Endlich Gesetz: Ärzte künftig an Patientenverfügung gebunden
Der Streit um Patientenverfügungen, Selbstbestimmung am Lebensende und Sterben-Lassen ist beendet: Der Bundestag hat heute eindeutige gesetzliche Regeln für Patientenverfügungen auf den Weg gebracht. Ärzte sind künftig an den schriftlichen Willen des Vorsorgenden gebunden.
Bundestag stimmt für Entwurf des Abgeordneten Stünker
Bis zuletzt haben die Parlamentarier um dieses Gesetz gerungen, eine grundsätzliche ethische und verfassungsrechtliche Debatten geführt. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) mahnte noch am Mittwoch: "Eine schwache Beteiligung an der Abstimmung würde kein gutes Licht auf den Bundestag werfen."
Nach 6 jähriger Debatte hat der Bundestag eine gesetzliche Regelung zu Patientenverfügungen verabschiedet. Sie haben in Deutschland künftig hohe rechtliche Verbindlichkeit und müssen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung beachtet werden. Der Bundestag beschloss am Donnerstag in Berlin mit 317 Stimmen in namentliche Abstimmung eine entsprechende gesetzliche Regelung. Der Vorlage des SPD-Abgeordneten Joachim Stünker folgten ein Großteil der SPD-Fraktion sowie viele Abgeordnete der FDP, Linken und eine Reihe von Grünen.
Union tief gespalten
Die Union zeigte sich in der Debatte tief gespalten. Fraktionschef Volker Kauder, CDU, hatte einen Antrag seines Parteikollegen Hubert Hüppe unterstützt, der vorsah, auf jegliche Regelungen zu verzichten. "Das Sterben kann man nicht bis zur letzten Minute regeln, schon gar nicht mit Gesetzen", sagte Hüppe. Sein Antrag, den auch die Bundesärztekammer unterstützte, fiel in der Abstimmung jedoch glatt durch. Letzlich zog Stünkers Mahnung: "Wir müssen die Kraft aufbringen, heute eine Entscheidung zu treffen. Die Leute warten darauf!"
Heute am frühen Nachmittag begann die abschließende Aussprache: Die große Medienresonanz und vielleicht auch die Kampagnen verschiedener Organisationen (Humanistische Union, Deutsche Hospizstiftung, Humanistischer Verband) in den letzten Tagen hatten den Abgeordneten klargemacht: Es ging bei der Abstimmung um Außenwirkung des Parlaments. Mehr als über 555 (der insgesamt 612) Abgeordnete füllten die vorher nur spärlich gefüllten Reihe des Bundestags.
Am Ende klare Mehrheit
Am Schluss des Abstimmungsmarathons erhielt der Vorschlag der Gruppe um den SPD-Abgeordneten Stünker eine unerwartet klare Mehrheit vor den beiden Alternativ-Entwürfen, die beide von Unionspolitikern (Bosbach und Zöller) eingebracht worden waren. Die Abstimmung war frei, es gab also keinen Fraktionszwang.
Das Gesetz soll Rechtssicherheit schaffen für Patientenverfügungen. Es sieht vor, dass der Arzt dem schriftlichen Willen des Patienten folgen muss – auch wenn das unter Umständen den Tod des Erkrankten bedeutet. Die verbreitete Vorstellung, eine notarielle Beglaubigung würde die Verbindlichkeit der Patientenverfügung erhöhen, hatten drei abgestimmten Entwürfe zurückgewiesen. Allerdings muss die Patientenverfügung jetzt schriftlich vorliegen und die Situationen, in denen Ärzte den speziellen Wünschen des Patienten folgen sollen, konkret beschreiben. Nach Möglichkeit soll ein Vertrauter als Bevollmächtigter benannt werden, der im Falle eines Falles die Verfügung zur Geltung bringt.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries begrüßte die Entscheidung als „mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Patientenverfügungen". Sie verwies darauf, dass die beschlossene Regelung keine Reichweitenbeschränkung beinhalte. Patientenverfügungen gelten danach in jeder Lebensphase und in jedem Krankheitsstadium – nicht nur bei irreversibel tödlichem Verlauf. Bei Missbrauchsgefahr oder Zweifeln über den Patientenwillen entscheide das Vormundschaftsgericht als neutrale Instanz.
Humanisten erleichtert, Kirchen enttäuscht
Auch Dr. Horst Groschopp, Präsident des Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) zeigte sich erleichtert, dass „ein Scheitern, welches durch wertkonservative Kreise drohte, Dank einer Allianz für Autonomie am Lebensende in letzter Minute abgewehrt werden" konnte. Der HVD hatte sich für den Stünker-Entwurf ausgesprochen, Groschopp erwartet nun „in der Praxis einen hohen Bedarf nach qualifizierter Beratung". Der HVD sei darauf gut vorbereitet. Zu erwarten sei, dass Bürger/innen auch „ihre bestehenden Patientenverfügungen überprüfen und neu anpassen werden".
Die Kirchen haben das vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Patientenverfügung kritisiert. „Das Gesetz stellt keine Verbesserung gegenüber der bisherigen Rechtslage dar", sagte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, am Donnerstag in Hannover. Es sei „gerade der vom Abgeordneten Joachim Stünker initiierte Entwurf, der in den Kirchen erhebliche Kritik auf sich gezogen hat" sagte Huber. Der Gesetzentwurf gehe einseitig von einer zu eng gefassten Vorstellung von Selbstbestimmung aus: „Die Balance zwischen Selbstbestimmung und Fürsorge stimmt nicht", betonte Huber.
Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, wies auf die einseitige Selbstbestimmung der Patienten hin. „Selbstverständlich sind Patientenverfügungen sinnvoll", unterstrich Zollitsch. Aber: „Nochmals betonen wir, dass Patienten im Wachkoma und Patienten mit schwerster Demenz sich nicht in der Sterbephase befinden", unterstrich Zollitsch.
Eher skeptisch äußerte sich auch die Deutsche Hospiz Stiftung: Ein Gesetz sei zwar besser als keins, sagte der Geschäftsführende Vorstand Eugen Brysch. Er kritisierte aber insbesondere, dass keine Beratungspflicht eingeführt wurde (wie dies ein Unionsentwurf vorgesehen hatte). Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALFA) sprach von einer Katastrophe sowohl für den Lebensschutz als auch für das Selbstbestimmungsrecht von Patienten am Lebensende.