Australier muss zum Altersfreitod in die Schweiz reisen
Der höchstbetagte australische Wissenschaftler David Goodall könnte zu einer Ikone für den begleiteten Freitod auch von lebensmüden alten Menschen werden. Er ist in Basel mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben geschieden.
Der australische Ökologie- und Biologieprofessor David Goodall mochte nicht länger leben, ohne dass er tödlich erkrankt gewesen wäre. Am 10. Mai ist er im Alter von 104 Jahren mit Hilfe des Schweizer Vereins live circle in Basel aus dem Leben geschieden. Dem von der Ärztin Dr. Erika Preisig gegründeten Verein ist mit der Stiftung Eternal Spirit eine der neuen kleinen Suizidhilfeorganisationen angeschlossen.
Noch vor zwei Jahren hatte Prof. Goodall als weltältester aktiver Wissenschaftler für Schlagzeilen gesorgt, weil er sich erfolgreich gegen seine Entlassung aus der Universität gewehrt hatte. Doch dann machte ihm eine Lähmung, starke Sehschwäche und allgemeine Kraftlosigkeit zu schaffen. Nach einem Sturz versuchte er erfolglos, sich das Leben zu nehmen. Er fand „genug ist genug“, wie der australische Sterbehilfeaktivist Philip Nitschke sagte, bei dessen Organisation Exit International (nicht identisch mit ähnlich klingenden Schweizer Sterbehilfeorganisationen) David Goodall Mitglied war. Exit International sammelte Geld, um Goodalls aufwändige Reise nach Basel – mittels Businessclass so angenehm wie möglich gestaltet – zu finanzieren.
Weltweite mediale Beachtung
Der australische Professor eignet sich wie kaum ein anderer als neue Ikone der Suizidhilfebefürworter. Seine letzten Tage wurden von internationalen Medien als Live-Drama in alle Welt übertragen. Journalist_innen und Kameras hielten den liebevollen Abschied von seinen Angehörigen ebenso fest wie seine Worte: „Ich bereue zutiefst, dass ich dieses Alter erreicht habe. … Ich möchte sterben. … Ältere Menschen wie ich sollten ein Bürgerrecht auf Sterbehilfe haben.“ Die Fernsehaufnahmen mit ihm gingen um die Welt. Er sprach das aus, was abertausende Menschen beschäftigt.
Goodall wollte mit seinem Suizid ein Zeichen setzen gegen das Suizidhilfeverbot in Australien und auch anderswo. Zwar soll im australischen Victoria die ärztliche Freitodbegleitung ab 2019 legal werden, aber nur, wenn strenge Sorgfaltskriterien erfüllt sind. Dazu gehört – nach dem Modell der ärztlichen Suizidhilfe in Oregon/USA – dass der suizidwillige Mensch an einer tödlichen Krankheit leiden muss, an der er innerhalb kurzer Zeit sterben wird. Gerade das war bei Goodall nicht der Fall.
Todkrank oder nur des Lebens müde
Eigentlich gilt auch in der Schweiz, dass nur schwerleidende, dem Tode nahe Menschen, also Palliativpatient_innen, die Dienste von Suizidhilfeorganisationen in Anspruch nehmen können. Wenn jemand „nur“ lebensmüde ist, sollte er eigentlich, wie Jürg Wiler, Vorstandsmitglied von Exit Deutsche Schweiz, ausführt, von seiner Organisation nicht professionell beim Freittod begleitet werden. Allerdings muss bei sehr alten Menschen nicht zwingend ein zum Tod führendes Leiden vorliegen. Bei Exit prüft eine Kommission, ob auch relativ gesunden Menschen bei einem nachhaltigen Sterbewunsch auf Rezept Natrium-Pentobarbital verschafft werden kann, wenn diese „am und im Alter“ litten.
Nach Schweizer Recht, welches keine Kriterien festlegt, wäre dies durchaus möglich. Bedingung ist lediglich, dass die geistige Klarheit und Urteilsfähigkeit des Sterbewilligen überprüft wurde und dass er sich das tödliche Natrium-Pentobarbital selbst zuführt – sei es durch Trinken oder durch Aufdrehen einer Infusion von eigener Hand. Trotzdem haben sich die Sterbehilfeorganisationen bislang schwer damit getan, auch den Altersfreitod zu begleiten. Menschen, die älter als 85 Jahre sind, sollten aber nicht „auf den Knien Bitti-Bätti machen und sich rechtfertigen müssen“, sagte die Lifecircle-Chefin Erika Preisig in der Schweizer Debatte um die Freitodbegleitung für Altersmüde.
Zunehmend gewähren die Schweizer Organisationen auch Hochbetagten Suizidhilfe, wenn diese multimorbid sind, das heißt unter mehreren Gebrechen leiden wie David Goodall. Das Thema gewinnt angesichts der demographischen Entwicklung an Bedeutung. Erika Preisig rechtfertigt die Haltung ihres Vereins mit Verweis auf die ärztliche Verantwortung: „An Fortbildungen zeigt man uns Ärzten immer wieder, dass das Risiko akuter Gesundheitsereignisse im hohen Alter stark ansteigt. Dass man das erkennt und gleichzeitig die Freitodbegleitung im Alter einschränkt, macht keinen Sinn.“
Veranstaltungshinweis der Humanismus Stiftung für den 14. Juni in Berlin zur Situation in Deutschland: Selbstbestimmt aus dem Leben gehen – Ärzte für Suizidhilfe