Schuldhaft ja, aber christlich oder gar ehrenwert? Nikolaus Schneider tut sich schwer
Wir wünschen unseren Patientenverfügung-newsletter-Leser/innen FROHE OSTERN und weisen gern auf vielschichtigen Radio-Beiträge zu Glauben und Zweifel hin:
Oster-Ausgabe von CHRISMON
zu Weiterleben und Suizidhilfe
In CHRISMON, dem evangelischen Monatsmagazin, wird das Thema Suizidbegleitung und/oder Hilfe zum Weiterleben behandelt (Ich habe genug – Wenn gar nichts mehr hilft wer hilft mir dann?). Auszug:
>> Der Hamburger Krankenhausseelsorger Michael Brems hatte Betina K. fast drei Jahre lang begleitet. Sie war als 51-Jährige gestürzt und seitdem vom Kopf abwärts gelähmt. Während viele andere Hochquerschnittgelähmte irgendwann nach vorn schauen, wollte Betina K. von Anfang an nur sterben. Es ist, als würde ich den ganzen Tag vergewaltigt. Dem Pastor wird es noch heute eng im Hals, wenn er von dieser Verzweiflung erzählt.
Ja, sagte er einmal zu ihr, es spreche viel gegen ein Weiterleben, aber gebe es vielleicht auch etwas, das für ein Weiterlerben spreche? Mein Mann und meine Tochter, sagte die Frau und fing an zu weinen. Und dann, als die Beatmungsmaschine das Weitersprechen wieder zuließ: Aber das reicht nicht, das reicht nicht!
Betina K. nahm Kontakt zu Dignitas auf. Ihr Entschluss stand fest. Der Pastor wusste es. Oft noch telefonierte er mit ihr. Dann, zwei Tage vor ihrer Fahrt nach Zürich, besuchte er sie zum Abschied. Er feierte Abendmahl mit ihr, dem Ehemann, der Tochter und der alten Mutter. Das Abschiedsmahl des Menschen Jesus, der auch von seinem bevorstehenden Tod gewusst hatte. Dann segnete er Betina K.: Gott erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden heute, morgen und in Ewigkeit. Amen.
Zwei Tage später war Betina K. tot. Sie hatten alles versucht der Ehemann, der Psychologe, der Pastor und viele andere. Sie mussten einsehen: Ein Mensch kann sich an sehr vieles gewöhnen. Aber nicht jeder. Und nicht an alles.
Irritiert liest Pastor Brems deshalb die Erklärung, die das Leitungsgremium der evangelischen Kirche, der Rat der EKD, jüngst zum Thema Suizidbeihilfe abgegeben hat. Da steht: Aus christlicher Perspektive ist die Selbsttötung eines Menschen grundsätzlich abzulehnen.
Grundsätzlich abzulehnen das klinge dogmatisch, geradezu hartherzig, findet der Pastor. Und weiter heißt es in der Erklärung des Rats: Das Leben sei eine Gabe, über die der Mensch nicht verfügen könne. Menschen bei der Selbsttötung zu unterstützen, stehe in Widerspruch zu dieser christlichen Perspektive.
Hat Pastor Brems also unchristlich gehandelt? Das fragen wir Nikolaus Schneider, den Ratsvorsitzenden der EKD.
Nikolaus Schneider: “Nein, er hat christlich gehandelt. Ich hätte das genauso gemacht. Er hat mit ihr gerungen. Und er hat ihr gleichzeitig die Begleitung eines Christenmenschen nicht verweigert.”
Sie sagen doch: Selbsttötung geht gar nicht.
“Ja. Aber das Eine sind unsere Normen und ethischen Vorstellungen. Sie sollen das Leben strukturieren für eine ganze Gesellschaft und dem Einzelnen Orientierung geben, die er aber in eigener Verantwortung in seinem Leben realisieren muss. Das Zweite ist: Das Leben ist vielfältiger als alles, was wir überlegen können. Und wir behalten Respekt vor Menschen, die sich anders positionieren, weil sie nicht anders können.”
Und doch sagen Sie, Selbsttötung sei ein schuldhafter Vorgang.
“Ja, das sage ich. Aber wissen Sie, solange wir in dieser nicht erlösten Welt leben, leben wir sowieso in einem Zusammenhang von Schuld. Es kann ehrenwerte Gründe geben, Schuld auf sich zu nehmen. Und es kann mieseste Gründe geben, vermeintlich schuldfrei zu bleiben, sich die Hände nicht dreckig zu machen.”
Trotzdem fordert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) von der Politik, jede Form der organisierten Suizidhilfe zu verbieten
Bei Menschen mit Herzleiden, Parkinson oder multipler Sklerose ist der Verlauf mit seinem Auf und Ab schwer einzuschätzen. Diese Patienten kommen selten auf Palliativstationen oder in Hospize. Dabei leiden viele dieser Kranken ebenfalls. Vor allem alte Menschen, die mehrere Krankheiten haben wo die Medikamente gegen die eine Krankheit dann wieder andere Organe beeinträchtigen. Viel zu wenige Ärzte und Ärztinnen kennen sich aus mit der lindernden Medizin für Alte, also der palliativen Geriatrie.
Da klaffe eine große Versorgungslücke, sagt Gita Neumann. Die Psychologin ist Lebensberaterin beim Humanistischen Verband in Berlin, einer Organisation Konfessionsloser. Sie berät viele kranke Mitglieder. …>>
Aus medizinethischer und -juristischer Sicht ergibt sich zu der o. g. Fallgeschichte um Pfarrer Brems und Betina K. jedoch eine ganz andere Problematik: Haben Pastor Brems (und hätte Nikolaus Schneider) in diesem speziellen Fall auch richtig (schuldfrei, ehrenwert, redlich oder wie auch immer) gehandelt, indem der höchst beschwerliche Krankentransport zu Dignitas nach Zürich mitgetragen wurden? Die Antwort lautet: Nein, es wurde eben nicht alles versucht.
Denn Betina K. war überhaupt nicht über Alternativen der passiven Sterbehilfe, aus dem Leben zu scheiden, aufgeklärt worden. Von niemandem! Weder ihren Ärzten, noch dem eingeschalteten Rechtsanwalt Koch und eben auch nicht von ihrem Hamburger Pastor Brems, der ihr vor der letzten Fahrt in die Schweiz seinen Segen erteilte. Darauf weist im CHRISMON-Beitrag dankenswerterweise Beate Steldinger (Kanzlei Putz / Steldinger) hin.
Iin diesem sehr praxis- und lebensnahen sowie ausgewogenen CHRISMON-Beitrag (insgesamt 9 Seiten) kommen außerdem zu Wort:
- Dr. Christian Walther (Neurobiologe, Mitautor des Buches Ausweg am Lebensende , welches den freiwilligen Verzicht auf Nahrung (und ggf. Flüssigkeit) vorstellt
- Dipl.-Psych. Gita Neumann, Humanistischer Verband Deutschlands (Projektvertreterin von “Besuche und Kontakte” gegen Vereinsamung, Herausgeberin des Sammelbandes Suizid als Herausforderung)
- Elke Simon, Patientenschutztelefon der Deutschen Stiftung Patientenschutz (Organisation für die Rechte Schwerkranker, Pflegebedürftiger und Sterbender),
- Prof. Dr. Christof Müller-Busch (führender Vertreter der Palliativmedizin, Autor und Medizinethiker, ehemals Chef einer Palliativstation)
Mit ersten Kommentaren vollständig nachzulesen:
hier zum CHRISMON-Beitrag
Verhältnis Organspende und Patientenverfügung weiter strittig
Es geht um die Einschätzung des neuen Arbeitspapiers der Bundesärztekammer (BÄK) zum Verhältnis von Patientenverfügung und Organspendebereitschaft.
Die aus humanistischer Sicht – positive Bewertung der BÄK-Empfehlung zum Umgang mit diesem Spannungsfeld blieb nicht unumstritten.
Gegenteilig positioniert hat sich die Organisation Ärzte für das Leben (welche sich einerseits für absoluten Lebensschutz, Hospiz und Palliativversorung sowie andererseits gegen jede Form aktiver Sterbe- und Suizidhilfe ausspricht). Sie sieht weiterreichenden Klärungsbedarf. Der 1. Vorsitzende der Ärzte für das Leben, Prof. Dr. Paul Cullen in Münster und der stellvertretende Vorsitzende Dr. Erwin Grom erklärten dazu: … Die Organentnahme setzt umfangreiche Konditionierungsmaßnahmen wie Blutverflüssigung mit dem Risiko der Hirnblutung, künstliche Beatmung, Apnoetest mit möglichen Erstickungsanfällen und anderem mehr voraus. Unterschiedlich wird eine noch vorhandene Schmerzempfindung des Spenders beurteilt. Deshalb halten wir – wie bei allen ärztlichen Eingriffen – gegenüber jedem Organspendewilligen eine gesetzliche Aufklärungspflicht und deren schriftliche Dokumentation für unumgänglich. Quelle: Arzte-fuer-das-Leben-e-V-sehen-weiterreichenden-Klaerungsbedarf
Mangelt es also an echter, nicht interessegeleiteter Aufklärung?
Wie in letzter Zeit mehrfach verlautet, hat sich dereinst Prof. Rudolf Pichlmayr als Leiter des Transplantationszentrums Hannover, dazu folgendermaßen geäußert:
“Wenn wir die Gesellschaft ueber die Organspende aufklaeren, bekommen wir keine Organe mehr”
Siehe etwa forum.spiegel.de