Bayr. Justizministerin und Rechtsexperte: Medien stellen BGH-Urteile falsch dar
Quelle Welt am Sonntag vom 03.04.2005:
Bayrische Justizministerin Merk: Urteile des BGH von 1994 und 2003 werden falsch interpretiert
” Auch im bayerischen Justizministerium häufen sich Anfragen besorgter Bürger, wie verbindlich und sicher eine Patientenverfügung eigentlich sei. Die Verunsicherung ist groß. “Das ist verständlich”, sagt Justizministerin Beate Merk. Handlungsbedarf des Gesetzgebers sieht sie aber nicht: “Die Rechtslage zur Patientenverfügung ist gut. Eine Änderung ist nicht notwendig. Wenn ein Gesetz kommt, dann sollte es die bestehende Situation festschreiben.”
Merk kritisiert aber, dass in der öffentlichen Rechtsdiskussion einiges schief laufe. Sie hat dabei die Interpretation von Urteilen des Bundesgerichtshofs von 1994 und 2003 durch Juristen und Politiker im Auge. Zweifel an der uneingeschränkten Gültigkeit von Patientenverfügungen seien aber unbegründet. “Patientenverfügungen sind nach gegenwärtiger Rechtslage verbindlich”, sagt Merk. Tabu bleibe weiterhin aktive Sterbehilfe. Auch könnten Patientenverfügungen nicht von Dritten eingeschränkt werden, etwa nur auf die unmittelbare Sterbephase. Diese Fehlinterpretation betreffe gerade die Verfügungen im Falle von fortgeschrittener Demenz oder Koma. Es gebe nach Rechtslage keine Beschränkung der Reichweite einer Patientenverfügung.
Dies könnte sich ändern: “Wenn ein neues Gesetz kommt, dann besteht die Gefahr, dass die Rechtslage eingeschränkt wird”, fürchtet Merk. Sie sieht Tendenzen in der Enquêtekommission “Ethik und Recht in der modernen Medizin” des Bundestags die Reichweite einzuschränken. “Das würde aber nicht nur viele der sieben Millionen bestehenden Patientenverfügungen nicht anwendbar machen. Eine Beschränkung der Reichweite würde auch die Autonomie des einzelnen beschneiden. Es muss aber jedem selbst überlassen bleiben, was er unter würdigem Sterben versteht. Das Grundgesetz sieht die Würde des Menschen als das höchste Gut.”
Auch die Frage, was geschieht, wenn eine Patientenverfügung mehrdeutig oder unklar ist, sei schon jetzt rechtlich ausreichend geregelt. Hier geht es meist um Fälle, bei denen angezweifelt wird, ob der geäußerte Wille noch aktuell ist oder ob die beschriebene Krankheitssituation auch tatsächlich eingetreten ist.
Unklarheiten seien nie auszuschließen, sagt Merk. Dann müssten sie aber wie bei Testament oder Schenkung ausgelegt werden. “Daran würde auch ein neues Gesetz nichts ändern.” Die Ministerin, die selbst eine Patientenverfügung abgelegt hat, rät deswegen zu frühzeitiger Beratung. “Mit 18 sollte man eine Patientenverfügung verfassen.” “(Von Peter Issig)
Quelle: Yahoo online vom 24.03.2005 (gekürzt):
“Berlin (ddp). Der Fall Schiavo ist nach Überzeugung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) auf die Bundesrepublik nicht übertragbar. “In dieser Form wäre das in Deutschland nicht möglich”, sagte die Ministerin zum Streit vor US-Gerichten über die lebenserhaltenden Maßnahmen für die amerikanische Wachkomapatientin Terri Schiavo. Zypries fügte hinzu: “Wahrscheinlich würde sie bei uns weiter versorgt.””
Zypries riet zugleich zur Niederlegung einer Patientenverfügung. Diese sollte nach den Vorstellungen von Zypries in der Regel schriftlich niedergelegt und alle zwei Jahre erneuert werden. “Jeder, der das will, kann dann deutlich machen, was er als Patient für den Fall verfügen will, in dem er sich nicht mehr selbst artikulieren kann”, erläuterte die Ministerin. (ddp, ebd.)
Betreff: Sterben Zulassen bei Wachkomapatienten
Presseerklärung der Rechtsanwälte Wolfgang Putz und Beate Steldinger, Kanzlei Putz und Teipel Berlin München:
“Über dpa wird verbreitet, das Zulassen des Sterbens eines Patienten nach seinem Patientenwillen sei nur zulässig, wenn die irreversibel tödliche Erkrankung so weit fortgeschritten sei, dass der Tod unmittelbar bevorstehe. Dies hätte der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 17.03.2003 entschieden.
Das ist falsch.
Richtig ist:
Der Bundesgerichtshof hat erstmals im Kemptener Fall (1. Strafsenat, Urteil vom 13.09.1994, NJW 1995, Seite 204) festgestellt, dass eine zulässige und gebotene “Sterbehilfe im weiteren Sinn” vorliege, wenn das Kriterium der Todesnähe nicht gegeben sei. Er hat dies damals für einen Wachkomafall entschieden.
Wörtlich:
“Im vorliegenden Fall hatte der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt. Frau S. war abgesehen von der Notwendigkeit künstlicher Ernährung lebensfähig. Eine Sterbehilfe im eigentlichen Sinn lag deshalb nicht vor. Vielmehr handelte es sich um den Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme. Auch wenn dieser Vorgang in der Literatur bereits als Sterbehilfe im weiteren Sinne bezeichnet wird und ein solcher Behandlungsabbruch bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck seiner allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs 2, Satz 1 GG) grundsätzlich anzuerkennen ist , sind doch an die Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen insbesondere im Vergleich zur Sterbehilfe im eigentlichen Sinne zu stellen.”
Im Ergebnis hat der BGH schon damals entschieden, dass bei entsprechendem Patientenwillen die wachkomakranke Patientin S. sterben darf und sogar ihr Sterben zugelassen werden muss.
In der Entscheidung vom 17.03.2003 hat der 12. Zivilsenat dieses Urteil aufgegriffen und zu einem weiteren Wachkomafall aus Kiel ausgeführt, dass im Zivilrecht nicht mehr oder weniger erlaubt sein könne, als im Strafrecht, er sei daher an die Entscheidung des 1. Strafsenats von 1994 im Kemptener Fall gebunden. Da diese Entscheidung wegen einiger Formulierungen missverständlich schien, urteilte daraufhin das Oberlandesgericht Karlsruhe am 26.03.2004, NJW 2004, Seite 1882, dass der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung von 2003
wörtlich:
” unter Bezugnahme auf das Urteil des 1. Strafsenates vom 13.09.1994 zwischen Hilfe beim Sterben, kurz: Sterbehilfe, und Hilfe zum Sterben der Sterbehilfe im weiteren Sinn differenziert. Sterbehilfe setzt danach voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Doch auch in dem Fall, in dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist danach der Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahem bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Aus der Differenzierung der Sterbehilfe folgt demnach nicht, dass dann, wenn das Kriterium des “unmittelbar bevorstehenden Todes” fehlt, die Genehmigung der Einwilligung in den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen nicht erteilt werden darf,
Soweit wörtlich das Oberlandesgericht Karlsruhe, das wiederum für einen Fall eines Wachkomapatienten das Zulassen des Sterbens nach dem Patientenwillen als rechtmäßig und geboten beurteilt.
Dies deckt sich auch mit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Traunstein im Strafverfahren gegen Rechtsanwalt Wolfgang Putz u. a. wegen des Sterbenlassens des Wachkomapatienten Peter K. “wegen versuchten Totschlags” vom 01.02.2002, veröffentlicht in ‘Putz und Steldinger Patientenrechte am Ende des Lebens’, C. H. Beck-Verlag, 2. Auflage 2004). Dort wird festgestellt, dass der seinerzeit angeordnete Behandlungsabbruch bei Wachkomapatient Peter K. dem mutmaßlichen Patientenwillen entsprach. Daher wurde das Verfahren, ebenso wie zwei weitere Strafverfahren gegen Rechtsanwalt Wolfgang Putz in Sterbehilfefällen bei Wachkomapatienten, eingestellt.
Insgesamt haben wir bis heute 65 gleichartige Wachkoma-Fälle, zum Teil sogar soweit Streitfälle vorlagen mit vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung betreut. In allen Fällen wurde das Sterben durch Einstellung der Substitution mit Flüssigkeit und Nahrung erreicht. Keiner unserer Mandanten ist qualvoll verhungert oder verdurstet, weil alle Fälle von palliativmedizinisch geschulten Ärzten und Pflegern betreut wurden. Meist in Zusammenarbeit mit einem Team von Hospizhelfern, Therapeuten und Seelsorgern beider großen Kirchen.”
Wolfgang Putz, RA und Beate Steldinger, RAin
Quelle Münchener Merkur online vom 14.04.2005:
Bericht über die öffentliche Veranstaltung des Bayrischen Justizministeriums in Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin, dem Lehrstuhl für Strafrecht und dem Lehrstuhl für Rechtsmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität München am 13. April, 10 12 Uhr:
” Die Patientenverfügung ist ein probates Mittel gegen Angst und Verunsicherung. Doch die deutschlandweite Debatte über Sterbehilfe wird beherrscht von Unwissenheit und Verwirrung bei Laien genauso wie bei Experten.
Dabei ist zumindest die gegenwärtige deutsche Rechtslage eindeutig, wie ein Expertengespräch im Pathologischen Institut in München am Mittwoch bestätigte. Die bayerische Justizministerin Beate Merk betonte: “Entscheidend ist der Wille des Patienten.” Nur wenn der Wille gar nicht zu eruieren sei, müsse dem Schutz des Lebens der Vorrang eingeräumt werden. “Die Würde des Menschen ist nicht nur im Leben, sondern auch im Sterben unantastbar”, sagte Merk.
Angst haben die Menschen aktuell aber nicht nur davor, dass ihr Wille nicht respektiert wird. Die Debatte und das damit verbundene unreflektierte Streuen von Begriffen hat auch Angst vor dem Sterben an sich geschürt. Immer wieder war in Zusammenhang mit Terri Schiavo vom “jämmerlichen Verhungern und Verdursten” die Rede. Medizinische Erkenntnisse sprechen eine andere Sprache. “Durst wird am Lebensende nicht als Durst wahrgenommen”, sagt Rechtsmediziner Eisenmenger. “In der Sterbephase verspüren Patienten keinen Hunger”, erläutert Borasio.”