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Suizidhilfe: Geldstrafen für Schweizer Arzt und zwei Deutsche

7. Aug 2013

Justiz- und Psychiatrieopfer Gustl Mollath ist frei!

http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-08/mollath-freilassung-bayreuth-feature

http://www.sueddeutsche.de/bayern/gustl-mollath-darf-psychiatrie-verlassen-die-im-dunkeln-sieht-man-nicht-1.1740528

 

AUS DEM INHALT:

1. Suizidhilfe in Deutschland und der Schweiz – zwei aktuelle Fälle, die beide von Angehörigen angezeigt wurden und zu Geldstrafen führten

2. Humanistischer Verband Deutschlands (HVD) vor Ort über regionale Aktivitäten informiert ein neuer HVD-Newsletter

3. Berliner Ärztekammer beschließt: Ärztliche Suizidhilfe wird nicht geahndet sie zieht damit auch Lehre aus verlorenem Verwaltungsgerichtsprozess gegen den Arzt U.-Chr. Arnold


1. Suizidhilfe – in Deutschland und der Schweiz ähnliche Verhältnisse?  Geldstrafe wegen Verstoß gegen “Wucher-Paragraph” in einem Trierer Fall

Hartnäckig hält sich die Meinung, in der Schweiz sei die ärztliche Hilfe zum Suizid bei einem freiwillensfähigen Patienten eindeutig erlaubt, während sie in Deutschland strafrechtlich sowie ggf. auch standesrechtlich untersagt sei. Das ist falsch. Zwei Fällen von Geldstrafe wegen Suizidhilfe, einer aus der Schweiz, einer aus Trier zeigen, dass – bei allen Unterschieden in der gesellschaftlichen Bewertung – auch Gemeinsamkeiten zu erkennen sind: Eine gesetzliche Regelung der ärztlichen Suizidhilfe gibt es in beiden Ländern nicht.

In beiden Fällen waren es Angehörige der Suizidenten, welche Anklage erhoben, weil angeblich gar keine zum Tode führende Erkrankung vorlag. Dabei wäre die Aussicht, noch länger (verzweifelt) leben zu können, bei fehlender gesetzlicher Grundlage gar kein Kriterium. In beiden Fällen wurden deshalb auch ganz andere Straftatbestände “konstruiert”. Im Trierer Fall bemühte Chefstaatsanwalt Brauer gar den Straftatbestand des Wuchers – er wollte unbedingt eine Anklage gegen die beteiligten Suizidhelfer erheben. Denn er vertrat die Auffassung, die vor 3 Jahren durch Suizid gestorbene Krebspatientin könnte heute vielleicht noch leben, es hätte sich bei der Seniorin nur um eine vermeintlich tödliche Krebserkrankung gehandelt. 

Schweizer Arzt wegen Suizidhilfe zu Geldbuße verurteilt

Ein Arzt aus Neuenburg (Schweiz) ist wegen Suizidhilfe zu einer Buße von 500 Franken verurteilt worden. Die geringe Höhe hat fast nur symbolischen Wert, das Gericht billigte dem Arzt redliche und uneigennützige Motive zu. Angehörige des verstorbenen 89-jährigen Patienten, der kurz vorher bereit einen gescheiterten Suizidversuch unternommen hatte, erstatteten Anzeige erstattet. Der Arzt wurde schuldig gesprochen, seinem verzweifelten Patienten die tödliche Substanz Natriumpentobarbital verschrieben zu haben, welche dieser selbstständig einnahm – wie dies doch eigentlich in der Schweiz erlaubt und gängig ist. Doch hätte der Arzt nicht die notwendigen Abklärungen zur Krankheit seines lebensmüden Patienten durchgeführt. Dazu gibt es anders als in den Be-Ne-Lux-Staaten und einigen US-Staaten wie Oregon – kein gesetzlich normiertes Verfahren. So stellt sich die Frage, worauf sich die Verurteilung stützen konnte: Dem Arzt wurde vorgeworfen, gegen das Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte sowie untergeordnet gegen das Gesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe verstoßen zu haben.

Quelle: http://www.basellandschaftlichezeitung.ch/schweiz/neuenburger-arzt-wird-wegen-sterbehilfe-schuldig-gesprochen-126869738

 

Mit Wucher-Strafrechts-Paragraph gegen Deutsche Suizidhelfer

In Deutschland gibt es bekanntlich ebensowenig eine gesetzlich normiertes Verfahren und kommt Hilfe zur Selbsttötung sogar (bisher) überhaupt nicht im Strafrecht vor. Doch auch hier können ersatzweise Straftatbestände herhalten, wie der folgende Trierer Fall zeigt:

Die Trierer Staatsanwaltschaft ermittelte ebenfalls ausgelöst durch eine Anzeige von Angehörigen – im Fall einer freiwillig aus dem Leben geschiedenen krebskranken Seniorin. Nachdem sich ein zunächst ausgesprochener Verdacht (Tötung auf Verlangen) als unhaltbar erwies, ließ der ermittelnde Staatsanwalt nicht locker, obwohl die Beihilfe zur Selbsttötung also etwa das Besorgen tödlicher Medikamente für einen Freiwillensfähigen in Deutschland definitiv nicht strafbar ist (weder für Ärzte noch für nicht-medizinische Laien). Chef-Staatsanwalt Jürgen Brauer wollte auch deshalb nicht aufgeben, weil die vor drei Jahren aus dem Leben geschiedene Trierer Seniorin womöglich heute noch leben könnte. Nach unseren Unterlagen war die vermeintlich tödliche Krebserkrankung erfolgreich behandelt worden. Das macht die Sache so dramatisch, gab er an. Er kam auf die Idee, nunmehr einen Strafbefehl zu erwirken wegen Wuchers. Bei den beiden Beschuldigten handelte es sich um den Vorsitzenden des Vereins SterbeHilfeDeutschland, den ehemaligen Hamburger CDU-Politiker Roger Kusch, sowie einen Neurologen, der als Gutachter des Vereins die Freiwillensfähigkeit der suizidwilligen Vereinsmitglieder überprüft. Begründung für den Wucher-Vorwurf: Die Frau hatte laut Chef-Staatsanwalt Jürgen Brauer 8000 Euro an den Verein gezahlt, die dafür erbrachten Leistungen hätten – unter Ausnutzung ihrer Notlage in keinen annähernd angemessenen Verhältnis dazu gestanden.

Wucher-Paragraph 291 im Strafrecht

Tatsächlich gibt es im Deutschen Strafrecht einen § 291 Wucher. Dieser sollte laut Staatsanwalt Brauer anhand folgender Kriterien zur Anwendung kommen können:

Wer die Zwangslage oder Unerfahrenheit eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich für die Gewährung einer Leistung Vermögensvorteile gewähren lässt, die in einem auffälligen Mißverhältnis zu der Leistung oder deren Vermittlung stehen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ein schwerer Fall von Wucher liegt in der Regel vor, wenn der Täter die Tat gewerbsmäßig begeht oder wenn dadurch der Geschädigte in wirtschaftliche Not gebracht wird. Siehe Paragraph 219 Strafgesetzbuch im Wortlaut: http://dejure.org/gesetze/StGB/291.html

Weil die beiden Beschuldigten den Strafbefehlen widersprochen haben, machte das Trierer Amtsgericht jedoch einen anderen Vorschlag: Das Verfahren wird gegen Zahlung einer Geldauflage in Höhe von insgesamt 20.000 Euro eingestellt. Wir gehen darauf ein, um Schaden von unserem Verein fernzuhalten, sagte Vorsitzender Roger Kusch dem Trierischen Volksfreund. Die Arbeit des Vereins gehe unverdrossen weiter.

Quelle: http://www.volksfreund.de/nachrichten/welt/themendestages/themenderzeit/Weitere-Themen-des-Tages-Ex-Spitzenpolitiker-wegen-Sterbehilfe-im-Visier-der-Trierer-Staatsanwaelte;art742,3584913

 

2. Über regionale Aktivitäten informiert ein neuer HVD-Newsletter

Dieser Patientenverfügung-newsletter ist kein Programm-Kalender, vor allem wenn es sich nicht um Ereignisse von bundesweiter Ausstrahlung handelt. Wer aus dem humanistischen Spektrum mehr zu regionalen Aktivitäten, Veranstaltungen, Gruppentreffen o. ä. wissen möchte, sei auf den neuen, unter www.humanismus.de zu abonnierenden Newsletter (rechts auf der Homepage) verwiesen. Er erscheint monatlich.

Sie werden dort dann Details sowie exakte Zeit- und Ortsangaben auch zu den Themen humanes und selbstbestimtes Sterben sowie Tod und Trauerkultur finden. Eine kleine Vorauswahl:

Stuttgart:

18. Oktober im Rahmen der Stuttgarter Kulturwoche unter dem Motto: Der Tod gehört zum Leben

23. – 25. November dreitägige Stand-Präsenz auf der Messe LebensWende mit Workshop / Vortrag von RA Hedda Hoffmeister: Patientenverfügung aber richtig

Frankfurt a.M.:

18. Oktober: Wer hilft mir, wenn ich sterben will? – der bekannte Arzt und Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold stellt seine konkrete Unterstützung vor (mit anschließender Diskussion).

Berlin:

im August Infostände in Weißensee sowie zum Auftakt der Seniorenwoche in Charlottenburg zu Vorsorge, Betreuungsrecht und humanem Sterben

im November im Rahmen der 13. Hospizwoche: Podiumsveranstaltung zum Umgang mit Suizidbegehren in der Praxis (Ort: Katholische Fachhochschule), sowie Info-Veranstaltung zum Thema Organspende soll ich oder soll ich nicht?


Im neuen HVD-Newsletter werden Veranstaltungen vor Ort annonciert, die entweder von den Landesverbänden organisiert werden oder an denen Persönlichkeiten aus dem HVD zumindest beteiligt sind.

3. Berliner Ärztekammer beschließt: Ärztliche Suizidhilfe wird nicht geahndet

 

Ein ermutigendes Signal: Wie bereits andere Landesärztekammern hat sich nunmehr auch die Ärztekammer der Hauptstadt gegen eine standesrechtliche Verbotsformulierung in der Frage des assistierten Suizids ausgesprochen. Es ist zu begrüßen, dass sie nach langer interner Debatte einen Türspalt aufgestoßen für mehr Verantwortungsbewusstsein und Gewissensfreiheit von Ärzten.

Die Ärztekammer Berlin hat sich gegen einen Passus in der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) gestellt. Dieser besagt, dass Ärztinnen und Ärzte keine Hilfe beim Suizid leisten dürfen dass diese standesrechtlich verboten sei. Diese Empfehlung hatte für Kritik und Empörung gesorgt. Es wurde u. a. die Frage aufgeworfen, ob standesrechtlich etwas mit Sanktionen belegt sein kann, was strafrechtlich als nicht rechtswidrig gilt.

Die Ärztekammer der Hauptstadt gibt ihren Mitgliedern mit Beschluss vom 21. Juni nunmehr (wie vorher wortgleich die Ärztekammer Westfalen-Lippe) die berufsrechtliche Vorgabe: Ärztinnen und Ärzte sollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten. Kammerpräsident Günther Jonitz gab auf der Delegiertenversammlung am 12. Juni 2013 bekannt: die Paragraphen-Änderung sei einstimmig angenommen worden, er sei sehr befriedigt über die gute Lösung. Außerdem sei mit der Neufassung einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30.03.2012 Rechnung getragen worden. (Gemeint ist damit der Erfolg des Berliner Urologen Uwe-Christian Arnold. Arnold hatte gegen seine Ärztekammer, die ihm Sanktionen wegen wiederholter Suizidhilfe angedroht hatte, vor Gericht gewonnen.)

Quelle: http://www.berliner-aerzte.net/pdf/bae1307_024.pdf#search=

Ärzte, die gewissenhaft einem todkranken oder schwer versehrten Sterbewilligen diese Art von legaler Sterbehilfe gewähren, bei der die Tatherrschaft bis zum Schluss beim Patienten liegt, haben grundsätzlich keine Anklage des Staatsanwaltes zu befürchten und zumindest in Berlin und anderswo auch keine berufsrechtlichen Sanktionen. Ein neuer Straftatbestand ist allerdings weiterhin von der CDU-Fraktion geplant. Die Organisation SterbehilfeDeutschland gibt bekannt: Wer wünsche, dass ihr Vorstand ins Gefängnis gehen sollte, müsse im September nur die Union wählen.

Es wird in der kommenden Legislaturperiode wieder der Gesetzgeber gefragt sein, ob die ärztliche Suizidhilfe wie bisher eine Gewissensentscheidung bleiben soll oder ob strikte Sorgfaltskriterien gesetzlich normiert werden sollen (wobei im Falle der Zuwiderhandlung dann Strafe drohen würde). Dies ist durchaus als ein Spannungsfeld zu begreifen, wird auch von prinzipiellen Suizidhilfebefürwortern wie dem HVD (Humanistischer Verband Deutschlands) oder der DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) unterschiedlich bewertet und scheint noch längst nicht zu Ende gedacht zu sein.