Letztinstanzliches Urteil: Natrium-Pentobarbital zum Suizid darf nicht verkauft werden
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat entschieden, dass Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung nicht rezeptfrei in Apotheken gekauft und dann beliebig lange zu Hause verwahrt werden darf. Zwei langzeitig schwer erkrankte Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen hatten dagegen geklagt, dass ihnen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Erlaubnis dazu versagt hatte. Das Gericht wies nunmehr auch in letzter Instanz ihr Anliegen zurück, 15 Gramm dieses tödlich wirkenden Barbiturats mit staatlicher Genehmigung – d.h. ohne ärztliche Verschreibung – zu erhalten.
Das lang erwartete Urteil des Gerichts gründet sich zunächst darauf, dass es sich um einen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) handeln würde. Dessen grundsätzliche Vorschriften zur möglichen Vergabe ohne ärztliche Verschreibung seien eindeutig: Zwar könne nach § 3 BtMG durch das (dem Bundesgesundheitsministerium unterstellte) Institut BfArM in Ausnahmefällen eine Erlaubnis erteilt werden, ein Betäubungsmittel einzuführen, zu erwerben oder „sonst in den Verkehr bringen“. Eine Erlaubnis ist aber laut § 5 BtMG definitiv „zu versagen“, wenn die Beantragung nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar ist, „die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber den Missbrauch […] auszuschließen.“ Die Kläger verlangten jedoch ohne das Ziel der Heilung von Krankheiten oder der Linderung von Beschwerden, dass ihnen Natrium-Pentobarbital zum Zweck der Selbsttötung abzugeben sei – zudem ohne ärztliche Verschreibung.
Die beiden Kläger – der eine vom Rückfall einer aggressiven Krebserkrankung bedroht, der andere durch vollständige Lähmung schwerst leidend – beriefen sich auf ihr vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2020 zugesichertes Persönlichkeitsrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Dazu gehöre ihrer Auffassung nach auch die freie Wahl der gewünschten Suizidmittel. Sie legten dar, dabei unabhängig bleiben und weder auf Ärzt*innen noch auf eine Sterbehilfeorganisation angewiesen sein zu wollen. Eine bereits akute, unmittelbare Suizidabsicht läge bei ihnen noch nicht vor.
Das Leipziger Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wog ihr Anliegen mit dem Persönlichkeitsrecht auf Suizid ab: Letzteres bedeute im Grundsatz zwar auch, selbstbestimmt zu entscheiden, wann und wie der Suizid geschehen soll. Den Klägern sei aber eine Einschränkung ihrer gewünschten Todesart zuzumuten, als ihnen versagt wurde, mit Erlaubnis des staatlichen Instituts BfarM das Barbiturat für eine eventuell spätere Selbsttötung zu erwerben und daheim zu verwahren.
Verhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht aufgrund bestehender Alternativen
Die Zurückweisung ihrer Klage steht nach Ansicht der Leipziger Verwaltungsrichter*innen nicht im Widerspruch zum Karlsruher Bundesverfassungsgerichtsurteil, zumal auch dort eine Ausgestaltung möglicher Schutzkonzepte ausdrücklich angesprochen ist. Vor allem bestünden nun – seit 2020 – für Sterbewillige realistische Alternativen und mögliche Wege, über Ärzt*innen Zugang zu (verschreibungspflichtigen) Arzneimitteln zu erhalten, mit denen eine Selbsttötung durchgeführt werden kann. Das Leipziger Gericht räumt dabei mögliche Schwierigkeiten ein: So müssten Sterbewillige unter anderem erst „eine ärztliche Person finden, die bereit sei, die notwendige pharmakologische und medizinische Unterstützung zu leisten“. Dennoch würden Menschen nicht in ihrem Recht auf einen selbstbestimmten Tod verletzt, wenn der Staat ihnen den privaten Kauf und die Bevorratung von Natrium-Pentobarbital verwehre. Schließlich seien auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe seit 2020 wieder verfügbar – gemeint sind hier offenbar die von Sterbehilfeorganisationen gegen erhebliche Gebühren.
Das BVerwG in Leipzig weist die Revision der Kläger zurück und hält das Urteil der Vorinstanz, des Oberverwaltungsgerichts NRW, für gut begründet. Dort sei festgestellt worden, dass die Kläger eine akute Selbsttötungsabsicht auch ohne Natrium-Pentobarbital verwirklichen können. Damit seien allerdings, wie das Landesgericht NRW eingeräumt hat, zugegebenermaßen mögliche Erschwernisse verbunden: Diese könnten sich ergeben, wenn bei der oralen Anwendung anderer Arzneimittel „eine größere Menge eingenommen werden muss. […] Das kann für Sterbewillige mit Schluckbeschwerden schwierig sein und erhöht das Risiko von Komplikationen. Es besteht auch die Möglichkeit, ein Arzneimittel intravenös einzusetzen, das hinsichtlich Wirkweise und Risiken keine wesentlichen Unterschiede zu Natrium-Pentobarbital aufweist. Das erfordert aber eine fachkundige medizinische Begleitung und belastet damit Sterbewillige, die – wie die Kläger – eine solche Begleitung nicht wünschen.“ Eine solche Infusion kann auch bei körperlicher Lähmung, wie sie bei einem der Kläger durch Multiple Sklerose verursacht ist, durchgeführt werden. Dazu sei allerdings eine besondere Vorrichtung zum selbsttätigen Auslösen der Infusion erforderlich. Diesen genannten Belastungen stünden jedoch „wichtige Gemeinwohlbelange gegenüber“, die durch die Verweigerung des Zugangs zu Natrium-Pentobarbital zu schützen seien.
Die Gefahren durch Miss- oder Fehlgebrauch des Mittels wiegen bei Aufbewahrung zu Hause angesichts seiner einfachen Anwendbarkeit besonders schwer. Dies ist die Kehrseite des Suizidmittels Natrium-Pentobarbital, das in einem Glas Wasser aufgelöst und dann – auch mit einem Strohhalm – einfach getrunken werden kann.
Suizidhilfe-Regelungen mit Natrium-Pentobarbital in anderen Ländern
Oft wird beklagt – jetzt wieder aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts –, in Deutschland täte man sich besonders schwer mit entsprechenden Freiheitsrechten bei der Vergabe von Natrium-Pentobarbital. Zwar sind hierzulande die Gesetzentwürfe zur Regelung der Suizidhilfe, die im Sommer dieses Jahrs auch eine entsprechende Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorsahen, zunächst gescheitert. Allerdings ist kein europäisches Land bekannt, in dem das Suizidmittel Natrium-Pentobarbital rezeptfrei abgegeben bzw. verkauft werden darf.
In deren (bisher oft als vorbildlich bezeichneten) Modellen ist nicht nur die Aufbewahrung, sondern auch der Zugang zu diesem tödlich wirkenden Barbiturat über Ärzt*innen reglementiert. Entweder darf es ausschließlich an Patient*innen mit nur noch sehr kurzer Lebenserwartung bzw. mit palliativmedizinischem Gutachten abgegeben werden (seit langem im US-Staat Oregon und neuerdings in Österreich) oder es ist (auch in der Sterbehilferegelung der Niederlande) nicht assistenzlos bzw. arztunabhängig für die eigene Verfügbarkeit erhältlich. Einen Sonderfall stellt das Schweizer Modell dar: Dort sind es die Sterbehilfeorganisationen, die dafür sorgen, dass ärztlich verschriebenes Natrium-Pentobarbital erst am Tag einer geplanten Freitodbegleitung ins Haus kommt und wieder mitgenommen wird, wenn es sich der*die zunächst Sterbewillige doch noch anders überlegt.
Ein Beitrag von Gita Neumann
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