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Fortlaufende Kommentare, Hintergründe: Warum tötet Krankenpfleger serienmäßig?

10. Nov 2008

Aus: Süddeutsche Zeitung vom 04.08., Interview: “Ideales Umfeld in Klinik und Heim” mit Rudolf Egg, Leiter der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden. (Von Joachim Käppner)

SZ: Was bringt Menschen, deren Beruf doch das Helfen ist, eigentlich dazu, Alte und Schwerkranke zu töten? Als Motiv nennen die Täter ja meist Mitleid.

Egg: Was man durchaus bezweifeln darf. Es gibt ja auch das Motiv der Erbschleicherei: Ein Betreuer gewinnt das Vertrauen alter Menschen und veranlasst sie, ihm ihr Geld zu vermachen, bevor er sie umbringt. Aber bei Fällen wie in Sonthofen scheint es um etwas ganz anderes zu gehen. Hier sieht es eher so aus, als würde das Motiv Mitleid benutzt, um andere, egoistische Motive zu verdecken. Es waren ja offenbar keine Tötungen auf Verlangen der Patienten, was zwar auch strafbar, aber anders zu bewerten wäre. Es geht hier nicht darum, dass schwerstkranke Menschen gebeten haben, von ihrem Leid erlöst zu werden

SZ: sondern der Täter hat alleine entschieden?

Egg: Ja, er hat sich zum Herrn über Leben und Tod aufgeschwungen und behauptet, er habe das Leid der Kranken nicht mehr mit ansehen können. Fragt man genauer nach, warum solche Täter ohne Wissen und Wunsch der Betroffenen getötet haben, zeigt sich, dass das Motiv eher Macht und Dominanzstreben als Mitleid ist. Sie wollen selbstherrlich entscheiden, ob ein Leben lebenswert ist oder nicht. Solche Täter glauben, dass das Leben ihnen etwas schuldig geblieben ist. Sie haben sich etwa zum Chefarzt berufen gefühlt, zum großen Heiler, es aber nur zum Pfleger gebracht. Dann reden sie sich ein: Ich leiste trotzdem etwas Großartiges, denn ich bin derjenige, der die Leidenden von ihren Qualen erlöst.

SZ: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Fälle, die gar nicht erkannt werden?

Egg: Dass es Tötungen von Patienten und Pflegebedürftigen gibt, die gänzlich unerkannt bleiben, halte ich für sehr wahrscheinlich. Statistisch kommen Delikte wie das in Sonthofen nur alle zehn Jahre einmal vor; ich gehe aber davon aus, dass es mindestens genauso viele unentdeckte Fälle gibt, die Hälfte der Patiententötungen also gar nicht entdeckt wird aber das ist natürlich nur eine Vermutung.

SZ: Warum ist es so schwer, diese Taten zu entdecken?

Egg: Den Tätern bietet sich in Krankenhäusern und Heimen ein fast ideales Umfeld. Dort gehört der Tod zum Alltag. Wenn ein schwerkranker alter Patient stirbt, kommt doch meist gar nicht der Verdacht auf, dass er Opfer eines Verbrechens sein könnte. In Sonthofen wurde der mutmaßliche Täter deshalb entdeckt, weil es viele Todesfälle in sehr kurzer Zeit gab und viele Medikamente gestohlen wurden. Der Diebstahl von Medikamenten ist in Krankenhäusern und Pflegeheimen aber gar nicht so selten und fällt oft nicht weiter auf.

SZ: Die Hospiz-Stiftung macht die desolate Situation bei der Pflege sogar für die Taten im Sonthofener Klinikum mitverantwortlich.

Egg: So einfach darf man es sich nicht machen. Das klingt eher nach der Instrumentalisierung eines schrecklichen Verbrechens. Personalmangel, Stress und Überforderung in der Pflege führen sicher immer wieder dazu, dass Patienten vernachlässigt oder misshandelt werden. Das ist schlimm, und es ist richtig, auf solche Missstände hinzuweisen. Es ist aber nicht zu vergleichen mit einem Serientäter, der zahlreiche Patienten tötet.


Psychiatrie-Studie zu Patienten-Tötungen, aus Süddeutsche Zeitung vom 04.08. (von Heidrun Graupner):

“Das Zerrbild des eigenen Todes vernichten

Warum töten Pfleger und Krankenschwestern, Ärztinnen und Ärzte Menschen, die sie behandeln und pflegen sollen? Warum werden geschätzte und beliebte Vertrauensleute zu Serientätern? Und warum werden die Taten oft erst nach Jahren zufällig entdeckt?

Karl-Heinz Beine forscht weiter, in Budapest, in Luzern, in den USA, in Frankreich und in Sonthofen. Der Chefarzt für Psychiatrie am St. Marien-Hospital in Hamm hat die erste systematische Studie zum Thema “Patiententötungen” vorgelegt, doch immer neue Fälle kommen hinzu

Aus welchen Motiven handelte etwa der von allen Kranken geliebte englische Hausarzt Harold Shipman, der über Jahrzehnte hinweg an die 300, vielleicht aber auch 500 Patienten mit Morphium in den Tod gespritzt hat? Shipman selbst hat über sein Motiv geschwiegen. Er erhängte sich im Februar in seiner Zelle.

Zwölf Tötungsserien in der BRD Der Kriminalwissenschaftler Stephan Harbort, führender Kenner des Phänomens des Serienmordes, geht davon aus, dass es in der Bundesrepublik bisher zwölf Tötungsserien an Patienten gegeben hat. So tötete 1986 in Wuppertal eine Krankenschwester fünf alte Menschen; 1991 brachte ein Krankenhauspfleger in Gütersloh zehn Patienten mit Luftinjektionen zu Tode; 1996 tötete ein Pfleger in einem Berliner Bundeswehrkrankenhaus fünf Patienten. “Gibt es noch ein Tötungstabu”, fragte der Krankenpfleger und Buchautor Hans Wittig nach diesen und anderen Fällen.

Die Frage nach dem Motiv steht bei allen Tötungsserien im Vordergrund. Manches Mal spielt bei den Taten Habgier eine Rolle, so beispielsweise vor drei Jahren in Bremerhaven, als ein Altenpfleger den Mord an fünf alten Frauen gestand. Doch Habgier ist eine Ausnahme. Die meisten Täter geben Mitleid mit Schwerstkranken als Grund an. Doch eben das scheidet nach der Studie des Psychiaters Beine als Tötungsmotiv aus. Es sei nicht Mitleid, sagt Beine, sondern die Unfähigkeit der Täter, Leidenszustände aushalten zu können.

Heimliche Komplizen

“Der Täter will das Leiden abschaffen, in dem er den Träger des Leidens abschafft und das Zerrbild des eigenen Todes vernichtet.” Auch Machtgefühle als Tatmotiv zweifelt Beine an, es gehe dann um eine persönliche Niederlage, weil man ohnmächtig gegenüber Leiden sei, es nicht abwenden könne. Die Täter sind nach Beines Untersuchungen in der überwiegenden Mehrheit Männer. Charakterlich gelten die meisten als selbstunsicher. Sie haben privat kaum Kontakte, gehen nicht zu Einladungen. Gleichzeitig aber sind sie oft Vertrauensleute, sehr geschätzt und beliebt, ob als Pfleger oder als Arzt.

Über ihre Taten sprechen sie mit niemandem, doch gaben viele genaue Prognosen über den Todeszeitpunkt eines Patienten ab. Die Selbstisolation bezeichnet Beine als Warnhinweis, ebenso eine verrohte Sprache, der Psychiater nennt dies eine “zynische Erstarrung”

Die erste Tat steigert die Tötungsbereitschaft

Hinweise auf Tötungen aber werden übersehen oder verdrängt, denn solche Taten sind für jede Klinik und jedes Heim eine Katastrophe, der Super-GAU wie sich Beine ausdrückt. “Am Ort des gewöhnlichen Sterbens ist die Wahrscheinlichkeit gering, eine Tat zu entdecken,” sagt Beine. Auch seien alle angetreten, zu heilen und zu helfen, daher werde das Töten selbst in Gedanken für unmöglich gehalten. Nach der ersten Tat steige aber die Bereitschaft, wiederholt zu töten.

Vorbeugend, meint der Psychiater, helfe eine Arbeitsatmosphäre, in der das Personal über seine aggressiven Fantasien reden könne. “In Heimen und Kliniken arbeiten Menschen wie wir, die aber in ihrer Arbeit abgewertet werden, auch das spielt eine Rolle.”


Quelle: Internetforum www.gesetzeskunde.de:

“Hallo

Zu allererst” Ich billige es nicht was dieser Pfleger getan hat”, kann es in gewissen Grenzen aber verstehen. Auf der Station auf der ich Arbeite haben wir sehr viele Krebs und Strahlen Patienten. Für viele junge Patienten (ab 30 Jahre) sind wir die letzte Station in ihrem Leben. Die Patienten haben Schmerzen, leiden, und sind sehr oft ziemlich verzweifelt, mutlos etc So sind wir täglich dem Leiden und Sterben ausgesetzt, haben durch Sparmaßnahmen was Neueinstellungen angeht und der Forderung auf mehr Service, der Dokumentationsflut, den 1001 Plänen, die ausgefüllt werden müssen, dem Zeitmangel etc. ein chronisch schlechtes Gewissen den Patienten gegenüber. Und es ist niemand da bei dem man sich mal so richtig aussprechen könnte. Wir arbeiten oft am Rande unserer seelischen und körperlichen Kräfte. Wir sind alleingelassen und wir stehen dem Leiden hilflos gegenüber. Die Fluktuation ist sehr hoch, wer nicht mehr kann, seine Grenzen kennt, der kündigt. Aber was ist mit den Menschen die ihre Grenzen nicht kennen die in diesem ganzen Arbeitsstress untergehen. Jeder ist mit sich beschäftigt und versucht zu funktionieren. Wen wundert’s wenn dann mal ein Pflegender nicht nur auf “dumme” Gedanken kommt, sondern, wenn seine Hilferufe (die fast immer da sind) ungehört bleiben, seine Gedanken in die Tat umsetzt? Solche Täter sind meisten auch Opfer.

Klar er muss bestraft werden, er braucht aber auch Hilfe.

Auch die Kranken -und Altenpflege generell braucht Hilfe, sie ist ein Patient der ziemlich schwer krank ist.

An allen Ecken und Enden wird gespart, gekündigt, immer noch mehr verlangt, auf dem Rücken derer die zu geben bereit sind. An die Politiker und Gesundheitsreformer: “Helft den Pflegenden menschenwürdig zu Pflegen und ihr helft automatisch den Patienten. Auch Ihr könnt jederzeit zum Patienten werden und auch Ihr werdet alt und braucht vielleicht mal Pflege.” Christa


Kommentar aus: Süddeutsche Zeitung, 04.08.2004 (Von Dietrich Mittler und Klaus Schlösser):

“Mord an Patienten Ein Mann mit vielen Gesichtern

Der “Todespfleger von Sonthofen” galt als hilfsbereit und höflich, aber auch als eigensinnig seine wahren Motive liegen im Dunkeln.

Im Fragebogen seiner Abschlussklasse hatte Stephan L., den nun alle Welt als “Todespfleger der Klinik Sonthofen” kennt, sein kleines Glück definiert: “Heiraten, Familie und im Allgäu ein Haus”. Nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt entdeckte er zusammen mit seiner Freundin Daniela im Oberallgäuer Ferienort Gunzesried das Traumhaus: mit Feuerholz vor der Tür, Blick auf Tannen und Berggipfel.

Nichts unterschied L. auf der Suche nach einem ruhigen, bürgerlichen Leben von den anderen Dorfbewohnern. Die sind nun umso entsetzter, zu welchen Taten ihr Nachbar fähig war. Seit der Festnahme des 25-Jährigen, der die Tötung von zehn Patienten gestanden hat, ist die untere Wohnung im zweistöckigen Gebäude verwaist. Stephan L. sitzt in Untersuchungshaft, die Polizei untersucht gerade bis zu 30 weitere Todesfälle in seiner Zeit in der Klinik. L.s Freundin rettete sich vor Kamerateams zu ihren Eltern. Das Paar wirkte “nett, hilfsbereit”. L. war nicht um Kontakte bemüht, aber wenn er ins Gespräch kam, zeigte er sich offen und freundlich. Einmal stellte sich der Krankenpfleger bei einer Übung der Ortsfeuerwehr sogar als “verletztes Opfer” zur Verfügung. Sonthofener Pflegekräfte beschreiben Stephan L. ebenfalls als “hilfsbereit und höflich”, aber auch als “introvertierten, wenig teamfähigen und eigensinnigen Einzelgänger”, der offensichtlich mehrere Gesichter hatte.

“Pflegen Sie so, wie sie selbst gepflegt werden wollen” Stephan L. hatte bei seiner Bewerbung in Sonthofen gute Zeugnisse vorgelegt. Seine Ausbilderin an der Schule für Pflegeberufe im württembergischen Ludwigsburg hatte ihm und seinen Mitschülern nach bestandener Prüfung hehre Ziele ans Herz gelegt: “Pflegen Sie Ihre Patienten so, wie sie selbst gepflegt werden wollten. Sprechen Sie mit den Patienten und deren Angehörigen so, wie Sie erwarten, dass mit Ihnen gesprochen wird.”

Stephan L. war ein intelligenter Schüler, der sich in der Freizeit auch viele Stunden lang mit Mobilfunk und Computern auseinander setzte und für eine Fachzeitschrift Sender ausfindig machte. Aber in der Berufspraxis mit bisweilen schwierigen Patienten stieß er offenbar immer wieder an seine Grenzen.

In der Boulevardpresse rütteln ehemalige Kollegen inzwischen am Bild des hilfsbereiten Pflegers, der seine Opfer nach eigener Aussage nur deshalb getötet haben will, weil er das Leid der kranken und dahinsiechenden Menschen nicht mehr ertragen konnte: “Wenn ein Patient zum Beispiel viel erbrach und damit Arbeit machte, konnte er sehr unangenehm werden.” Nach bisheriger Erkenntnis der Polizei waren beileibe nicht alle Opfer des 25-Jährigen todkrank. Die Ermittler wollen deshalb nicht ausschließen, dass Stephan L. eher aus Überlastung und aus Selbstmitleid tötete.


Kommentar aus: Merkur online vom 30./31.07.2004

“Falscher Weg aus Hilflosigkeit (von Boris Forstner)

“Todesengel” werden solche Menschen gerne genannt. Ein unpassender Begriff für einen Pfleger, der ihm anvertraute Patienten ins Jenseits befördert. “Todesgott” würde besser passen, denn als Herrscher über Leben und Tod spielen sich solche Täter auf. Wenn der 25-jährige Pfleger, der im Krankenhaus Sonthofen zehn schwer kranke Menschen in den Tod gespritzt haben soll, von “Erlösung” spricht, die er den “dahinsiechenden” Patienten gönnen wollte, ist das eine tragische Anmaßung.

Während seiner Ausbildung ist der Pfleger immer wieder mit schwer kranken Patienten konfrontiert worden. “Subjektiv total überfordert” und in seiner Funktion “fehlplatziert” hat ihn der renommierte Psychiater Franz Joseph Freisleder in einer ersten Reaktion beschrieben. Das muss dem jungen Mann auch bewusst gewesen sein. Doch er zog nicht die richtige Konsequenz aus seiner Hilflosigkeit den Patienten gegenüber: Anstatt sich einen anderen Beruf zu suchen, wollte er den Kranken auf seine Art helfen. Ob er sie vor seinen Taten gefragt hat, es quasi Töten auf Verlangen war, ist noch unklar. Doch spielt es auch keine Rolle: Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten bei Beispielen wie diesem aus gutem Grund.

Gegen solche Täter gibt es kaum Schutz. Zu leicht ist der Zugriff auf Medikamente und das Wissen über die Wirkung. Allein die Vorstellung, dass viele dieser Taten unerkannt bleiben können, lässt einen schaudern.”


Kommentar aus Berliner Zeitung vom 31.07. (von Christian Bommarius)

“DER TODESENGEL wieder plötzlich und unerwartet

Was uns nicht beunruhigt: Mindestens jeder zweite Mord und Totschlag bleibt in Deutschland unentdeckt. Was uns nicht interessiert: Die Ursache des gigantischen Dunkelfelds liegt vor allem in der fehlenden Qualifikation der meisten Ärzte zur Leichenschau. Was uns aber alle Jahre wieder und von Fall zu Fall entsetzt, das ist das Werk eines so genannten Todesengels, dem wegen Serienmord oder verbotener Sterbehilfe schwerstkranker alter Patienten in Krankenhäusern der Prozess gemacht wird. Von den etwa 900.000 Menschen, die in Deutschland Jahr für Jahr zu Tode kommen, sterben zwischen 600.000 und 700.000 in Krankenhäusern. Der Verdacht, in diesen Todeszentralen werde womöglich nicht nur nach dem Willen der Natur gestorben, sondern in einer unbekannten Zahl von Fällen nach dem Willen eines Arztes oder des Pflegepersonals, ist wohl zu nahe liegend, um ernsthaft erwogen zu werden. Deshalb das Entsetzen, wenn wieder einmal die Tötungsserie eines Todesengels ruchbar wird wie soeben im Krankenhaus Sonthofen die zehnfache Patiententötung eines Pflegers. Wie fast stets, wurde die Tat durch Zufall entdeckt und gibt der Täter an, er habe das Leid der moribunden Patienten nicht ertragen. Und wie stets, wird auch diesmal niemand die Warnung des Gerichtsgutachters Herbert Maisch beachten: “Eine Gesellschaft, die dem Anblick des Sterbens entfremdet ist, überlässt jenen den Spagat zwischen Anforderung und Realität im Umgang mit Todkranken, die man irrtümlich für zuständig und kompetent hält.”


Meldung vom 30. Juli 2004 / Quelle: Yahoo Nachrichten

“Tötungsserie an Oberallgäuer Klinik 25-jähriger Krankenpfleger soll mindestens zehn Patienten umgebracht haben

Sonthofen/Kempten (ddp). Angeblich aus Mitleid mit mehreren kranken Senioren wurde ein 25-jähriger Krankenpfleger in Sonthofen im Allgäu zum “Todesengel”. Mindestens zehn Patientinnen und Patienten im Alter von 60 bis 89 tötete er eigenen Angaben zufolge mit Medikamenten. Der aus Baden-Württemberg stammende Mann war erst seit einem Jahr in seinem Beruf tätig.

Staatsanwaltschaft und Polizei informierten am Freitag in Kempten die Öffentlichkeit über den Fall einen Tag nachdem die Ermittler in einer Klinik im Oberallgäu auf eine Serie von Tötungen gestoßen waren. Aufgeflogen ist das Verbrechen durch die Aufmerksamkeit eines Arztes am Sonthofener Krankenhaus. Ihm war am 15. Juli aufgefallen, dass drei Medikamente in größerer Menge gestohlen worden waren. Umgehend schaltete er die Polizei ein. Bei den Mitteln handelte es sich um zwei Schlaf- und Narkosemittel und ein muskellähmendes Mittel namens Lysthenon, das Kripo-Ermittler Eberhard Bernhard als “Tod bringend” bezeichnete. Die Atmung höre schon nach kurzer Zeit auf, wenn nicht Gegenmaßnahmen ergriffen würden.

Kurz nachdem der Diebstahl bemerkt wurde, starb in der Sonthofener Klinik eine Frau an Herzversagen. Der behandelnde Arzt hatte jedoch Zweifel an der Todesursache, brachte den Diebstahl mit dem Todesfall in Verbindung und verständigte die Ermittler.

Am Donnerstag zwei Wochen nachdem der Diebstahl bemerkt worden war wurde der 25-jährige Krankenpfleger schließlich festgenommen. Schon kurz nach seiner Festnahme legte er ein umfassendes Geständnis ab. “Er gestand zehn Taten und zwar von den Personen, an deren Namen er sich erinnern konnte”, sagte Kripochef Albert Müller.

Trotz des Geständnisses bleibe freilich ein schlimmer Verdacht, betonte Müller. Nachdem die entwendeten Medikamente für 18 bis 20 Tötungsdelikte ausgereicht hätten, müsse man wohl noch Schlimmeres befürchten. Der Kripo-Chef sagte: “Weil wir keine Medikamentenreste gefunden haben, müssen wir davon ausgehen, dass es noch weitere Opfer gibt.” Nach Auffassung der Ermittler könnten weitere acht bis zehn Patienten getötet worden sein.

Der Krankenpfleger gab an, er habe das Leiden der sechs kranken Frauen und vier Männer nicht mehr ertragen können. Dabei waren Polizeiangaben zufolge einige bei weitem nicht so krank, wie der 25-jährige behauptete. Noch sei das Krankheitsbild jedes einzelnen Opfers nicht geklärt, womöglich müssten auch noch einige Exhumierungen vorgenommen werden. Neun der zehn bislang bekannten Toten stammen aus Sonthofen, ein getöteter Patient aus Immenstadt.

Rätselraten herrscht bei den Ermittlern, was den jungen Krankenpfleger wirklich zu der Tat veranlasst haben könnte. Die Mitleidsgeschichte scheinen die Kripobeamten zu bezweifeln. Ein finanzielles Motiv sei nicht erkennbar, heißt es. Es gebe keinerlei Hinweise, dass mögliche Erbabsichten bestanden. Auch von privaten Problemen des 25-Jährigen sei nichts bekannt.

Selbst bei erfahrenen Polizisten und Staatsanwälten ist der Schock über diesen Fall groß. Der Leitende Oberstaatsanwalt Herbert Pollert sagte, so etwas habe es in den vergangenen Jahrzehnten im Allgäu nicht gegeben. “Wenn man die Zahl der Fälle sieht und bedenkt, dass es womöglich noch weitere Opfer gibt, dann schaudert es auch einen Staatsanwalt, der Todesfallermittlungen gewöhnt ist.”


Siehe auch FAZ vom 13.10.2004:

http://www.faz.net/s/Rub77CAECAE94D7431F9EACD163751D4CFD/Doc~EE80D82D282714805A4E68D363D3E3B21~ATpl~Ecommon~Scontent.html