Klage in Strassburg gegen Deutschland wegen Verweigerung von Suizidmittel
Straßburg, 23.11.2010:
Weil seiner Frau suizidtaugliches Medikament verweigert wurde Witwer verklagt Deutschland vor Europäischem Gerichtshof
Nach einem Unfall vegetierte Frau K. fast vollständig gelähmt vor sich hin, irgendwann wollte sie nur noch sterben. Weil ihr hierzulande ein sanfter Suizid verweigert wurde, klagt ihre Familie nun vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Urteil könnte das deutsche Recht revolutionieren.
Warum Frau K. plötzlich vor ihrem Haus ins Straucheln geriet, bleibt ungeklärt. Beladen mit Einkäufen, kippte die 51-Jährige auf dem Weg vom Auto zur Haustür vornüber, ohne den Sturz abzufangen. Mit dem Kinn schlug die groß gewachsene Frau auf einen steinernen Blumentrog, dann mit der Stirn gegen die Wand des Fachwerkhauses. und blieb bewusstlos liegen. Seit jenem Schicksalstag im April 2002 war die bis dahin kerngesunde Frau vom Hals abwärts gelähmt. Sie musste fortan künstlich beatmet und überwiegend auch künstlich ernährt werden, selbst das Sprechen fiel ihr schwer.
Zweieinhalb Jahre nach ihrem Unfall stellte sie beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Antrag, 15 Gramm Natrium-Pentobarbital beschaffen zu dürfen, `zum Zwecke der Durchführung meines begleiteten Suizides´. Ihr Mann und ihre Tochter hatten ihren Sterbewunsch akzeptiert. Doch das Amt lehnte wie erwartet ab: Für `lebensvernichtende Anwendungen´könne das Mittel nicht abgegeben werden. Frau K. tat trotzdem, was sie für richtig hielt. Nach einem mühsamen Transport über Hunderte von Kilometern nahm sie schließlich in der Schweiz, in einem kleinen Sterbezimmer in Zürich, die tödliche Dosis mit einem Strohhalm zu sich. Ihr Mann und ihre Tochter hielten ihre Hände, bis sie gestorben war.
Doch auch nach ihrem Tod beschäftigt ihr Fall die Gerichte. Denn Frau K. wollte geklärt haben, ob ihr in Deutschland der sanfte Suizid zu Unrecht verwehrt wurde. Ihr Mann klagte deshalb vor deutschen Gerichten, vergeblich. Auch das Bundesverfassungsgericht erklärte seine Beschwerde für unzulässig.
Herr K. zog weiter vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg – und der hat das Anliegen nun ernst genommen. An diesem Dienstag kommt es zur Anhörung darüber, ob die Ablehnung des Antrages von Frau K. ihr `Recht auf Achtung ihres Privatlebens´ verletzt hat. Sollten die Straßburger Richter nun den selbstbestimmten Tod ausdrücklich unter den Schutz der Menschenrechte stellen, dürften in Deutschland bislang mühsam bewahrte Dämme gegen die Sterbehilfe brechen.
Die Schweiz ist neben Luxemburg eines der wenigen Länder Europas, das auch Ausländern Hilfe beim Sterben gewährt. `Das war ihr Ausweg´, sagt Herr K. – und offenbar hätte sie nichts davon abbringen können. Schon zuvor hatte sie vorgeschlagen, ihr Mann solle sie einfach verhungern und verdursten lassen. Und sie hatte damit gedroht, mit dem Elektrorollstuhl, den sie mit dem Kinn bedienen konnte, eines Tages einfach in die Elbe zu fahren.
Der Mann baute das malerische Haus des Paares behindertengerecht um, aus dem zugehörenden Pferdestall wurde eine Pflegestation mit Zimmer für das Pflegepersonal. Doch als seine Frau endlich wieder nach Hause kam, hatte sie offenbar schon resigniert. Unerträglich war ihr der eigene Zustand geworden, das monatelange Liegen in einem Spezialbett, wenn sie eine wunde Stelle hatte, die heftigen Spasmen, die sie immer wieder vor allem beim Sprechen bekam, die häufigen Eingriffe zur medizinischen Versorgung, die permanente Pflege.
`Irgendwann mal´, sagt Herr K., `waren meine Tochter und ich so weit und haben eingesehen: Dieser Mensch kann nicht mehr weiter leben.´Doch einen gewaltsamen Selbstmord hätte er genauso wenig zulassen können, wie seine Frau einfach verhungern zu lassen. So nahm sie auch noch die Strapazen des Krankentransportes auf sich, um in der Schweiz ihrem Leiden ein Ende zu bereiten – unter Aufsicht eines Arztes und mit Videoaufzeichnung zur rechtlichen Absicherung aller Beteiligten. `Wir wollten ihr das alles ersparen´, sagt Herr K., `aber wir wussten, es ging nicht anders.´…
Quelle: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,730553,00.html
Dass die Klage gegen Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überhaupt angenommen wurde, hat hierzulande für Aufsehen gesorgt.
TAGESSCHAU: Freiwilliges Verhungern und Verdursten wäre legal gewesen
“Das Strafrecht, die Moral und die Geschichte sind das eine. Das andere war aber die Suche des Ehepaars nach einem Ausweg aus diesem Leben: `Wir hatten im August 2004 mit Ärzten und Schwestern gesprochen, wie sie ihr Leben beenden könnte, zuhause.´
Freiwilliges Verhungern und Verdursten wäre nach Rechtslage legal gewesen. Ulrich K. hat das aber nicht mit ansehen wollen und fuhr schließlich im März 2005 mit seiner Frau in die Schweiz. Mit Hilfe der Organisation Dignitas setzte sie dort ihrem Leben ein Ende.
Fünf Jahre danach will der Witwer nun vor dem Menschenrechtsgericht erreichen, dass es möglich wird, in Deutschland unter bestimmten Umständen ein Suizid-Medikament zu bekommen. Es wird nicht einfach für ihn. In einem ähnlichen Fall haben die Richter geurteilt, man könne Staaten nicht zwingen, Sterbehilfe zu erlauben.
Quelle: http://www.tagesschau.de/ausland/sterbehilfe122.html
ndr: Die Frau flehte ihren Mann an, sie verhungern zu lassen
Die Frau war nach einem Sturz im Jahr 2002 fast vollständig gelähmt und musste künstlich beatmet werden. Sie benötigte rund um die Uhr Betreuung. Sie `hat ihren Mann angefleht, sie verhungern zu lassen oder sie mit einem Kissen zu ersticken,´ sagte der Anwalt des Witwers am Dienstag. `Doch er konnte das nicht tun´. Der Mann wandte sich an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dieses verweigerte der Frau den Erwerb einer tödlichen Medikamentendosis. Ein Leben sei das nicht mehr gewesen, sagt Ulrich K. und versucht, das in Worte zu fassen, was es noch war für seine Frau:
`Sie hat furchtbar unter Spasmen gelitten. Sie hatte Probleme, im Rollstuhl zu sitzen.´… Jahrelang ging das so: der Rollstuhl, das Beatmungsgerät, die Schläuche, die flüssige Nahrung. Ihr Mann schildert: `Sie musste im Liegen geduscht werden, weil sie dabei auch beatmet werden musste.´Dafür habe sie an einen sehr langen Schlauch angeschlossen werden müssen. `Das war schon sehr schlimm. Ebenso schlimm war es auch, die Nächte zu überstehen.´ Quelle: http://www.ndr.de/regional/niedersachsen/harz/sterbehilfe123.html
Kommentare / Interviews dazu hier mit dem Rechtsanwalt der Familie Detlef Koch – der Referentin des Humanistischen Verbandes Gita Neumann – dem Medizinethiker Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann
In der Sendung BECKMANN im Ersten (ARD) am Montag, 6. 12.2010, 22.45 Uhr ist u. a. der klagende Witwer Ulrich Koch und sein (namensgleicher) Rechtsanwalt eingeladen sowie Dr. Michael de Ridder und Nikolaus Schneider.
Am 16. Dezember, 19.30 Uhr wird es in der Urania Berlin eine Podiumsdiskussion mit drei der Palliativmedizin verpflichteten Ärzten geben (Moderation: Humanistischer Verband Deutschlands), bei der dieses Thema ebenfalls behandelt werden wird.
Weitere Meldungen zu dem Fall (kleine Auswahl):
Klage gegen Deutschland wegen Verweigerung eines tödlichen Medikaments www.nzz.ch/nachrichten/politik/international
Ein Recht auf Todesmittel? www.faz.net
Es gibt keine staatliche Pflicht zur Suizidhilfe Tagesspiegel www.tagesspiegel.de/meinung
Menschenrechtsgericht verhandelt deutschen Sterbehilfefall www.aerzteblatt.de/nachrichten