Letztes Gefecht
Richard Herzinger kommentiert den Kampf gegen die Sterbehilfe in der ZEIT vom 23.05.2002 wie folgt (Auszug):
Namentlich die Kirchen betrachten ihren Kampf gegen die Sterbehilfe als eine Art letztes Gefecht gegen die individualistische Moderne. Die säkulare Gesellschaft verdächtigen sie grundsätzlich, die Menschenwürde auf dem Altar materieller Vorteile opfern zu wollen. Daraus leiten sie den Anspruch ab, zumindest noch über den Tod der Menschen eine Art ethische Treuhandschaft aufrechtzuerhalten. Dagegen steht der Wunsch einer Mehrheit der Bürger nach einem Rest an Selbstbestimmung auch im Angesicht grausamen, unbesiegbaren Leidens. Und es wächst das Bedürfnis, die Grenzen dessen, was man für sich selbst als würdiges Leben betrachtet, eigenständig festlegen zu können. Unversöhnliche Positionen. Doch auf Dauer wird man sich einer Versachlichung der Debatte auch hierzulande nicht entziehen können schon um ein weiteres Auseinanderdriften einzelner europäischer Länder in der Auslegung fundamentaler gemeinsamer Werte zu verhindern. Die häufig wiederholte Behauptung, schmerzbekämpfende Palliativmedizin mache aktive Sterbehilfe überflüssig, trägt dazu allerdings nicht bei. Sie verschleiert, dass viele Menschen unter heutigen Umständen einem qualvollen Siechtum ausgeliefert sind, und sie verdeckt die Dunkelziffer illegal praktizierter Sterbehilfe. Das belgische Gesetz verbindet dagegen die Freigabe der aktiven Sterbehilfe mit der Maßgabe einer intensiveren Förderung der Palliativmedizin. Verbesserte Schmerztherapie und die Möglichkeit, aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu können, schließen einander nicht aus. Beides sind vielmehr notwendige Komponenten der Humanisierung des Sterbens.