Pflegeheim muss keinen Schadensersatz leisten Unklarheit über Strafrechtslage
Putz & Steldinger, Medizinrechtliche Sozietät München
Pressemitteilung vom 26.04.2006
“Berufungsurteil des Oberlandesgerichts München vom 26.04.2006 im Schadensersatzprozess der Eltern des Wachkomapatienten Peter K. gegen das Pflegeheim A.:
Pflegeheim muss keinen Schadensersatz leisten, weil Irrtum über die Strafrechtslage im Jahr 2001 unverschuldet war.
Das OLG München wies heute nach kurzer Verhandlung die Berufung der Eltern des Wachkomapatienten Peter K. gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein als unbegründet zurück. Die Eltern hatten auf Schmerzensgeld und Ersatz der Pflegekosten für die Dauer der rechtswidrigen Fortsetzung der Lebenserhaltung gegen den Willen von Peter K. geklagt. Das Oberlandesgericht urteilte, für eine Schadensersatzleistung sei neben der Rechtswidrigkeit des damaligen Handelns ein Schuldvorwurf an das Pflegeheim erforderlich. An letzterem fehle es, weil “bis hinauf zu den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs” Unklarheit über die Strafrechtslage bestehe. Es gehe in diesem Fall darum, ob ein Pflegeheim im Jahr 2002 über die Strafrechtslage unverschuldet irren durfte. Es gehe in diesem Zivilstreit nicht darum, festzustellen, wie diese Strafrechtslage objektiv ist. Daher sei die Revision auch nicht zuzulassen gewesen.
Stellungnahme der Medizinrechtlichen Sozietät Putz & Steldinger:
Das Urteil kann keinen Bestand haben. Das Oberlandesgericht München hätte korrekterweise feststellen müssen, dass die Strafrechtslage seit der höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1994 (so genannte “Kemptener Entscheidung”) eindeutig ist. Es hätte feststellen müssen, dass der Fall von Peter K. genau jenem Fall entspricht, der der Kemptener Entscheidung zugrunde lag. Es hätte weiter feststellen müssen, dass man darüber bei zumutbarer Information im Jahr 2002 nicht irren konnte. Daran ändert auch nichts, wenn Jahre später einem Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die Rechtsprechung der Kollegen der Strafsenate unklar erscheint.
Wir werden wie im Vorverfahren, als es um die Unterlassung der Lebensverlängerung gegen den Willen von Peter K. ging, gegen die Nichtzulassung der Revision eine “Nichtzulassungsbeschwerde” einlegen, um zu ermöglichen, dass die vereinigten großen Senate des Bundesgerichtshofs (Straf- und Zivilsenate) sich dieser drängendsten Rechtsfrage annehmen.
Dieses Verfahren zeigt mehr denn je in aller Deutlichkeit, wie dringlich eine Aufnahme des geltenden Rechts in das geschriebene Strafgesetzbuch und in das geschriebene Bürgerlichen Gesetzbuch ist.
Während der beiden gerichtlichen Verfahren um die ungewollte Lebensverlängerung des Peter K. hat unsere Kanzlei inzwischen weit über 100 derartige Mandate betreut. In der Praxis haben die Pflegeheime inzwischen erkannt, dass sie sich nicht mehr auf einen Verbotsirrtum berufen können. Insofern hat die Entscheidung, die nach der ausdrücklichen Betonung des Oberlandesgerichts den zumutbaren Informationsgrad eines Pflegeheimes im Jahr 2002 zugrunde legen musste, für die heutige und künftige Praxis keine Bedeutung. Immer wieder wurden gegen uns oder die Angehörigen oder die Ärzte Strafanzeigen erstattet, wenn das Sterben von Menschen, insbesondere Wachkomapatienten durch Einstellung von künstlicher Ernährung zugelassen wurde. Alle Strafverfahren wurden ausnahmslos eingestellt. Die Staatsanwaltschaften halten sich an die höchstrichterliche Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs.