Jerzy Montag am 29.11.2012 im Bundestag zum “Suizidhilfe-Gesetz”
Aus Protokoll des Deutschen Bundestags 17. Wahlperiode 211. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 29. November 2012
Beitrag von Jerzy Montag
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Seit Jahren wird in der Gesellschaft darüber diskutiert, ob
Menschen ihrem Leben freiwillig und selbstverantwortlich
ein Ende setzen dürfen und ob es erlaubt oder gar
geboten sei, den hierzu Entschlossenen dabei zu assistieren.
Der Freitod steht nicht unter Strafe, auch die Beihilfe
dazu selbstverständlich nicht. Es wäre sinnvoll,
gesetzlich klarzustellen, dass straflose Beihilfe zum Suizid
nicht durch die Hintertür wegen unterlassener Hilfeleistung
verfolgt werden kann. Leider legt die Bundesregierung
hierzu keinen Gesetzentwurf vor. Stattdessen
beschäftigen wir uns mit einem Vorschlag zur Strafbarkeit
der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung.
Der vorliegende Gesetzentwurf scheitert bereits an
der Darstellung der Lebenssachverhalte, die unter Strafe
gestellt werden sollen. Ich zitiere aus der Begründung:
In Deutschland nehmen die Fälle zu, in denen Personen
auftreten, deren Anliegen es ist, einer Vielzahl von Menschen
in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine
schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid anzubieten.
… Im Vordergrund solcher Handlungen steht
dabei nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden
Perspektiven, sondern die rasche und sichere
Abwicklung des Selbsttötungsentschlusses, um damit
Geld zu verdienen.”
Ich hätte erwartet, dass nunmehr einige Beispiele folgen,
von Menschen oder Organisationen, auf die diese
Beschreibung zutrifft. Aber weit gefehlt, nicht ein einziges
konkretes Beispiel wird von der Regierung benannt.
Ich will konkreter werden und die Fälle ansprechen,
über die seit Jahren in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert
wird:
Es sind dies erstens die schweizerischen Vereine Exit
und Dignitas und ihr deutscher Ableger Dignitate und
zweitens die namensgleichen schweizerischen und deutschen
Vereine Sterbehilfe Deutschland e. V., hinter denen
der frühere Hamburger Justizsenator Dr. Kusch und
seine Gefolgsleute stehen.
Man muss diese Vereine und die für sie handelnden
Personen nicht mögen, aber eines ist klar: Gerade diesen
Personen wird nicht nachzuweisen sein, dass bei ihren
Suizidhilfeangeboten das Geldverdienen im Vordergrund
steht und dass sie deshalb ihr Beratungsangebot
nicht vorrangig auf lebensbejahende Perspektiven ausrichten.
Ein Blick auf die im Internet nachlesbaren Angebote
und die veröffentlichten Satzungen reicht hierfür
aus.
Auch der Hinweis auf die angeblich steigende Zahl
von Suizidfällen in den Niederlanden, Belgien und der
Schweiz halten schon einer oberflächlichen Überprüfung
nicht stand. In den Niederlanden und in Belgien ist seit
2001/2002 die aktive Strebehilfe unter bestimmten Bedingungen
nicht strafbar. In Deutschland ist sie aber
strafbar, und zwar als Tötung auf Verlangen. Dies will
auch niemand ändern. Um uns von den Niederlanden
und Belgien abzusetzen, bedarf es deshalb des vorgelegten
neuen Strafgesetzes gar nicht.
Und in der Schweiz ist die Suizidhilfe strafbar, wenn
sie aus selbstsüchtigen Beweggründen” geschieht. Dies
entspricht in etwa der vorgeschlagenen Gewerblichkeit;
jedenfalls sind altruistische Motivationen straflos. Im
Ergebnis würde der vorliegende Entwurf eine ähnliche
Rechtslage wie in der Schweiz schaffen, obwohl die Begründung
die Lage in der Schweiz gerade als einen
Grund für den vorgelegten Entwurf benennt. Bezeichnend
ist in diesem Zusammenhang, dass die in der
Schweiz legal tätigen Vereine als quasi gewerbsmäßig
auftretende Sterbehilfeorganisationen” bezeichnet werden.
So verschwimmt immer mehr, welche Personen eigentlich
von der Strafbarkeit mit dem neuen Recht erfasst
werden sollen.
Nur am Rande sei angemerkt, dass wir die Auffassung
der Bunderegierung teilen, dass der Versuch, jegliche
auch nicht gewerbsmäßige organisierte Sterbehilfe
zu verbieten, an verfassungsrechtliche Schranken
stoßen würde. Was einem Einzelnen erlaubt ist, kann einem
Verein nicht verboten werden.
Trotz also der ins Auge springenden Schwächen des
vorgelegten Gesetzentwurfs gibt es Hinweise auf Vorgehensweisen
bei der Suizidhilfe, die strafwürdig sein
könnten.
Wir gehen von der Freiheit zur Selbstbestimmung
aus. Diese beinhaltet auch die Freiheit, seinem Leben ein
Ende zu setzen. Wir wollen solche Entscheidungen nicht
fördern, wir wollen niemanden hierzu anstiften oder verleiten,
aber wir achten und respektieren auch diese Entscheidung,
wenn sie frei von Einflüssen Dritter und autonom
getroffen wird. Deshalb ist weder der Suizid noch
die Beihilfe hierzu unter Strafe gestellt.
Der Staat ist aber was völlig unbestritten ist auf
den Schutz menschlichen Lebens verpflichtet. Diese
Schutzpflicht ist nicht vorrangig und nicht ausschließlich
mit dem Mittel des Strafrechts zu erfüllen. Vor allem anderen
müssen wir mehr tun, um den Menschen die Angst
vor unerträglichen Schmerzen und vor einem qualvollen
Tod zu nehmen. Dazu gehört, die Palliativmedizin und
die Hospizbewegung zu stärken und deren Angebote als
Alternative zum Suizid bekannt zu machen.
Zum staatlichen Schutzauftrag gehört aber auch, die
Entscheidung, seinem Leben ein Ende zu setzen, von organisierter
Fremdbestimmung und Beeinflussung frei zu
halten. Sollte hier eine evidente und eklatante Schutzlücke
bestehen, ist diese zu schließen.
Was sagt nun der Regierungsentwurf hierzu? Wir lesen:
Diese Kommerzialisierung” der Sterbehilfe
stellt eine qualitative Änderung in der Praxis der Sterbehilfe
dar. Sie lässt befürchten, dass die Hilfe zum Suizid
als eine normale Dienstleistung angesehen wird und
sich Menschen zur Selbsttötung verleiten lassen, die dies
ohne ein solches Angebot nicht tun würden.” Der Entwurf
schlägt deshalb vor, die gewerbsmäßige Förderung
der Selbsttötung unter Strafe zu stellen”.
Die Förderung von Suiziden insbesondere dadurch,
dass Menschen, die noch gar nicht zur Beendigung ihres
Lebens entschlossen sind, die über Schmerzlinderung
am Lebensende, über die Angebote der Hospize, über
die Abfassung entsprechender Patientenverfügungen
nicht aufgeklärt sind, verleitet werden, Suizid zu begehen
kann das Rechtsgut Leben in einer Art und Weise
verletzen, dass an einen strafrechtlichen Schutz gegen
solche Verletzungen zu denken wäre.
Untersuchungen, die darüber Aufschluss geben könnten,
ob es wirklich Tendenzen zu einer so verstandenen
Kommerzialisierung des Suizids gibt, bleiben im Gesetzentwurf
unerwähnt. Ja, noch schlimmer, wir müssen
lesen, dass die Bundesregierung solche Untersuchungen
gar nicht kennt.
Wenn man aber die Aussagen im Gesetzentwurf zur
Grundlage neuen Strafrechts machen will, dann muss
gerade das Element der Fremdbestimmung, das Verleiten
zur Selbsttötung, auch im Straftatbestand als das entscheidende
Merkmal der Straftat auftauchen. Nicht die
Verschaffung der Gelegenheit zum Suizid an sich, nicht
die Erstattung von Kosten, die dabei entstehen, nicht die
Entlohnung der bei der Suizidhilfe eingesetzte Arbeitszeit
und Energie, ja nicht einmal die Motivation an sich,
sich damit eine Einnahmequelle zu verschaffen, ist strafwürdig,
sondern wenn überhaupt im Kern die Verleitung
noch unentschlossener oder mangelhaft informierter
Menschen zur Selbsttötung und die dadurch bewirkte
Förderung des Suizids.
Die Thematik der Strafbarkeit bestimmter Formen der
Beihilfe zum Suizid ist eine ernsthafte und überaus
schwierige. Ich bitte die Koalition mit Nachdruck, hier
mit Gründlichkeit vor Schnelligkeit vorzugehen. Es gibt
keinen Grund zur Hast und Oberflächlichkeit. Der vorliegende
Entwurf muss gründlich nach dem sogenannten
Struck’schen Gesetz bearbeitet werden. Er darf den Bundestag
nicht in der Form und nicht mit der Begründung
verlassen, wie er in den Bundestag eingebracht worden
ist.