Negative Reaktionen aus der Ärzteschaft und Erwiderung
Am Bundesgerichtshofurteil zugunsten der Suizidbegleitung von Dr. Turowski und Dr. Spittler gab es teils harsche öffentliche Kritik seitens ärztlicher Standesvertreter. Dr. Turowski widerspricht diesen in einem persönlichen Brief.
Bundesärztekammerpräsident Dr. Klaus Reinhardt erklärte in einer offiziellen Stellungnahme, es sei fatal und falsch, wenn das Urteil in der Bevölkerung Erwartungen wecke, die auf einen „regelhaften Anspruch auf ärztliche Assistenz beim Suizid gerichtet sind“. Daher sei und bleibe es richtig, „wenn Handlungen zur geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung strafbar sind.“ Reinhardt betonte, dass die Beteiligung an Selbsttötungen nicht zu den ärztlichen Aufgaben zähle. Es sei vielmehr Aufgabe von Ärzt_innen, Leben zu erhalten und Leiden zu lindern. Dabei sollten ärztliche Handlungen auf eine geeignete schmerzmedizinische Versorgung am Lebensende und „eine lebensorientierte Behandlung abzielen“. Als Beistand für Sterbende stelle die Palliativmedizin „eine adäquate Form der ärztlichen Hilfe“ dar, um „Menschen mit schweren Erkrankungen Zukunftsängste zu nehmen“, so Reinhardt.
Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst schließt sich diesen Ausführungen an und kommentierte das seiner Meinung nach falsche Urteil: „Selbsttötung ist keine Therapie“. Kritisch äußert sich auch der Vorsitzende der Ärztevereinigung Marburger Bund, Dr. Rudolf Henke, der das Urteil – da im Widerspruch zu berufsrechtlichen Pflichten stehend – für evident falsch ansieht: Wenn Mediziner_innen in ihren Grundsätzen von Sterbebegleitung sprächen, meinten sie Beistand und Fürsorge. Die Berufsordnung lasse zudem keinen Zweifel zu: „Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“
Besonders enttäuscht zeigt sich Dr. Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer mit den Worten: „Es war zwar zu erwarten, dass der BGH den Wunsch des Sterbewilligen an erster Stelle sieht, … aber ich hatte auf ein anderes Ergebnis gehofft“. Der Freispruch der beiden Ärzte sei „ein Beleg dafür, dass die Änderung des Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs, der die ,geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung‘ seit 2015 verbietet, notwendig und richtig ist, um künftige Fälle wie diesen zu verhindern.“ Es übersteige „eindeutig die Fachkompetenz eines einzelnen Arztes oder einer einzelnen Ärztin, im Alleingang zu entscheiden, ob die Möglichkeiten der Palliativmedizin bei einer todkranken Patientin oder einem todkranken Patienten ausgeschöpft seien“, führte Emami aus.
Die oben genannten Ärztevertreter verteidigen somit massiv den umstrittenen § 217 Strafgesetzbuch, der in diesem Jahr eventuell noch vom Bundesverfassungsgericht gekippt oder zumindest moniert werden könnte. Der Bundesgesetzgeber führte ihn im Dezember 2015 ein und die meisten Landesärztekammern hatten vorher ihre Berufsordnungen (welche das ärztliche Standesrecht regeln) entsprechend neu formuliert – um einen vermeintlichen Dammbruch zur Suizidhilfe zu verhindern. Dies stimmt mit der Lehre der katholischen Kirche voll überein. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx hatte schon vorher bekräftigt: „Wir müssen uns wehren gegen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum assistierten Suizid“. Nötig seien dagegen „eine Stärkung der Hospizarbeit und palliativen Versorgung“.
Seitens patientenvertretender Organisationen ist die Stiftung Patientenschutz wohl die einzige, welche sich diesen Auffassungen eins zu eins anschließt. Ihr Geschäftsführer Eugen Brysch hält überdies den Freispruch für den Berliner Hausarzt für „unverständlich“, der seiner Patientin ein Suizidmittel überlassen hatte. „Tagelanges Ringen mit dem Tod, Hausbesuche zur Todesfeststellung und aktive medizinische Hilfestellung sind keine Sterbebegleitung oder palliative Therapie“, so Brysch.
Dr. Turowski reagierte auf die Einwände gegen seinen Freispruch seitens der oben genannten fünf Kammervertreter und sonstigen Kritiker in einem persönlichen Brief an die diese wie folgt (leicht gekürzt):
Sehr geehrte Herren!
Als einer der beiden betroffenen Angeklagten erlaube ich mir eine
Stellungnahme zu Ihren öffentlichen Äußerungen zum Sterbehilfe-Urteil
vom 3.7.2019. Das
Gericht hat entschieden, dass der Arzt bei einem freiverantwortlichen Suizid
weder verpflichtet ist, noch ist es ihm erlaubt, Rettungsmaßnahmen für den
bewusstlosen Patienten zu ergreifen. Die Garantenpflicht des BGH-Urteils von
1984 ist damit endlich revidiert. …
Auf diesen o.g. Kern des Urteils gehen Sie in Ihren kritischen
Äußerungen leider gar nicht ein. Entweder haben Sie die Fälle nicht genügend
studiert oder Sie instrumentalisieren diese in unzulässiger Weise für Ihr
Anliegen: die Beibehaltung des § 217 StGB. Sie sprechen die Wichtigkeit der
Palliativmedizin an, die selbstverständlich als Angebot an erster Stelle stehen
muss. Da wird Ihnen niemand widersprechen. Aber, in beiden verhandelten Fällen ging
es nicht um Palliativpatienten.
Mit Ihrer öffentlichen Einschätzung eines „falschen“ Urteils fordern Sie indirekt eine Verurteilung von uns Angeklagten. Zur Aufklärung über meinen Fall können Sie im Anhang mein „Letztes Wort des Angeklagten“ lesen. Wenn Sie dann immer noch eine Verurteilung fordern, frage ich mich, wo Ihr Rechtsempfinden bleibt.
Der Hinweis auf die Berufsordnung für Ärzte überzeugt nicht … Hier wurde ich von der Ärztekammer – meiner Standesvertretung – sehr enttäuscht. Von dort kam keinerlei Unterstützung. Im Übrigen steht das Grundgesetz über einer Berufsordnung (Menschenwürde, Persönlichkeitsrecht)! …
Mit freundlichen Grüßen, Christoph Turowski