Abrechnungsfehler von Kliniken in Milliardenhöhe
Das Vertrauen in unser Gesundheitssystem wird erneut beschädigt. Wie der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen aktuell mitteilt, haben Kliniken wegen massenhaft fehlerhaften Krankenhausabrechnungen im Jahr 2017 Geld in Milliardenhöhe an die Kassen zurücküberweisen müssen.
Es geht an dieser Stelle nicht um Mangelversorgung in der Pflege und der Palliativmedizin bei andererseits sinnloser Übertherapie durch teure Intensivbehandlungen. Dies erscheint vielmehr als Spitze des Eisbergs. Dahinter verbirgt sich das allgemeine Problem zunehmend renditegetriebener Vorgänge, Abrechnungspraktiken und anderer Machenschaften.
Für künstliche Beatmung: 23.426 Euro ab zweitem Tag
Ein früherer Beitrag von Matthias Thöns “Leidvolle Übertherapie – tägliche Realität“ in diesem Newsletter hatte auf einen problematischen Aspekt der Vergütung und gravierende Fehlanreize in den Kliniken aufmerksam gemacht. Darin führte der Autor aus: Die kleine Gruppe der Langlieger (8% sind länger als 20 Tage in der Klinik) generiert einen Großteil der Einnahmen. So fahren Kliniken die größten Gewinne bei vielfachen Komplikationen ein, wenn sie etwa Patient_innen mit den schlechtesten Aussichten noch operieren oder vielfacherkrankte greise Patient_innen umfangreich versorgen.
Thöns weist auf die Besonderheit in der Gebührenordnung hin, dass bei jeder Beatmung über 24 Stunden hinaus 23.426 Euro aufwärts berechnet werden können. Abrechnungsoptimierte Beatmung sei jedoch gefährlich, denn medizinisch gelte eigentlich: je kürzer desto besser.
Vertrauens- und Qualitätsverlust sind die Folge, wenn sich die Intensivmedizin beständig auf Patientengruppen ausbreitet, die selbst davon gar nicht mehr profitieren. Auch sind Patient_innen betroffen, die ausdrücklich gar keine belastenden Maßnahmen mehr wünschen, dies aber nicht optimal in einer Patientenverfügung dokumentiert haben.
Streit wegen Abrechnungsfehler in Milliardenhöhe
Nun ist ein Streit zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern um Praktiken bei den Abrechnungen entbrannt, die zum Teil auch gar nicht erbrachte Leistungen enthalten sollen. Neben den Kostenerstattungen gehören Überprüfungen zum Auftrag der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Die aktuellen Auswertungen für das Jahr 2017 zeigten, das jede zweite geprüfte Krankenhausrechnung (mehr als 56 Prozent) fehlerhaft sei, informierte der Spitzenverband der GKV. Als Folge daraus müssten Krankenhäuser für das entsprechende Jahr rund 2,8 Milliarden Euro an die Kassen zurückbezahlen.
Der GKV-Spitzenverband verweist darauf, dass etliche Kliniken ihre Rechnung nach deren Bezahlung durch die Kassen noch einmal neu kodieren, wobei das Ziel klar sei: Den Erlös nachträglich zu erhöhen. Auffällig geworden sei dabei zum Beispiel die überdurchschnittlich häufige Nebendiagnose „akute pulmonale Insuffizienz“, die zusätzlich im Zusammenhang mit Operationen kodiert werde, was sich bei Prüfungen dann aber als unberechtigt erwiesen hätte.
Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) zufolge handelt es sich bei den beanstandeten Rechnungen lediglich um „medizinische Einschätzungsunterschiede und formale Kriterien“ zu Rechnungskürzungen, aber nicht etwa um Falschabrechnungen. Dem widerspricht wiederum der GKV-Spitzenverband: „Krankenhäuser verfolgen durchaus unterschiedliche Strategien in der Abrechnung“, heißt es dazu in einem Positionspapier des Verbandes. Eine mangelnde Abrechnungsgüte vieler Kliniken sei bereits seit Jahren Thema, aber es gäbe „nach wie vor keinen Anreiz für Krankenhäuser, korrekt abzurechnen, obwohl der Gesetzgeber bereits im Jahr 2012 vom Bundesrechnungshof aufgefordert war, dahingehend aktiv zu werden“.
Neue Mechanismen sollen laut GKV-Spitzenverband dafür sorgen, dass korrektes Abrechnungsverhalten von Kliniken belohnt und fehlerhaftes Abrechnen sanktioniert wird. Ein GKV-Sprecher kritisierte, dass die Krankenhäuser bei Abrechnungsfehlern keinerlei Risiko trügen: Sie müssten lediglich den zu viel erhaltenen Betrag zurückzahlen. Wenn sich eine überprüfte Rechnung dagegen als korrekt erweise, müsse die Krankenkasse der Klinik 300 Euro als Entschädigung zahlen.
Wie ein verändertes Bonus-Malus-Modell aussehen könnte, hat der Spitzenverband in einem Argumentationspapier zusammengefasst. Als ein kostenintensives Beispiel wird dort die falsche Abrechnung einer minimalinvasiv implantierten Aortenklappe aufgeführt, was einen Kostenunterschied von ca. 24.000 Euro ausmachte. Ein solcher Fall – schließlich handele es sich um Gelder, die den Versicherten an anderer Stelle fehlten – müsse in Zukunft durch Strafzahlung der Klinik sanktioniert werden. Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, erläutert: „Die Gesundheitspolitik ist ebenso gefragt wie Krankenhäuser und Krankenkassen. Es erfordert Mut, das Abrechnungsverhalten von Krankenhäusern transparent zu machen …“