Teure Schikane Bosbach Gesetz-Entwurf zur PV ohne Chance
Kommentar von Gita Neumann, Humanistischer Verband Deutschlands
In der Auseinandersetzung um die Gültigkeit von Patientenverfügungen liegen nunmehr drei (im Wortlaut siehe hier) unterschiedliche Entwürfte auf dem Tisch.
Der jüngst vorgestellte (von Zöller/Faust u. a.) präsentiert sich als "Kompromiss", beansprucht die mittelere Position darzustellen. Tatsächlich will er auch eine mündlich geäußerte Patientenverfügung für verbindlich erklären. Das spricht nicht gerade für eine Kompromisslinie in der Debatte, offenbart jedoch ein prinzipiell sympathisches Weltbild: Es setzt auf Vertrauen v. a. in Ärzte und Betreuer bzw. Bevollmächtigte. Diese sollen gemeinsam die Verantwortung dafür übernehmen, dass ein gewünschter Behandlungsabbruch auch dem Willen des einsichtsunfähig gewordenen Patienten entspricht.
Dies ist geradezu eine Horrorvorstellung für den Gegenentwurf (von Bosbach/Göhring-Eckardt u. a.). In dem hier zugrundeliegenden Weltbild wird befürchtet, dass von Familie, Ärzteschaft und nicht zuletzt dem Patientenwillen selbst schreckliche Gefahren für den Lebensschutz ausgehen. Rigideste Form- und Kontrollvorschriften sollen das Schlimmste verhindern.
Tatsächlich darf ein dritter, nämlich der bereits im Bundestag eingebrachte Entwurf (von Stünker/Kauch u. a.) mit Fug und Recht als Kompromiss gelten. Er kodifiziert nüchtern die bestehende Rechtslage und auch die Richtlinien, die von der Bundesärztekammer vorgelegt wurden. Die Kritik daran: "Automatismus". Wer die Praxis kennt, weiß, dass eine Patientenverfügung nicht einfach mal so schnell eins zu eins umzusetzen ist – ein Automatismus ohne agierende Verantwortliche ist deshalb prinzipiell unmöglich. Also was wollen diejenigen, die den "Automatismus"-Vorwurf erheben? Mehr Kontrolle: nein, mehr Vertrauen: nein, eine Gesetzgebung überhaupt verhindern: scheinbar. Warum eigentlich? Begründung: Jeder Einzelfall ist anders, es darf weder zuviel noch zu wenig Vertrauen und Kontrolle geben, weder alles zu schwierig noch zu einfach sein.
Eben: Dann nehmen wir doch den Entwurf von Stünker/Kauch als gesetzlichen Rahmen. Aber dann würde es doch einen "Automatismus" bei der praktischen Umsetzung einer Patientenverfügung geben. Ach so.
Soviel zur Logik. Aber immerhin: Es bestehen gute Aussichten, dass sich die beiden Entwürfe, die von ridigen staatlichen Kontrollmechanismen a la Bosbach und einigen Grünen absehen, auf der Basis der Vernunft treffen werden. Als Termin ist das Frühjahr 2009 genannt.
Weiterer Kommentar zu den drei Entwürfen:
http://www.suedwest-aktiv.de/landundwelt/politik/3984153/artikel.php?SWAID=60e3a9075c17eb4b528b53340b740422
Der Gesetzesvorstoß, eine heutzutage verbindlich geltende Patientenverfügung zu entwerten und dagegen hohe bürokratische Hürden zu errichten, wird immer massiver kritisiert. Er war vorige Woche federführend von Bosbach (CDU) zusammen mit Göring-Eckardt und Künast (Grüne) sowie einzelnen Abgeordneten anderer Parteien vorgenommen worden. Unter dem irreführenden Titel "Selbstbestimmung stärken Patientenwohl schützen". Der Kern des Vorstoßes wird im Spiegel dieser Woche zutreffend mit dem Titel "Angriff auf die Autonomie" beschrieben.
Kommentare zum Entwurf von Bosbach u. a. im Spiegel:
Der Palliativmediziner Prof. Borasio: "Die letzte Lebensphase wird massiv verrechtlicht und damit entmenschlicht." Am absurdesten findet er die strikte Unterscheidung zwischen heilbaren und unheilbaren Krankheiten im neuen Gesetzentwurf. Medizinische Beratung sei sinnvoll, "Notarpflicht hingegen eine teure Schikane".
Bundesjustizministerin Zypries: "Wenn der eindeutige Wille der Menschen allein nicht zählt, sondern Bürokratie, Betreuer und Vormundschaftsgerichte zwingend eingeschaltet werden, dann schränkt dies das Selbstbestimmungsrecht massiv ein." Die geltende Rechtslage stelle dieses Recht sicher, eine Verschlechterung würde sie nicht hinnehmen.
Um stattdessen eine vernünftige gesetzliche Festschreibung der bestehenden Rechtslage zu erreichen, mahnt Zypries die Union. Sie soll sich an die Zusage halten, den Fraktionszwang aufzuheben. Es sei skurril, dass bisher kein einziger Abgeordneter der CDU/CSU dem von ihr favorisierten Entwurf von Stünker u. a. angeschlossen habe.
Bisher gibt es außerhalb der Initiatoren selbst (d. h. Bosbach und Mitstreiter/innen) keine einzige Stimme, die nicht zumindest an der Idee der notariellen Beurkundung Kritik geäußert hätte. (Die Kosten dafür sollten laut Bosbach bei Bedürftigkeit übrigens von den Kommunen übernommen werden ). Man kann deshalb voraussagen, dass dieser Angriff auf die Patientenautonomie gescheitert ist.
Selbst der als konservativ geltende frühere Bundesjustizminister Schmidt-Jortzig hält im Ärzteblatt dagegen. Er kritisiert v. a. einen noch darüber hinausgehenden Passus im Entwurf von Bosbach u. a.: Danach soll der in einer Patientenverfügung ausgedrückte Wille selbst nach ärztlicher Beratung und notarieller Beurkundung dann immer noch nicht verbindlich sein, wenn der Wille in Unkenntnis der Möglichkeit späterer medizinischer Entwicklungen formuliert worden sei. "Da diese Voraussetzung von keinem Nichtfachmann je erfüllt werden könnte, wäre mit ihr ein Einfallstor für allfällige Zweifel an der Verfügungsverbindlichkeit gegeben", sagte Schmidt-Jortzig im Interview. "Neue Streitigkeiten" wären abzusehen. aerzteblatt.de Quelle:
Die Fessel des Richters
Der von Bosbach u. a. vorgeschlagene Kontrollmechanismus, der quasi eine Regelüberprüfung des Sterbewunsches durch Vormundschaftsrichter vorsieht, sollte dringend mit der Überlastung dieser Berufsgruppe in der Praxis konfrontiert werden. Ein Schlaglicht auf die Situation bei schon bestehenden richterlichen Genehmigungspflichten wirft der folgende Beitrag:
"Die Fesseln des Richters
700 Anfragen pro Jahr. Das war Amtsrichter Michael Irmler zu viel. Deshalb ließ er Bewohner von Pflegeheimen an die Betten fesseln, ohne die Notwendigkeit solcher "Fixierungen" nachzuprüfen. Jetzt steht er wegen Freiheitsberaubung vor Gericht. Und mit ihm ein unmenschliches System.
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