Ärzteappell „Rettet die Medizin“
Die Anfang September im Stern Nr. 37 veröffentlichte Titelgeschichte „Mensch vor Profit“ hat hohe Wellen geschlagen. Der damit verbundene Appell „Rettet die Medizin“ ist auf viel Zustimmung gestoßen, weit über 1.000 Ärzt_innen haben sich bereits angeschlossen, aber es gibt auch verhalten kritische Reaktionen.
Der stern-Wissenschaftsautor und Mediziner Bernhard Albrecht hat für diese Titelgeschichte mit unzähligen Mediziner_innen gesprochen hat. Hier ein Beispiel: Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, beklagt, dass vor allem besonders Schutzbedürftige benachteiligt sind: Eine Gratwanderung an der Grenze zum Betrug.
Zugleich wurde der Appell „Rettet die Medizin“ von 215 Erstunterzeichner_innen veröffentlicht. Die Initiator_innen, zu denen auch der Berufsverband Deutscher Internisten sowie die Fachgesellschaften der Internist_innen, der Chirurg_innen und Kinder- und Jugendärzt_innen gehören, wenden sich vor allem an die Bundesregierung. Von dieser wird immer wieder auf die Zuständigkeit der Länder für die Krankenhausfinanzierung verwiesen. Hier ein Auszug aus dem Appell:
„Es darf
nicht länger passieren, dass Krankenhäuser Gewinne für nötige Anschaffungen
ausgeben und dafür am Personal sparen – weil der Staat ihnen seit Jahren Finanzmittel
vorenthält, um unrentable Einrichtungen ‘auszuhungern‘ […] Die Führung eines
Krankenhauses gehört in die Hände von Menschen, die das Patientenwohl als
wichtigstes Ziel betrachten. Deshalb dürfen Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften
keine Entscheidungsträger vorgesetzt sein, die vor allem die Erlöse, nicht aber
die Patientinnen und Patienten im Blick haben. Aber auch manche Ärztinnen und
Ärzte selbst ordnen sich zu bereitwillig ökonomischen und hierarchischen
Zwängen unter. Wir rufen diese auf, sich nicht länger erpressen oder
korrumpieren zu lassen.
Das Fallpauschalensystem, nach dem Diagnose und Therapie von Krankheiten
bezahlt werden, bietet viele Anreize, um mit überflüssigem Aktionismus Rendite
zum Schaden von Patientinnen und Patienten zu erwirtschaften. Es belohnt alle
Eingriffe, bei denen viel Technik über berechenbar kurze Zeiträume zum Einsatz
kommt – Herzkatheter-Untersuchungen, Rückenoperationen, invasive Beatmungen auf
Intensivstationen und vieles mehr. […] Vor allem nicht einberechnet sind Patientinnen
und Patienten, die viele Fragen haben oder Angst vor Schmerzen, Siechtum und
dem Tod. […] Das Diktat der Ökonomie hat zu einer Enthumanisierung der Medizin
an unseren Krankenhäusern wesentlich beigetragen. Unsere Forderungen:
1. Das Fallpauschalensystem muss ersetzt oder zumindest grundlegend
reformiert werden.
2. Die ökonomisch gesteuerte gefährliche Übertherapie sowie
Unterversorgung von Patienten müssen gestoppt werden. Dabei bekennen wir uns
zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Handelns.
3. Der Staat muss Krankenhäuser dort planen und gut ausstatten, wo
sie wirklich nötig sind. Das erfordert einen Masterplan und den Mut,
mancherorts zwei oder drei Kliniken zu größeren, leistungsfähigeren und
personell besser ausgestatteten Zentren zusammenzuführen.
Eine Liste der Erstunterzeichnenden und am Ende die Möglichkeit, als Arzt oder Ärztin mit zu unterschreiben: hier.
Verhaltene Kritik von Verbänden und Reaktionen aus Politik
Der Ärztezeitung vom 5. September sind folgende Reaktionen auf den Appell zu entnehmen:
Beim Hartmannbund hieß es, der dem Appell implizite Vorwurf, dass Ärzt_innen erpressbar seien, müsse kritisch hinterfragt werden. Ein Sprecher dieses größten Ärzteverbands in Deutschland erläuterte, der Hartmannbund werde bei allem Respekt vor dem Engagement der Kolleg_innen den Aufruf nicht unterstützen. Im Kern stehe der Verband aber hinter den Zielen der Initiative.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte am Donnerstag vor mehr „Staat“ im Gesundheitswesen. „Der Wunsch, die Krankenbehandlung von der Finanzierung des Krankenbehandlungssystems zu entkoppeln, mag sozialethisch ehrenwert sein“, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Die Realität zeige aber, dass staatsfinanzierte Gesundheitssysteme lange Wartezeiten, Rationierung und schlechtere Ausstattung mit sich brächten. Als Beispiele führte er die Gesundheitswesen sozialistischer Länder und das Großbritanniens an. Das System der Fallpauschalen (DRG) sollte jedoch reformiert werden. Die große Koalition habe mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz bereits mögliche Weichen dafür gestellt, die Pflegekosten komplett aus den Fallpauschalen herauszunehmen.
Auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Karin Maag (CDU) warnte vor einem grundsätzlichen Wechsel des Fallkosten-Abrechnungssystems. „Wesentlich ist nicht die Art der Abrechnung, sondern wie manche Kliniken sie missbrauchen“.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen Maria Klein-Schmeink forderte, die Investitionsfinanzierung der Kliniken gehöre endlich auf stabile Füße gestellt. „Um Überkapazitäten abzubauen, bedarf es mehr Mut in Richtung Zentrenbildung“