Was ist kontraproduktiv, was notwendig: Präzisierung von Patientenverfügungen
Bei der Bewertung des BGH-Urteils vom 17.03.2003 in Bezug auf Patientenverfügungen geht nunmehr ein Riss auch mitten durch die Hospizbewegung. So erklärte am heutigen Mittwoch Dr. Binsack, Stiftungsratsvorsitzender der Bayrischen Stiftung Hospiz:
‘Die Verunsicherung, die durch die widersprüchlichen Stellungnahmen zum Beschluss des BGH vom 17.März 2003 entstanden ist, ist äußerst kontraproduktiv. In diesem ethisch, medizinisch und juristisch äußerst sensiblen Bereich wird durch voreilige Interpretationen viel Porzellan zerschlagen und das Vertrauen in die Patientenverfügung beschädigt.’ Dr. Binsack warnt, ganz so wie bisher auch Grundtenor der Hospizbewegung allgemein, ‘nachdrücklich vor einer Überregulierung in diesem ethisch sensiblen Bereich.’ Er empfiehlt stattdessen, Vertrauen zu haben in die ‘ausgezeichnete Vorsorgebroschüre des Bayerischen Justizministeriums’, in der auch ein standardisiertes Muster einer Patientenverfügung zu finden ist.’
Demgegenüber hatte sich die Deutsche Hospiz Stiftung (Sitz Dortmund) überraschenderweise und in scharfer Form auf die Seite der Urteilskritiker geschlagen (wie im Newsletter patientenverfuegung.de vom 11.07. berichtet). Prof. Wolfram Höfling, Vorstandsmitglied der Deutschen Hospiz Stiftung und Verfassungsrechtler (Uni Köln) hatte am 10.07. auf einer Bundespressekonferenz der Deutschen Hospiz Stiftung (DHS) das BGH-Urteil als ‘Glanzstück an juristischer Konfusion’ bezeichnet, wobei ‘gut gemeint’ sich als die Steigerungsform von ‘schlecht’ erwiesen habe.
Hinter dem Konflikt steht auch die grundsätzliche Frage, ob Patientenautonomie durch allgemeine Muster- bzw. Standard-Patientenverfügungen abgesichert oder ob umgekehrt eine Patientenverfügung individuell und auf den Einzelfall bezogen sein muss. Fast alle der inzwischen über 150 Anbieter-Organisationen ständig signalisieren mehr oder weniger, dass ausgerechnet mit ihrem Textmuster alles bestens geregelt sei. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) begrüßt, dass sich die Deutsche Hospiz Stiftung dabei der seit Jahren vom HVD vertretenen Auffassung angeschlossen hat. Der HVD bietet selbst kein eigenes Muster an, sondern unterstützt mittels eines 4-seitigen Fragebogens ausschließlich die Abfassung von individuellen Patientenverfügungen. Gita Neumann vom Humanistischen Verband erläutert mit Bezug auf die aktuelle Debatte um das BGH-Urteil: ‘Wenn ein Schutzbedarf gesellschaftlich für notwendig erachtet wird, kann dies humaner und dem Recht auf Selbstbestimmung angemessener gestaltet werden als durch amtsrichterliche Kontrollen im Nachhinein. Auch reine Formvorschriften sollten bei der Verbindlichkeit keine Rolle spielen. Vielmehr ist die inhaltliche Präzisierung durch die Betroffenen selbst ist der richtige Weg.’
Übereinstimmend gehen beide Organisationen, Deutsche Hospizstiftung (DHS) und Humanistischer Verband Deutschlands (HVD) wenngleich von einem ganz anderem weltanschaulichen Hintergrund mit Prof. Höfling von folgendem aus: ‘Eine Patientenverfügung sollte individuell, aussagekräftig und rechtsverbindlich sein Nach dem BGH-Urteil ist es wichtiger denn je, Patientenverfügungen so eindeutig wie möglich zu verfassen.’
Höfling hat im Namen der DHS dazu einen Qualitäts-Check entwickelt. Qualitätskriterien für eine valide Patientenverfügung und das Angebot einer Organisation, die solche anbietet werden, sollen mit den folgenden 12-Punkten erfasst werden (Komplett nachlesbar unter www.aerztezeitung.de vom 14.07., Stichwort: Sterbebegleitung):
1. Wird die individuelle Motivation deutlich?
2. Ist der Text praxistauglich?
3. Wird zwischen verschiedenen Verfügungsbereichen unterschieden?
4. Wurden Fachleute und Vertrauenspersonen einbezogen?
5. Werden schwammige Formulierungen und unbestimmte Begriffe vermieden?
6. Keine voreiligen generellen Festlegungen oder Verzichtserklärungen!
7. Werden als ‘Mindestbestandteil’ die modernen Formen der Sterbebegleitung eingefordert?
8. Ist der Verfasser über die Risiken und das Verbot aktiver Sterbehilfe informiert?
9. Bezieht sich der Text auf einen konkreten Krankheitszustand und wird deutlich, dass er nach ausreichender Information wohlüberlegt verfasst wurde?
10. Ist das Dokument formal richtig erstellt und damit valide?
11. Wird die Möglichkeit genutzt, den Text überprüfen und registrieren zu lassen?
12. Wird eine individuelle Beratung angeboten?
Die Zentralstelle für Patientenverfügungen des HVD in Berlin führt jährlich ca. 1.600 Beratungsgespräche mit Vorsorgewilligen durch, wobei etwa ein Drittel davon sorgfältig dokumentiert werden und eine individuell abgefasste Patientenverfügung zum Ergebnis haben.’ Dabei treffen ca. 95 % des 12-Punkte-Qualtätschecks für unsere Arbeit zu, von der Beratung bis zur Möglichkeit der Überprüfung und Registrierung’, erklärt Gita Neumann vom HVD. Einige Aspekte hält die Zentralstelle, bei der inzwischen gut 9.500 Vorsorgewillige registriert sind, bei dem aus theoretischer Sicht aufgestellten 12 Punkte-Checks jedoch für kontraproduktiv. Sie würden das vermeintliche Ziel geradezu blockieren.’ So hat sich der Einsatz einer PC gestützten Datei beim Abfassen einer individuellen Patientenverfügung, gerade was die mehrmalige Veränderungsmöglichkeit betrifft, für unverzichtbar erwiesen’, erläutert Neumann, ‘der 12-Punkte-Check sieht hingegen sofern nicht notariell beglaubigt die Handschriftlichkeit vor. Das ist aus praktischer Sicht Unfug, auch sollte an die leichte und rasche Lesbarkeit im Notfall gedacht werden.’ Zudem habe sich der 2-jährige Aktualisierungsrhythmus in der Praxis bewährt und wird auch von Ärzten allgemein als hinreichend angesehen. Die von der Deutschen Hospiz Stiftung vorgesehene jährliche Aktualisierungsfrist sei demgegenüber übertrieben.