Suizidhilfe: Staatsanwaltschaft bestätigt Rechtmäßigkeit
Suizidhilfe im Familienkreis: Staatsanwaltschaft bestätigt erstmals die Rechtmäßigkeit trotz bestehender Garantenpflicht
Was immer schon rechtstheoretisch formuliert, aber in der Praxis bisher nicht verifiziert war (trotz mehrfach angekündigtem Präzedenzfall einer Suizidhilfeorganisation auf deutschem Boden, der jedoch stets ausblieb):
Nun hat relativ unspektakulär die Suizidbeihilfe bei der 77 -jährigen Münchnerin Anna P. (Name geändert) gezeigt, dass und wie eine solche auch in Deutschland juristisch möglich ist. Die Kinder selbst verständigten nach dem begleiteten Freitod wie geplant die Polizei, legten alles offen.
In der vorigen Woche veröffentlichte die Kanzlei Putz & Steldinger die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft München I (125 Js 11736 / 09 siehe Link unten) vom 30.7.2010. Darin wird sehr ausführlich juristisch begründet, dass sich die Angehörigen trotz bestehender Garantenpflicht dank sorgfältiger Absicherungskriterien keines gerichtstauglichen Deliktes schuldig gemacht haben. Folglich hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt und dies dankenswerterweise auch ausführlich begründet.
Der Fall
In Eigenhilfe besorgte sich Anna P. tödlich wirkenden Mittel selbst, ohne zwischengeschaltete Hilfe einer Organisation.
Ihre erforderliche Freiverantwortlichkeit wurde ärztlich sogar von der Klinik attestiert, in der sie sich in ambulanter Behandlung befand. Sie sei nachweislich weder geistig noch seelisch beeinträchtigt und hätte nachhaltig den Wunsch aus dem Leben zu scheiden, bestätigte die Klinik – bevor sie dies krankheitsbedingt nicht mehr hätte tun können.
Jeder Arzt konnte die Medikamente verschreiben, so RA Putz in der Münchener Abendzeitung. Aber vor ein paar Jahren wäre das, was folgte “noch ein Fall von unterlassener Hilfeleistung gewesen”, heißt es dort.
Anna P. wusste seit langem, dass sie an Alzheimerscher Demenz litt. Sie war insoweit auch in ärztlicher Behandlung. Sie wusste um die Entwicklung dieses Krankheitsbildes. Sie plante deshalb, sich das Leben zu nehmen, bevor sie aufgrund des Fortschreitens der Krankheit dazu nicht mehr freiverantwortlich in der Lage gewesen wäre.
Sie trat einer Schweizer Sterbehilfeorganisation bei, die ihr jedoch bescheinigte, ihr nicht beim Freitod helfen zu können. Grund: Ihr Leiden war noch nicht weit genug fortgeschritten (es ging ihr noch zu gut), so dass mit der Organisation kooperierende Ärzte kein tödliches Rezept für sie ausstellen würden. So entschied sich Anna P. zur Selbsthilfe in den eigenen vier Wänden und besorte sich selbst tödlich wirkende Medikamente.
Die Freiverantwortlichkeit wurde ärztlich attestiert. Die Klinik, in der sich Anna P. in ambulanter Behandlung befand, war involviert und informiert. Dort verabschiedete sich die Patientin, um wie dort offen dargelegt an einem festgelegten Tag im Kreise ihrer Kinder Suizid zu begehen …
Weiter zum Fall Anna P. und zur Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft ihre Kinder betreffend (Original-Scan anonymisiert):
Seit 30.7. 2010 amtlich: Wie Hilfe und Begleitung zum Suizid juristisch folgenlos bleibt
Hinzu kam in der letzten Woche der Doppelsuizid des ehemaligen Flick-Managers Eberhard von Brauchitsch und seiner Frau, beide körperlich leidend (er an Lungenemphysem, sie an fortgeschrittener Parkinson-Krankheit). Fast alle Medien berichteten darüber in einem Sinn, als sei das Wählen des Freitods im hohen Alter bei schwerster Krankheit auch in Deutschland als Selbstverständlichkeit inzwischen voll akzeptiert.
Zum Welt-Suizid-Präventionstag am 10. September
Nun fand am Freitag voriger Woche ausgerechnet auch der Welt-Suizid-Präventionstag statt unter dem Motto: Suizid hat viele Gesichter. In Deutschland nehmen sich jährlich offiziell festgestellt – fast 10 000 Menschen das Leben (die Dunkelziffer ist erheblich höher). Bei Männern ist die Suizidrate mit 14,9 Fällen je 100 000 Einwohner mehr als dreimal so hoch wie bei Frauen, berichtete der Suizidforscher Manfred Wolfersdorf tags zuvor in Bayreuth.Die Häufigkeit von Selbsttötungen nimmt insbesondere bei Männern mit wachsendem Alter zu, berichtete Wolfersdorf.
Der Welt-Suizid-Präventionstag soll dazu beitragen, das Thema zu enttabuisieren und Anzeichen für eine Gefährdung im persönlichen Umfeld besser zu erkennen.
Dabei wird natürlich nicht von der legitimen Möglichkeit ausgegangen, eine Selbsttötung wie oben dargestellt als freiverantwortlich zu akzeptieren oder gar zu unterstützen. Zwischen Suizidprävention und Suizidhilfe tut sich noch ein scheinbar unüberbrückbarer Graben auf.
Zum Welttag der Suizidprävention:
www.dermerkur.de/experten_fordern_vorurteilsfreien_und_differenzierten_umgang_mit_suizidthematik
Die Prävention ist vor allem für Menschen mit psychischer Erkrankung wie Depression wichtig:
www.aerzteblatt.de/Suizidpraevention_fuer_Menschen_mit_Depressionen