Komapatienten: Differenzierte Erkenntnisse über Aufwach-„Wunder“
Quelle: Tagesspiegel vom 12. Juni 2006 Vor etwa zwei Jahren machte auch sein Fall Schlagzeilen: Nach 19 Jahren im Koma war der heute 42 jährige Amerikaner Terry Wallis aufgewacht. Sein erstes Wort lautete: “Mom”. Er war allerdings im strengen Sinn kein “Wachkomapatient”, was im Amerikanischen und nach internationalen Gepflogenheiten mit “vegetativ state” (VS) etwa: vegetativer Zustand bezeichnet wird. Schon kurz nach seinem Autounfall hatte sich sein Zustand leicht gebessert, so dass die Ärzte seinen Zustand als “minimal conscious state” (MCS) etwa: minimaler Bewusstseinszustand einstuften. D. h. diese Patienten reagieren in den täglichen “Wachphasen” z. B. auf Geräusche. In der Neurologie geht man davon aus, dass bei ihnen nach einem Jahr noch einiges möglich ist.
Im Gegensatz dazu würden die Chancen von Patienten im vegetativen Stadium (wie z. B. Terri Schiavo mit zufällig dem gleichen Vornamen), deren Gehirn durch Sauerstoffmangel geschädigt sind, nach 3 Monaten ergebnisloser Frührehabilitation drastisch sinken. Schließlich sei bei ihnen der massive Verlust von Nervenzellen definitiv nicht mehr ausgleichbar und nicht mehr besserungsfähig (irreversibel, s. u.).
Aber eine Besserung nach vielen Jahren ist auch bei unfallbedingten MCS-Fällen selten: “In der Literatur wurde von 1968 bis 1998 über 35 Patienten berichtet” so der Wachkomaspezialist Andreas Ziegler vom Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg. Bei aller Freude über “Aufwach-“Wunder”: Auch der Patient Terry Wallis wird wohl zeitlebens auf Rund-um-die-Uhr-Pflege angewiesen bleiben.
Eine vergleichende Studie von Forschern aus den USA und Neuseeland wurde nun vorgestellt. Die Autoren hatten herausfinden wollen, unter welchen Umständen sich Nervenzellen-Verbindungen im Gehirn nach Schädel-Hirn-Verletzungen wieder selbst erneuern können.
Und welche Rolle spielen die unermüdlichen und hingebungsvollen Bemühungen von Angehörigen und spezialisierten Pflegekräften?
“Man kann die Neubildung von Zellen weder erzwingen noch herbeiführen, man kann nur Angebote machen”, sagt Ziegler.
” “Grundsätzlich ist es ein normaler Vorgang, dass Verbindungen zwischen den Nervenzellen im Gehirn sich immer wieder selbst erneuern”, sagt Peter Bülau, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation. So können gesunde Bereiche des Hirns die Funktionen von geschädigten Teilen lernen und diese womöglich ersetzen.
Dank dieser Plastizität des Gehirns können etwa Schlaganfall-Patienten wieder sprechen lernen. “Warum das Gehirn eines MCS-Patienten aber nach so langer Zeit neue Nervenfasern ausbildet, können wir beim aktuellen Forschungsstand noch nicht erklären”, sagt Bülau.
Wenn nur einzelne Bereiche beschädigt sind wie beim MCS-Patienten Wallis, können die gesunden Teile des Gehirns Funktionen der beschädigten Bereiche übernehmen. “Wir gehen normalerweise davon aus, dass eine Regeneration sehr unwahrscheinlich wird, wenn sich innerhalb der ersten zwölf Monate der Zustand nicht verbessert hat”, sagt Bülau.
Die Autoren der Studie folgern aus ihrer Beobachtung, dass es wichtig sei, Komapatienten über Jahre hinweg zu therapieren. Bülau ist vorsichtiger: “Es ist gesundheitspolitisch wohl kaum durchzusetzen, dass ein Patient 20 Jahre lang die intensive Frührehabilitation bekommt. Aber man müsste die Patienten in Pflegeheimen immer wieder darauf überprüfen, ob sich ihr Zustand vielleicht doch verbessert hat.”
(Aus: Süddeutsche Zeitung / Wissen)
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Wie eine Obduktion nach ihrem Tod ergab, war die Schädigung bei Terri Schiavo hingegen irreversibel und nichts hätte den massiven Verlust von Nervenzellen bei ihr ausgleichen können. Siehe: FAZ
Gedankenlesen bei Wachkomapatienten:
Ärzteblatt