, Bevollmächtigte und Pflegepersonal. (Bundesgerichtshof-Entscheidung vom 17.03.2003) Nach der Rechtsprechung verbietet das Grundgesetz jede Einschränkung dieser Selbstbestimmung.
Der Vorschlag der Enquête-Kommission würde diese bestehenden Patientenrechte am Ende des Lebens verfassungswidrig einschränken! Nach dem Vorschlag der Enquête-Kommission müssten sich Menschen, gegen ihren Willen zwangsbehandeln lassen.
Dagegen kleidet der Vorschlag der sog. “Kutzer-Kommission” des Bundesjustizministeriums das bereits geltende Recht der indirekten und passiven Sterbehilfe in Paragrafen, die in das Betreuungs- und Strafrecht eingefügt werden sollen.
Die von der Enquête-Kommission geplante Einschränkung der Selbstbestimmung der Patientenautonomie, ausgerechnet am Ende des Lebens, wird von Kommissionsmitglied Dr. Wolfgang Wogard damit begründet, dass man verhindern müsste, dass Menschen dazu gedrängt werden, Patientenverfügungen gegen ihren Willen zu verfassen. Mit dieser Missbrauchs-Argumentation müsste man aber jede Willenserklärung verbieten, etwa auch Testamente. Denn auch der Erblasser könnte ja vom Begünstigten zum Testament gedrängt worden sein. Jedes Dogma verdient aber nur die Kritik, die sich aus seiner korrekten Umsetzung ergibt. In einem Rechtsstaat dürfen Menschenrechte nicht deshalb eingeschränkt werden, weil sie missbraucht werden könnten. Der sehr wohl in Einzelfällen mögliche Missbrauch darf nicht zum Maßstab werden.
Dr. Wogard suggeriert, man würde den Menschen die gewünschte “Heilung und Versorgung” vorenthalten. Tatsächlich wollen sich Menschen mit einer Patientenverfügung davor schützen, dass man ihrem natürlichen Sterben nicht seinen Lauf lässt. Dieser natürliche Ablauf wird nach unseren Erkenntnissen vgl. Putz/Steldinger, Patientenrechte am Ende des Lebens, 2. Auflage ab November im Buchhandel) derzeit in Deutschland bei rund 100.000 Menschen gegen deren Willen durch Maßnahmen wie Zwangsernährung durchbrochen.
Beate Steldinger, Rechtsanwältin und Wolfgang Putz, Rechtsanwalt(Sachverständiger vor der Enquête-Kommission; E-Mail kanzlei@putz-medizinrecht.de
Auch der Geschäftsführer der Deutschen Hospizstiftung, Eugen BRYSCH erläutert: “Die Menschen kommen zu uns mit dem Wunsch, ihren Willen auch für Situationen zu äußern, die vor dem Sterbeprozess liegen Patientenverfügungen auf den Sterbeprozess zu beschränken geht an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei.” Doch erstens müsse eine gültige Patientenverfügung bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Zweitens sei im Ernstfall zu prüfen, ob sie die konkrete Krankheitssituation wirklich trifft. (www.hospize.de)
Und Prof. Eggert BELEITES, Vorsitzender des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekammer, findet die Vorschläge der Enquêtekommission des Deutschen Bundestages schlicht “abenteuerlich”. Schließlich garantiere das Grundgesetz jedem Menschen das Recht, sich nicht behandeln zu lassen: “Jeder muss festlegen können: Ich will nicht gerettet werden.” (Quelle: Spiegel Nr. 37, 06.09.2004)
Aus Presseerklärung des Humanistischen Verbandes vom 06.09.: “Dazu erklärt der Bundesvorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD), Dr. Horst GROSCHOPP: ” Wir sind zuversichtlich, dass sich Frau Bundesministerin Zypries bei ihrer vorgesehenen gesetzlichen Klarstellung weiterhin an den Ergebnissen der von ihr eingesetzten Kommission
“Die letzte Entscheidung liegt beim Patienten” (Quelle: epd)
Interview mit Hermann Barth, EKD-Vertreter im Nationalen Ethikrat
Berlin (epd). Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Selbstbestimmung von Patienten am Lebensende vorlegen. Er soll auf einem Bericht beruhen, den eine von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe Mitte Juni vorgestellt hatte. Die Ethik-Enquêtekommission des Bundestags konnte sich hingegen noch nicht auf eine Stellungnahme zu Patientenverfügungen und Sterbebegleitung verständigen. Sie will diese erst im Herbst vorlegen. Der Nationale Ethikrat befasst sich ebenfalls mit dem Thema. Jutta Wagemann sprach darüber mit dem Ethikrat-Mitglied und Vizepräsidenten des EKD-Kirchenamtes, Hermann Barth.
(Im Wortlaut, stark gekürzt)
epd sozial: Die Arbeitsgruppe des Justizministeriums plädiert für einen hohen Grad an Selbstbestimmung todkranker Menschen. Patientenverfügungen, also die Willenserklärung eines Patienten zur medizinischen Behandlung am Lebensende, sollen deutlich gestärkt werden. Teilen Sie diese Auffassung?
Hermann Barth: Der Bericht macht mit Recht die Selbstbestimmung stark. Selbstbestimmung schließt ein, dass ein Patient gegen das Urteil des Arztes den Verzicht auf Behandlung durchsetzen kann, selbst wenn damit Heilungschancen aufs Spiel gesetzt werden. Ich trete dafür ein, dass der in einer Patientenverfügung im Voraus geäußerte Wille eines Menschen im Prinzip genauso geachtet wird wie der Wille eines aktuell einwilligungsfähigen Menschen
epd: In der Regel wird in einer Patientenverfügung eine Vertrauensperson benannt, die entscheidet, wenn der Patient selbst dazu nicht mehr in der Lage ist. Für welche Regelung plädieren Sie, wenn sich der Bevollmächtigte und der Arzt nicht einig sind?
Barth: Ich schließe mich auch hier der Arbeitsgruppe des Ministeriums an. Sie räumt der vom Patienten selbst bevollmächtigten Person anders als dem staatlich bestellten Betreuer eine weitgehende Vertretungsmacht ein: Der Arzt muss der Entscheidung des Bevollmächtigten folgen. Wenn dazu ein Vormundschaftsgericht eingeschaltet werden müsste, wäre das eine ungerechtfertigte Einschränkung der vom Patienten erteilten Bevollmächtigung und damit der Selbstbestimmung des Patienten.
epd: Sollte eine Patientenverfügung erst voll zur Geltung kommen, wenn die Krankheit einen unumkehrbar tödlichen Verlauf angenommen hat?
Barth: Nein, ich sehe keine Rechtfertigung, die Reichweite der Patientenverfügung auf die finale Phase zu beschränken. “Ungekürzt unter: http://www.epd.de/sozial/sozial_index_29950.html