Frankreichs Sterbehilfegesetz -deutsche Politik zu feige? (Aktualisiert 14.04.2005)
Quelle: DIE WELT online vom 14.04. (von Jochen Hehn):
“Paris Lange bevor der Fall der US-amerikanischen Komapatientin Terri Schiavo die Welt erschütterte und in vielen Ländern die Debatte um die Sterbehilfe wieder aufleben ließ, hatte in Frankreich im September 2003 ein nicht weniger dramatischer Fall von aktiver Sterbehilfe Aufsehen erregt. Ein Arzt hatte einem schwerbehinderten jungen Mann auf dessen Wunsch hin die lebenserhaltenden Maschinen abgeschaltet und, wie der ermittelnde Staatsanwalt behauptet, auch eine tödliche Injektion gegeben.
Die französische Regierung nahm dies zum Anlass, ein Gesetz auszuarbeiten, das einerseits den Medizinern mehr Rechtssicherheit geben, andererseits die Rechte von sterbenskranken Patienten stärken soll. Nach den Abgeordneten der Nationalversammlung haben nun auch die Senatoren diesem Gesetz zugestimmt. Es kann damit in Kraft treten.
Während die Verabschiedung in der Nationalversammlung noch einstimmig war, kam es im Senat zu kontroversen Debatten. Durch den Schiavo-Fall inspiriert, wollten die Senatoren der Sozialistischen und Kommunistischen Partei, aber auch der liberalen UDF zusätzlich das “Recht auf aktive Sterbehilfe” im neuen Gesetz verankern. Dagegen stemmte sich Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy, der selbst Arzt ist. Solange er Minister sei, sagte er, werde in Frankreich die “Tötung auf Verlangen” nicht legalisiert. “Würdiges Sterben” sei “auch ohne aktive Sterbehilfe möglich”.
Dieser Ansicht schlossen sich auch die Senatoren der Regierungspartei UMP an, die mit ihren Stimmen den ursprünglichen Gesetzestext verabschiedeten. Somit bleibt in Frankreich aktive Sterbehilfe weiterhin eine Straftat.
Quelle: taz vom 02.12.2004 (Kommentar von Christian Rath)
“Frankreich macht vor, wie passive Sterbehilfe geregelt sein sollte
Feige deutsche Politik
Das neue französische Gesetz zur Sterbehilfe ist vernünftig. Es wahrt die Selbstbestimmung von Kranken und ermöglicht wirksame Schmerztherapie. Das Gesetz stellt Ärzte straffrei, wenn sie passive Sterbehilfe leisten, das heißt, auf Wunsch des Todkranken die Behandlung abbrechen. Auch eine vor Verlust des Bewusstseins abgegebene Patientenverfügung soll genügen. Nicht bestraft wird außerdem die Gabe von wirksamen Schmerzmedikamenten, auch wenn diese indirekte Sterbehilfe den Eintritt des Todes beschleunigt. Verboten bleibt dagegen die aktive Sterbehilfe, also die Gabe einer Todespille oder Todesspritze durch Ärzte oder Angehörige.
Dies entspricht im Wesentlichen der Rechtslage in Deutschland. Nur dass die französischen Regeln jetzt auch im Gesetzbuch stehen, während in Deutschland die Grenzziehung bisher dem Bundesgerichtshof (BGH) überlassen blieb. Allerdings ist die gesetzliche Klarstellung in einer so wichtigen Frage vorzuziehen, weil sie für Ärzte und Patienten Transparenz schafft. Viele Patienten bekommen nicht die nötigen Schmerzmittel, weil die Ärzte unnötig Angst vor dem Staatsanwalt haben.
Doch die Politik, namentlich Justizministerin Brigitte Zypries, ist zu feige, die ausgewogene BGH-Rechtsprechung explizit ins Strafgesetzbuch zu übernehmen. Sie geht damit Konflikten mit Kirchen, CDU-Hardlinern und der Deutschen Hospizstiftung aus dem Weg. Denn dort sieht man schon eine Klarstellung der bestehenden Rechtslage als “ersten Schritt zur aktiven Sterbehilfe”. Im katholischen Frankreich ist das Sterbehilfe-Gesetz dagegen fast einstimmig beschlossen worden.
Zypries konzentriert ihren Mut derzeit auf die Regelung von Patientenverfügungen. Ärzte und Angehörige sollen künftig gesetzlich verpflichtet werden, solche vorsorglichen Willenserklärungen zu beachten. Auch hier gibt es schon Proteste. Zypries wird das gute Gesetz wohl nur durchbekommen, wenn sie jetzt keinen neuen Konfliktherd eröffnet. So ist ihre taktische Mutlosigkeit bei der passiven und indirekten Sterbehilfe dann doch gerechtfertigt.