“Nicht Wiederbeleben”-Tattoo als Willenserklärung
Menschen lassen sich einiges einfallen, um nach einem Herzstillstand nicht wiederbelebt zu werden. Spektakulär sind Tätowierungen im Brustbereich mit der Direktive „Nicht reanimieren!“ Doch sind diese tatsächlich wirksam?
Patientendirektive auf der Haut – rechtsgültiger Wille?
Die Niederländerin Nel Bolten fürchtete sich im hohen Alter davor, ihre letzte Lebenszeit ans Bett gefesselt verbringen zu müssen und bevorzugte einen schnellen Herztod. Sie war noch fit und oft unterwegs. Ihre Ablehnung jeglicher Wiederbelebungsversuche war der Grund, warum sie ein Tätowierungsstudio in Den Haag aufsuchte. Dort ließ sie sich auf holländisch die Worte “Nicht reanimieren!!! Ich bin 91” ins Dekolleté stechen. Denn dass eine bei sich getragene Patientenverfügung erst gesucht und gefunden würde, wo es auf jede Minute ankommt, war ihr zu unsicher. Ihr Tattoo wurde auf Anfrage beim zuständigen Minister als rechtsgültig anerkannt.
In Deutschland hatte sich der damals 62-jährige Rentner Bernd Reinhold seine Willenserklärung unter die Haut stechen lassen. Wie die Bild 2013 berichtete, ließ er sich “Do not reanimate” – entsprechend dem internationalen Code “DNR” für ein Reanimationsverbot – auf die Brust tätowieren. Begründung: Er wolle damit im Ernstfall sichergehen, nachdem er selbst schon eine Nahtod-Erfahrung überlebt hatte. Doch führt die Konfrontation mit einem solchen Tattoo bei Notfallärzten verständlicherweise zu Verwirrung. Das zeigt die ärztliche Dokumentation eines aktuellen Falls aus den USA.
Aktueller Fall in Florida – Ärzte im Dilemma
Ist ein Tattoo rechtlich vergleichbar mit einer Patientenverfügung? Vor dieser schwierigen Frage standen die Ärzte im Jackson-Memorial-Krankenhaus in Miami. Wie sie 2017 im Fachblatt New England Journal of Medicine berichten, fühlten sie sich in einem unlösbaren Dilemma, als ein 70-jähriger Patient bewusstlos in ihre Rettungsstelle eingeliefert wurde. Als Vorerkrankungen waren in der Klinik chronisches Lungenleiden und Diabetes bekannt. Akut litt der Mann unter einem lebensbedrohlichen Vorhofflimmern, es zeichnete sich ab, dass bald lebensrettende Maßnahmen ergriffen werden müssten. Nun sah das Notfallteam auf der Brust das Tattoo “DO NOT RESUSCITATE” (“Nicht Wiederbeleben”), darunter war offenbar seine Unterschrift mit eintätowiert.
Das Tattoo hielt sie nicht davon ab, zunächst lebensrettende Maßnahmen durchzuführen, solange es noch Unklarheiten gab. Den Ärzten war ein Fall bekannt, in dem der Betroffene gar nicht an seinem eintätowierten Buchstabencode “DNR” festhalten wolle, diese aber nicht hatte entfernen lassen. Doch sie waren sich unsicher, ob sie im vorliegenden Fall richtig entschieden hatten und fragten die Ethik- und Rechtsexperten der Klinik um Rat. Diese vertraten die Auffassung, die Tätowierung des Patienten entspreche mit hoher Sicherheit dessen Präferenz, an die sich die Ärzte zu halten hätten.
Als sich der Zustand ihres Patienten weiter verschlechterte, verzichteten die Ärzte – aufgrund der Experten-Empfehlung – auf eine künstliche Beatmung. Der Mann starb einen Tag, nachdem er ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Erst nach seinem Ableben konnte ermittelt werden, dass er in einer schriftlichen Patientenverfügung angegeben hatte, aufgrund seiner chronischen Leiden seien alle lebensverlängernden Maßnahmen zu unterlassen. Daraufhin zeigten sich die Ärzte erleichtert, im Patientensinne richtig entschieden zu haben. Sie ziehen jedoch im Journal of Medicin das Fazit:
Das Tattoo ‘Nicht Wiederbeleben’ hat für mehr Verwirrung als Klarheit gesorgt bezüglich seiner Rechtmäßigkeit und der mutmaßlichen Überzeugung des Patienten.
Ähnliche Situation in Deutschland
Prof. Dr. Stefan Kluge, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, gibt den Ärzten aus Miami Recht. Seine Begründung im Spiegel:
Man kann ja nicht wissen, ob der Wunsch noch aktuell ist und ob der Patient sich über das Ausmaß der Entscheidung im Klaren war.
Auch in Deutschland müssten trotz eines solchen Tattoo zunächst alle Maßnahmen ergriffen werden, um den Patienten zu stabilisieren, sonst drohe eine Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung, sagt der Notfallmediziner. Sein Rat: Wer nicht wiederbelebt werden wolle, sollte eine Patientenverfügung verfassen – möglichst versehen mit eigenen Wertvorstellungen, warum ein absolutes Verbot ausgesprochen wird.
In letzter Zeit wird von immer mehr internetgestützten Patientenverfügungsanbietern ohne persönliche Beratung ein sogenannter Notfall-QR angeboten – als Aufkleber für die Gesundheitskarte oder den Personalausweis. Auch Schlüsselanhänger mit Notfall-QR sind auf dem Markt erhältlich. Das QR-Prinzip ist, dass die Patientenverfügung oder Notfalldaten damit schnell per Internetverbindung abgerufen werden können. Im Fall der Hinterlegung einer Patientenverfügung bei dem jeweiligen Verein oder Unternehmen kann dann online eingesehen werden, ob darin ein Hinweis auf eine gewünschte oder unerwünschte Reanimation enthalten ist.
QR-Code, Notfallpass, Stempel auf der Haut – was wirkt?
Es bleiben Datenschutzprobleme beim Zugriff auf die elektronische Speicherung per QR-Code. Vor allem aber dürfte damit ein Reanimationsverbot gar nicht am schnellsten von allen Möglichkeiten zur Kenntnis gebracht werden. Dazu noch einmal Prof. Kluge im Spiegel: “Patientenverfügungen sind oft mehrere Seiten lang, die können sich Ärzte im Notfall nicht durchlesen. Sie müssen schließlich innerhalb von Sekunden entscheiden”.
Das Problem, dass es auf jede Minute ankommt, wäre wohl besser zu lösen durch den ersten Blick auf eine in der Regel rot umrandete Notfallkarte (analog zur Ja- oder Nein-Option in einem Organspendeausweis) oder einen unterschriebenen Notfallpass. Das Beisichtragen bedeutet zum einen, dass der Betreffende diese Information freiwillig anderen überlässt und zum anderen, dass die Festlegung eines Reanimationsverbots aktuell gilt. Zumindest dürfte ein Stück Papier für Notfallmediziner überzeugender sein, da sich es sich bei Willensänderung bedeutend leichter entfernen lassen würde als ein Tattoo.
Für chronisch kranke Patienten ist eine Vorabinformation des Umfelds, etwa im Pflegeheim, das Mittel der Wahl. Auch darüber klärt Prof. Kluge auf:
Ältere Patienten, die in Pflegeheimen leben, können beispielsweise verfügen, dass das Pflegepersonal gar nicht erst den Notarzt alarmiert, wenn es zu einem Kreislaufversagen kommen sollte..
Bei der Wahl einer Patientenverfügung sowie auch eines Notfallausweises sollte also darauf geachtet werden, ob eine solche Option vorhanden ist.
Schon lange gibt es Medaillons mit der Aufschrift “Nicht reanimieren” und eingraviertem Namen oder regelmäßig zu erneuernde Stempelaufdrucke. Sie wurden vor allem für Palliativpatienten im Krankenhaus entwickelt, die eine entsprechende Patientenverfügung haben. Solche pragmatischen Lösungen sind – anders als hierzulande – in Ländern wie Kanada und den USA verbreitet.