Fragwürdige Sterbehilfe im Verborgenen durch Palliativmedizin?
Übersicht:
1. Ergebnisse einer anonymen Befragung: Ärzte leisten fragwürdige Sterbehilfe an Palliativpatienten
2. Empörte und entsetzte Reaktionen
3. Klar- bzw. Gegendarstellungen von Vertretern der Palliativmedizin
4. Kommentar: Palliativmedizin neigt zu Übergriffigkeit und Ausgrenzung – leider auch in neuer Charta zur Sterbebetreuung
5. Weitere Meldungen
1. Bochumer Studie: Ärzte leisten fragwürdige Sterbehilfe an Palliativpatienten
Namhafte Vertreter der Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) und die Gesellschaft selbst sahen sich in der letzten Woche zu Gegen- bzw. Richtigstellungen veranlasst. Tenor: Anders als in zahlreichen Medien fälschlich wiedergegeben, seien ihre ärztlichen Mitglieder keineswegs Todesengel. Wie das? Für öffentliches Aufsehen und teilweise auch Entsetzen hatten die Ergebnisse einer anonymen Befragung unter Leitung von Prof. Jochen Vollmann gesorgt.
Aufsehenerregende Ergebnisse: Gezielte Lebensverkürzung auch ohne Einwilligung der Patienten
In einer Studie des Instituts für Medizinische Ethik der Bochumer Ruhr-Universität (hier kurz Bochumer End-of-life-Palliativ-Studie genannt) wurden 780 Ärzte, alle Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, anonym zu Todesfällen befragt. Es ging u. a. darum herauszufinden, ob sie schon lebensverkürzende Sterbehilfe geleistet hätten. Es zeigte sich zunächst wenig überraschend: In 78 Prozent (also drei Viertel) der Fälle wurden therapeutische Maßnahmen begrenzt und / oder für einen Teil der betroffenen Patienten ein früherer Todeseintritt durch lindernde Maßnahmen erwartet.
Erstaunlich jedoch: In 47 Fällen, das sind sechs Prozent, wurden die Patienten nicht über eine mögliche Lebensverkürzung informiert, obwohl sie zum Zeitpunkt der Entscheidung als selbstbestimmungsfähig eingeschätzt wurden. Das beste Interesse des Patienten und die Vermeidung von Schaden wurden als Gründe für ein solches Vorgehen angegeben.
Doch ein anderes Ergebnis hat für Aufsehen in den Medien sowie der Palliativszene gesorgt: In zehn Fällen gaben Mediziner an, den Tod eines Schwerkranken sogar absichtlich herbeigeführt zu haben. Neun gestanden (anonym) eine direkte Tötung durch Medikamente, davon sieben auf Verlangen, zwei sogar ohne Verlangen des Betroffenen. Einer gab an, einem Patienten ein todbringendes Mittel zum Suizid gereicht zu haben.
Quellen: www.derwesten.de/nachrichten/Fragwuerdige-Sterbehilfe
www.focus.de/palliativmedizin-aerzte-entscheiden-fuer-patienten
Patientenverfügung-newsletter bereits vom 7. März 2010 aufgrund Vorab-Bericht auf Deutschem Krebskongress www.patientenverfuegung.de/palliativmediziner-wir-haben-auch-verbotene-sterbehilfe-geleistet
Prof. Vollmann bewertet diese Ergebnisse wie folgt: Die neuen empirischen Forschungsergebnisse sollten als Grundlage für eine ehrliche Debatte über zeitgemäße ethische Richtlinien zum ärztlichen Handeln am Lebensende genutzt werden. Quelle und Studie: http://www.idw-online.de/pages/de/news385079
2. Empörte und entsetzte Reaktionen
Die öffentlichen Reaktionen auf die Studie aus Bochum ließen nicht auf sich warten, hier eine Auswahl:
Die NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne): Wenn das, was in der Studie steht, die Wahrheit ist, dann hat das nichts mehr mit dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten zu tun. Die Entscheidung, ob ein Mensch mit Schmerzen länger leben oder ohne Schmerzen früher sterben würde, muss der Mensch schon selber treffen dürfen.
Dr. Marianne Kloke, Leiterin des Zentrums für Palliativmedizin am Essener Huyssenstift, hat von Ärzte-Kollegen erfahren, dass die Versuchung nach Sterbehilfe besteht. Die Gründe: Weil sie das Leid nicht mehr aushielten, weil ihnen fachlich nichts mehr einfiel. Kloke: Wir dürfen als Ärzte nicht über das Leben von Patienten verfügen und selbstverständlich machen wir uns strafbar. Quelle: www.derwesten.de/Wirbel-um-Studie-zur-Sterbehilfe
WAZ-Kommentar vom 09.09.: Es ist schockierend: Viel mehr Ärzte, als selbst größte Kritiker geglaubt haben, geben zu, mit ihrer Therapie den früheren Tod Sterbenskranker in Kauf zu nehmen. Das ist furchtbar. Und wird noch schlimmer, weil dies ohne Wissen des Patienten geschieht
Deutsches Ärzteblatt – 06.09.2010:
“Bochum Um sterbenden Patienten Schmerzen zu ersparen, nehmen Palliativmediziner häufig den früheren Tod des Patienten in Kauf. … `Es ist bemerkenswert, dass ein Teil der befragten Ärzte eine Verkürzung des Lebens als Konsequenz ärztlichen Handelns nicht nur vorhersieht sondern beabsichtigt´, resümierte Jan Schildmann vom Institut für Medizinische Ethik der RUB.
3. Klar- bzw. Gegendarstellungen von Vertretern der Palliativmedizin
Interview mit Dr. Jürgen Thomas, Mitglied im Palliativnetz Bochum und Vorstand des Hospizvereins Wattenscheid.
Dr. Thomas:” Betroffene müssen sich darauf verlassen können, dass der Palliativmediziner nicht als Todesengel kommt. Eine der Grundfesten der Palliativmedizin ” Quelle www.derwesten.de/Palliativmediziner-kommt-nicht-als-Todesengel
Interview “Alternative zu aktiver Sterbehilfe” mit dem Palliativprofessor Christof Müller-Busch, kooptiertes Vorstandsmitglied der DGP:
Frage: Haben Sie sich über die Studie geärgert? Müller-Busch: Mehr über die Berichterstattung. Die Studie, die im internationalen Rahmen durchgeführt wurde, hat wichtige Erkenntnisse gebracht. Leider ist sie in der Öffentlichkeit missverstanden worden.
Frage: Die Deutsche Hospiz Stiftung bezeichnete sie als alarmierend.
Müller-Busch: Weil sie sie falsch interpretiert hat. Da wurde die schwierige Entscheidungssituation in Einzelfällen nicht berücksichtigt. Wenn z.B. ein Mensch mit einer tödlichen Erkrankung im Endstadium in eine Blutung kommt und der Arzt ein bewusstseinssenkendes Medikament gibt, dann ist das eine Notfallmaßnahme, in der man nicht erst nach Unterlagen suchen kann. Weiter: www.emsdettenervolkszeitung.de/nachrichten/politik
Stellungnahme der dgp zur Studie “End of Life practices …”
4. Kommentar: Palliativmedizin mit Hang zur Ausgrenzung leider auch in der Präambel der neuen Charta zur Sterbebetreuung
Die Bochumer End-of-life-Palliativ-Studie ist in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) entstanden. Dieser ist zugute zu halten, an dieser international angelegten Vergleichsstudie mitgewirkt zu haben, statt dass, wie bisher üblich, nur mit dem Finger auf entsprechende Ergebnisse aus anderen Ländern wird (wie v. a. aus den Niederlanden, wobei der Vorwurf ja stets für einen bestimmten Prozentsatz lautete: Ärztliche Tötung bzw. Abspritzen auch ohne Patientenwillen).
Ärztliche Aufklärung, wie juristisch und medizin-ethisch gefordert, mag in der sterbensnahen, emotional aufgewühlter und rational eingeschränkter Gesamt-Familien-Situation vielleicht nicht immer leicht möglich sein. Wenngleich ein sanfter Paternalismus hier unverkennbar ist, sollte die Palliativmedizin am Lebensende deshalb in Schutz genommen werden mit einer entscheidenden Einschränkung: Nämlich nur dann, sofern von den Patienten eine Einstellung erwartet werden kann, welche exakt jener der Palliativmedizin entspricht (Lebensqualität vor maximaler Lebensverlängerung).
Dies nicht abzuklären, sei es in rechtzeitiger Absprache oder durch eine ergebnisoffene Patientenverfügung, ist sträflich und gefährlich. Da erfahrungsgemäß insbesondere die Ziele von Palliativpatienten, die nicht mit denen ihrer behandelnden Ärzte übereinstimmen, in besonderem Maße unberücksichtigt bleiben. Die Palliativmedizin neigt wie die Hospizbewegung leider zu Übergriffigkeiten bzw. gar Allmachts- und Alleinvertretungsansprüchen.
Übergriffigkeit im Suizidfall Brauchitsch
So ist die mangelnde Zurückhaltung ihrer Vertreter äußerst befremdlich, die sich wie hier auch im Fall des Ehepaares Brauchitsch als Alternative zur (ärztlich assistierten) Suizidhilfe öffentlich in Szene setzen. Wir erinnern uns: Beide waren schwer, aber nicht tödlich erkrankt, er litt an Lungenemphysem mit schwerer Atemnot. Offenbar fällt es Prof. Nauck, dem neuen Präsidenten der DGP nicht auf, wie zynisch seine folgenden Äußerung in den Ohren hochbetagter leidender Menschen klingen mögen, die ja gerade dem von ihm beschriebenen Ende und ihrem als unerträglich empfundenen Allgemeinzustand vorzeitig entgehen wollen.
Prof. Nauck stellte fest. Vor Jahrzehnten war eine Behandlung eines qualvollen Todes mit schwerster Luftnot am Lebensende nur schwer möglich. Dies ist heute völlig anders. Wir können fast jedes Leiden am Lebensende angemessen lindern. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen PalliativStiftung Thomas Sitte ergänzt: Leider wird der Palliativversorgung immer noch zu wenig Beachtung geschenkt. Es ist nicht nötig den Freitod zu wählen aus Angst vor stärksten Schmerzen und furchtbarem Sterben!
Quelle: www.osthessen-news.de
DGP stellt BGH-Urteil vom 25.6.2010 im Fall Putz in Frage
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) meint auch, das Verhalten von RA Putz (welches zum Grundsatzurteil des BGH vom 25. Juni zur straflosen Sterbehilfe durch Behandlungsverzicht bzw. abbruch führte), mit einer Stellungnahme vom 25.8. in Frage stellen zu müssen.
Angeblich habe es nicht die aus palliativmedizinisch erforderliche Kommunikation, Konsenssuche mit Anrufung eines Ethikkommitées gegeben (was Putz nach über einem Jahr entsprechender Versuche nachdrücklich zurückzuweisen vermag).
Die DGP stellt sich damit in die sehr lichte Reihe von Gegnern dieses Grundsatzurteils (“Schwarzer Tag”), die bisher nur aus Katholischer Kirche und Deutscher Hospizstiftung bestand (Wohingegen die Liste der grundsätzlichen Befürworter ellenlang ist und u. a. die Evangelische Kirche, die Bundesärztekammer, Wohlfahrtsverbände und Hospizeinrichtungen umfasst). Nichts gegen Minderheitenmeinungen allerdings zeigt die palliativmedizinische Stellungnahme, dass sie mehr auf sanften Paternalismus sowie eine besonders hehre Weltanschauungsethik setzt als auf rechtsstaatliche Grundsätze und die Befolgung des Patientenwillens.
Charta zur Betreuung Sterbender leider mit fragwürdiger Präambel
Zu denken gibt in diesem Kontext auch die (zufällig zeitgleich zur Bochumer End-of-life-Palliativ-Studie veröffentlichte) Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen, maßgeblich mitgetragen von der DGP, in Bezug auf ihre 1. Kernaussage in der Präambel. Darin ist bestimmt, wofür sich die Unterzeichnenden einzusetzen versprechen, nämlich:
Wir werden uns dafür einsetzen, ein Sterben unter würdigen Bedingungen zu ermöglichen und insbesondere den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen durch eine Perspektive der Fürsorge und des menschlichen Miteinanders entgegenzuwirken.
Letzteres ist ebenso schade wie überflüssig. Denn die Charta thematisiert in hervorragender Weise konkrete Rechte, Bedürfnisse und Wünsche von Schwerstkranken und Sterbenden und wie diesen besser gerecht werden kann. Dagegen bleibt das zweite Einsatzziel mehr als vage und diffus: Welche namhaften Personen oder Organisationen überhaupt in Deutschland eine Legalisierung der Tötung auf Verlangen fordern, bleibt offen (danach müsste man wohl auch lange vergeblich suchen).
Besonders bedenklich: Die Charta versteht sich ausdrücklich im internationalen Kontext. Sollen die palliativmedizinischen Anstrengungen und Leistungen in Belgien und Luxemburg etwa außen vor bleiben (die bekanntlich dort legalerweise in Ausnahmefällen auch für Tötung auf Verlangen zuständig sind). Ausgegrenzt werden sollen in Deutschland offenbar auch jene, welche sich sehr wohl an der geforderten besseren Vernetzung von Versorgungsstrukturen und Konzepten für die Betreuung sterbenskranker Kinder und Jugendlicher beteiligen, es aber an dem geforderten Einsatz fehlen lassen, wie die Frankfurter Rundschau titel, die Debatte um Sterbehilfe zum Verstummen zu bringen.
5. Weitere Meldungen
Gesundheitsreform findet inhaltlich nicht statt, stattdessen bloße Beitragserhöhung: http://www.wernerschell.de/forum/neu/viewtopic.php?t=14843
Greifswald (dpa vom 17.9.2010) Grüne fordern Boykott von Ethiktagung
Die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern forderten am Freitag Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) auf, die Teilnahme an der internationalen Tagung Ethik für eine alternde Welt abzusagen, die am kommenden Donnerstag in Heringsdorf mit rund 500 Teilnehmern beginnt. Das Forum sei fast ausschließlich mit Befürwortern des assistierten Suizids und der Sterbehilfe besetzt, teilte die Partei am Freitag mit. Die Organisatoren der Tagung wiesen den Vorwurf zurück. Quelle:www.ostsee-zeitung.de/vorpommern
Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) wies den Aufruf zur Absage jedoch zurück und hielt vorgesehenen Beitrag. Quelle: http://www.mvregio.de/nachrichten