Kölner Sterbehilfeprozess 1. Tag – Text der PV im Focus
Mit dem Urteil wird Anfang Februar gerechnet. Am Landgericht Köln begann Donnerstag (21.1.) ein Prozess, der in die Rechtsgeschichte eingehen könnte. Vor Gericht steht Peter B.. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm versuchte Tötung auf Verlangen seiner Schwiegermutter vor.
Der 44-Jährige wollte deren Patientenverfügung durchsetzen und schaltete bei der Schwerstkranken medizinische Infusionsgeräte auf der Intensivstation ab. (wir berichteten). In der Anklage der Kölner Staatsanwaltschaft heißt es: Ob sich aus dem neuen Patientenverfügungsgesetz eine neue strafrechtliche Bewertung ergibt, sei bislang “völlig unklar”. Jedenfalls spielte am ersten Verhandlungstag der genaue Text der zugrunde liegenden Patientenverfügung eine wichtige Rolle. Die Ärzte sahen eine Behandlungsindikation wegen bestehender – wenngleich sehr geringer – Besserungsaussicht als noch gegeben an. Dass die schwer lungenkranke Seniorin 3 Stunden später an den Geräten angeschlossen verstarb, sei so nicht voraussehbar gewesen.
Angeklagter sieht sich menschlich voll im Recht
“Köln – Der 44-jährige Angeklagte ging sofort in die Offensive: `Ich habe kein medizinisches Urteil gefällt, sondern ein menschliches Urteil.´ Auch auf der Anklagebank betonte der Maurer gestern vor dem Kölner Landgericht, dass er davon überzeugt sei, das Richtige getan zu haben. … Doch bei allem Bemühen des Beschuldigten, seine Sicht der Dinge der Kammer zu vermitteln – er bekam gehörig Gegenwind. `Wir leben in einem Rechtsstaat. Man kann Recht nicht selbst in die Hand nehmen´, sagte der Vorsitzende Richter.
… Im Prozess stellte sich jetzt heraus, dass Peter B. die Verfügung nicht vollständig gelesen hatte – zumindest, was den entscheidenden Passus betrifft. `Wenn ich mich im unmittelbaren Sterbeprozess befinde …´ … In der Patientenverfügung gab es aber auch noch weitere, entscheidende Äußerungen, die der Angeklagte offensichtlich überlesen hatte: `Aktive Sterbehilfe lehne ich ab…´….“
Quelle mit weiteren Details: http://www.ksta.de/html/artikel/1263996137890.shtml
Worin bestehen die Unklarheiten bei dieser Patientenverfügung?
Es ist nahezu typisch, dass der Sohn meinte: Patientenverfügung heißt sofort`keine Lebensverlängerung mehr´ – unter welchen genau zu bestimmenden Umständen auch immer kommentiert Gita Neumann vom Humanistischen Verband den Fall. Auch die meisten Verfügenden selbst würden diesbezüglich ungeprüft Vordrucke unterschreiben. Wenn es heißt, Maßnahmen sind zu unterlassen, die `nur noch ein unnötiges Leiden im unmittelbaren Sterbeprozess verlängern´, dann besteht natürlich die Gefahr, dass die Reichweite zu eng interpretiert wird. Der Lebensschutz-Zusatz in dieser Patientenverfügung, der `aktive Sterbehilfe´ auschließt, sei zudem gezielt irreführend. Denn was soll gemeint sein strafrechtlich eh eindeutig Verbotenes doch wohl nicht? fragt Neumann.
Trotz der neuen Rechtslage existierten nach wie vor viele Unsicherheiten, macht Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung deutlich. So sei etwa die Christliche Patientenverfügung, wie sie auch im jetzt vor dem Kölner Landgericht verhandelten Fall vorlag, nicht auf dem neusten Stand und würde demnächst von einem gemeinsamen Arbeitskreis der katholischen und der evangelischen Kirche neu herausgegeben“, erklärte Brysch. Vordrucke sollten nur ein Anhaltspunkt für das Verfassen einer Patientenverfügung sein. Das neue Gesetz verlangt eine detaillierte Abstimmung auf den Einzelfall. … Quelle: Rheinische Post vom 21.1.
Antwort der AOK auf Anfrage
Nichtsdestotrotz weist die Allgemeine Ortskrankenkasse AOK (bundesweit) als Formularempfehlung weiterhin ausschließlich auf diese untaugliche christliche Patientenverfügung hin. Daraufhin von der Zeitschrift diesseits angefragt, rechtfertigte dies eine AOK-Sprecherin damit, dass doch 2/3 der Bevölkerung in einer christlichen Kirche seien. Dies ist alles andere als ein Qualitätskriterium für eine Krankenkasse, die ihren Mitgliedern damit einen Vordruck empfielt, der inzwischen nicht nur allgemein als als kritisch eingeschätzt wird sondern inzwischen auch von ihren Urhebern, den Kirchen, selbst.
Gesundheitsmagazin quivive klärte sehr gut auf
Video und Text der Sendung vom 20.1.2010 zu:
Wachkoma, ähnliche Zustände mit minimalem Bewusstsein, Besserungsaussichten (mit Patientenverfügung-Empfehlungen)
Programmvorschau:
“Gott und die Welt” begleitet einen Monat lang die Ärzte im St. Marienhospital in Köln: Was im neuen Gesetzestext einfach klingt, wird im Krankenhausalltag oft zu einem Dilemma…
“Dazu kommt, dass etwa die Hälfte der Patientenverfügungen ungültig sind”, erzählt Geriatriearzt Johannes-Josef Raczinski. …
http://programm.ard.de/programmvorschau/1005642540447/31012010-1730-DasErste/Gott-und-die-Welt