Nachruf auf Uwe Christian Arnold
Deutschlands bekanntester Sterbe- und Suizidhelfer, der Berliner Arzt Uwe Christian Arnold (1944-2019), ist aufgrund schwerer Erkrankung bei sich zu Hause selbstbestimmt gestorben. Auf seinen Wunsch hin findet eine humanistische Urnenfeier nur im kleinen Kreisen statt.
Uwe Christian Arnold wurde von allen Freunden, wie auch hier von mir, nur Christian genannt. Wir trauern um ihn, der den Schalk im Nacken hatte und das Leben liebte. Als Facharzt für Urologie war er von 1980 bis 2000 in eigener Praxis tätig und hatte sich seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend mit Fragen des Humanen Sterbens beschäftigt. Zu guter Letzt stand er wie kein anderer Mediziner in Deutschland aufgrund seiner hundertfach geleisteten ärztlichen Suizidassistenz im Licht der Öffentlichkeit. In ganz Deutschland hatten sich in den letzten 20 Jahren schwerstleidende Patient_innen an ihn gewandt. Christians „letzte Hilfe“ war die für ihn keinesfalls eine bequeme, aber konsequente Reaktion darauf, dass diese einen anderen Arzt nicht hatten finden können, der dazu bereit gewesen wäre.
Ich lernte ihn zur Jahreswende 1999/2000 bei meiner Tätigkeit im Humanistischen Verband Deutschlands kennen. Christian war ein guter Arzt, den ich auch als ausgezeichneten Diagnostiker erlebt habe. Eine erste gemeinsam konzipierte Fernsehaufnahme mit ihm als Sterbehelfer in unserer Geschäftsstelle musste damals noch vollständig anonymisiert werden – gezeigt wurden nur seine Beine. Er war erst Kooperationspartner, dann vertrauter Mitstreiter, in den letzten Jahren enger Freund.
So offen und ehrlich wie Christian dies mit der Zeit tat, hat sich kein anderer deutscher Arzt zur praktizierten Sterbehilfe bekannt. In der Sendung “Hart, aber fair” stellte er die ärztliche Sterbebegleitung inklusive einer Freitodhilfe menschlich sehr überzeugend dar. Er erhielt unzählige Anfragen zu Medienauftritten, Interviews, Podiumsdiskussionen und Filmdokumentationen. Die ARD brachte im November 2012 eine Dokumentation über seine Arbeit, sein Leben, seine Hobbys, wozu das Golfspielen gehörte. Aber als er dort auch als Pilot in einem Flugzeug gezeigt wurde, war das für mich völlig neu – Christian war eben für Überraschungen gut. Er hatte sich auch als Sport- und Tauchmediziner sowie als Betriebsarzt weitergebildet und betreute in dieser letzten Funktion Unternehmen – noch fast bis zu seinem Tod.
Er starb am 12. April zu Hause, selbstbestimmt, wie es so schön heißt, als die Kraftlosigkeit und die vielen Leidenssymptome im Endstadium seiner Krebserkrankung unerträglich wurden. Lange hatte er mit allen möglichen Mitteln dagegen angekämpft, hing am Leben. Christian war ein neugieriger, gescheiter, vielseitig interessierter Mensch, der bis auf die letzten Monate vor Energie und Euphorie sprühte. Herziehend über seine standes- und parteipolitischen Widersacher sowie alles Klerikal-Religiöse, eckte er oft an, hinzu kam seine Berliner Schnodderigkeit. Doch auf der anderen Seite ließ er – auch durch die eine oder andere Träne – erkennen, wie sehr die schweren Schicksale seiner Patientinnen und Patienten ihn oft mitnahmen. Auf seine Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit war absolut Verlass.
Christian konnte in aller Beiläufigkeit beeindrucken nicht nur mit seiner umfassenden Bildung und Herzenswärme, sondern auch mit unzähligen prominenten Bekanntschaften und subtilen Kenntnissen über alles Mögliche. Mit seiner Begeisterung etwa für alte Spielfilme oder Opernaufführungen steckte er gern sein Gegenüber an. Unter eigenem Lachen endete die Pointe der häufig zum Besten gegebenen, teils derben Witze meist mit Bestätigung erheischendem „Ist der nicht gut?!“ Er las viel, täglich, verschlang Bücher regelrecht. Schließlich schrieb er selbst eines, mit dem Titel “Letzte Hilfe“, wie hier auf der Buchmesse in Frankfurt medial vielbeachtet.
Christan war tief überzeugt von dem Gedanken, dass die Selbstbestimmung des mündigen Patienten im Mittelpunkt zu stehen hat. Nicht eine profitorientierte Lebensverlängerungs-Medizin und erst recht nicht die Bevormundung durch Staat und Kirche sollte sich dagegen durchsetzen dürfen. Dies brachte ihn, der immer schon areligös eingestellt war, in eine teils erbitterte Gegnerschaft zu jenen Religions- und Hospizvertretern, welche von der Heiligkeit und Gottgegebenheit jeden Lebens ausgehen oder welche die Sterbebegleitung bis zum bitteren Ende verabsolutieren, so aussichtslos leidvoll dies auch sei.
Christian hat unzähligen todkranken Menschen zum Sterben in Würde und im Vorfeld zur Aufrechterhaltung ihrer Lebensqualität verholfen. Patient_innen und ihre Angehörige liebten ihn dafür. In Kondolenzschreiben beklagt z. B. eine Familie: „Ein Mensch ist nicht mehr da, der uns persönlich Zuversicht gab.“ Eine langjährige Patientin von ihm schreibt: „Ich verdanke ihm, dass ich doch wieder – weitgehend – angstfrei in die Zukunft blicken kann im Wissen, mir notfalls selbst helfen zu können.“ Und ein Sohn, dessen querschnittgelähmter Mutter Christian über ein Jahrzehnt stets hilfreich zur Seite stand: „Obwohl meine Mutter und wir zu Dr. Arnold immer Dr. Arnold sagten und all die Jahre per Sie waren, fühlt sich sein Tod für mich an, als wäre jemand aus unserer Familie gestorben. … Ohne ihn wäre das Sterben meiner Mutter so viel anders, früher und viel weniger würdevoll gewesen.“
Kolleg_innen von ihm haben jetzt in Kondolenzschreiben zum Ausdruck gebracht, wie sehr sie bei ihm den Mut bewunderten, gegen Autoritäten vorzugehen und dabei den Ruf eines ewigen Querulanten in Kauf zu nehmen. Das bezog sich auch auf ein 2007 eingeleitetes Gerichtsverfahren zwischen ihm und der Berliner Ärztekammer. Nach fünf Jahren stellte dann jedoch das Berliner Verwaltungsgericht zu seinen Gunsten fest, dass ein generelles Verbot der ärztlichen Suizidbegleitung gegen die Grundrechte der ärztlichen Gewissensfreiheit bei der Berufsausübung verstoßen würde.
Christian war mit weiteren acht Ärzt_innen Beschwerdeführer gegen den § 217 StGB, worüber das Bundesverfassungsgericht am 16. und 17. April verhandelte. Dazu war er ausdrücklich geladen, ein fünfminütiges Statement abzugeben. Doch “sein Vermächtnis“ musste dort verlesen werden, denn zu einer Anreise im Rollstuhl ist es nicht mehr gekommen. Dabei hatte er gehofft, er könne „solange noch durchhalten“.
Nur für den engsten Kreis gibt es zum Abschiednehmen seinem letzten Wunsch gemäß eine vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg ausgerichtete Urnenfeier. Es findet danach eine Seebestattung statt. Unsere Anteilnahme gilt seiner Ehefrau und Gefährtin Helga Arnold und den drei Söhnen jeweils mit Familie, wobei Christian stolz sein konnte auf insgesamt acht Enkelkinder.