Vier Monate nach dem BGH-Urteil: Nur gut gemeint’ gewesen?
Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Patientenverfügung hat neue Fragen nach der Bedeutung und Qualität von Patientenverfügungen aufgeworfen. Professor Höfling, Direktor des Instituts für Staatsrecht an der Universität Köln, kommentiert das Urteil: “Gut gemeint ist nicht selten die Steigerungsform von schlecht”.
Die Deutsche Hospizstiftung in Dortmund sprach von eine “desaströsen Entscheidung”. Etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland hätten eine Patientenverfügung. Der BGH setze nun in seinem Urteil nicht nur einen Betreuer voraus, sondern schriebe für den Konfliktfall mit dem Arzt auch eine Genehmigung eines Vormundschaftsgerichts vor. Dass sich ausgerechnet die Deutsche Hospizstiftung an die Spitze der Bewegung für die gesetzliche Verbindlichkeit von “Patientenverfügungen” setzen will, ist etwas verwunderlich zählte sie doch bisher zu den Kritikern von Patientenverfügungen und propagiert stattdessen bis heute (nachzulesen auf ihrer Internetseite www.hospize.de) die so genannte “Patientenanwaltschaft” als Alternative. Damit ist die Bevollmächtigung einer Vertrauensperson gemeint, wobei allerdings der Arzt in Absprache mit dieser die “letzte Entscheidung” zu treffen habe.
Widersprüche und eine Reihe von Vorgaben des BGH haben Missverständnisse geschaffen stellt auch die die Zentralstelle für Patientenverfügungen in Berlin (Träger: Humanistischer Verband Deutschlands). Dort spürt man deutlich die Unsicherheit, wenn Bürger/innen, Ärzte oder auch Anwälte anrufen. Der Humanistische Verband Deutschlands hat für Ende September die Veröffentlichung von 19 Eckpunkten zur gesetzlichen Neuregelung von Patientenrechten und Sterbehilfe angekündigt.
Die Geisteshaltung hinter dem Urteil bleibt diffus, sowohl den Status von Wachkoma-Patienten als auch die Verabsolutierung von Patientenverfügungen betreffend, ohne dabei auf Qualitätskriterien und Wirksamkeitsvoraussetzungen einzugehen. Die folgenden Auszüge aus dem Gespräch mit der Vorsitzenden Richterin Meo-Micaela Hahne sind einem Interview in der FAZ vom 18.07.2003 entnommen:
Frage FAZ: Frau Dr. Hahne, für Ihre Entscheidung haben Sie viel Kritik einstecken müssen Erstaunt Sie das Echo?
Hahne: Ein wenig schon
Frage FAZ: Wenn also der Wille des Patienten klar ist, verlautbar: Er will in Würde sterben und bestimmte Eingriffe nicht erdulden darf dann der Arzt ihn an Gerate anschließen, ihn künstlich beatmen oder ernähren?
Hahne: Nein, das darf er nicht Eine ärztliche Maßnahme, die ohne die Einwilligung des Patienten vorgenommen wird, ist rechtswidrige Körperverletzung
Frage FAZ: In Ihrer Entscheidung taucht öfter das Wort vom “irreversibel tödlichen Verlauf” der Erkrankung auf
Hahne: Voraussetzung dafür, dass künstlich lebensverlängernde Maßnahmen gegen den Willen des Patienten nicht oder nicht mehr vorgenommen werden dürfen, ist also, dass der Patient bei einem natürlichen Verlauf seiner Krankheit ohne künstliche ärztliche Hilfsmittel sterben würde Wir meinen, dass eine Weiterbehandlung auch aus ärztlich-ethischer Sicht nur dort vorgenommen werden sollte, wo eine Chance besteht, dass der Patient wieder zu einer Persönlichkeit wird, die als bewusster Mensch am Leben der anderen teilnehmen kann. Wenn eine solche Chance nicht mehr besteht, befindet sich unseres Erachtens ein solcher Wachkomapatient in einem irreversiblen tödlichen Verlauf
Frage FAZ: Nun haben Sie das Vormundschaftsgericht genannt, und dessen Einschaltung ist ja ein Hauptpunkt der Kritik an Ihrer Entscheidung
Hahne: Wir wollten das Vormundschaftsgericht nur in jenen Konflikt- und Ausnahmefällen einschalten, in denen Arzt und Pflegepersonal einerseits und Patientenwille, Betreuerentscheidung, u. U. auch Angehörigenentscheidung andererseits in Konflikt geraten, im Streitfall, ja, oder bei Unsicherheit über den Patientenwillen
Liegt eine Patientenverfügung vor, ist sie rechtsgültig und wirksam ?
Frage FAZ: In Ihrem Urteil haben Sie auch von der Angst der Ärzte vor dem Strafrecht gesprochen. Kann es jetzt nicht sein, dass die Ärzte eher verunsichert sind, dass sie Angst vor dem Strafrecht haben, wenn sie den Vormundschaftsrichter nicht eingeschaltet haben?
Hahne: Diese Gefahr ist nicht ganz von der Hand zuweisen
Frage FAZ: Diese Ärzte könnten “im Zweifel” jetzt immer mehr auf die Entscheidung es Vormundschaftsrichters warten.
Hahne: Ja. Aber das haben wir nicht gewollt.
Frage FAZ: Sie haben in einem Interview gesagt, es sei die derzeitige Gesetzeslage, die Probleme schafft wo sehen Sie die Defizite?
Hahne: Wünschenswert wäre eine gesetzgeberische Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dergestalt, dass die Patientenverfügung, der geäußerte Patientenwille, absoluten Vorrang hat und dass diesem Patientenwillen zu folgen ist. Ärzte und Pflegepersonal müssen sich darauf verlassen können, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, wenn sie den Patientenwillen vollziehen Für notwendig halte ich eine weiterführende Diskussion über die jetzt auch von uns übernommenen Begriffe “irreversibler tödlicher Verlauf” und “unmittelbare Todesnähe” Wünschenswert wäre im übrigen auch eine Auseinandersetzung mit Regelungen der Sterbehilfe in anderen europäischen Ländern wie Belgien und den Niederlanden.