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Verhinderung von Selbsttötungen oder Hilfe dazu – eine unendliche Geschichte 

13. Mrz 2024

Von Gita Neumann

Eigentlich sollten laut Bundestagsbeschluss bereits Vorschläge für eine Verbesserung der Suizidprä­vention vorliegen. Aber es passiert kaum etwas  ähnlich wie bei der gesetzlichen Neuregelung der ärztlichen Suizidhilfe. Angesichts von rund 10.000 Selbsttötungen jährlich sollten beide Ansätze in einen zeitgemäßen, respektvollen und humanen Umgang mit Suizidalität integriert werden. 

An dem Tag, als die Abstimmung für eine gesetzliche Neuregelung der Suizidhilfe scheiterte, nahm der Bundestag mit überwältigender Mehrheit von 692 Ja-Stimmen den Antrag „Suizidprävention stärken“ an. An jenem 6. Juli 2023 waren sich über deren absoluten Vorrang so gut wie alle Abgeordneten einig – eigentlich sollte ein Konzept der Bundesregierung bis Frühjahr 2024 erstellt sein. Darin sei eine umfassende Strategie für die Verhinderung von Selbsttötungen zu entwickeln, wofür erhebliche Mittel in Millionenhöhe zur Verfügung zu stellen wären. 

Mehr Geld für Suizidpräventions-Programme gefordert

Als weitgehend gescheitert bewertet wurden die bisherigen Bemühungen des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), einem Fachnetzwerk von etwa 90 Organisationen und Institutionen. Der Psychiatrieprofessor Reinhard Lindner, Leiter der NaSPro, hält jetzt die im Haushalt 2024 eingeplanten 350.000 Euro „nicht mal ansatzweise“ für ausreichend. Wesentlich sei der Ausbau niedrigschwelliger Hilfen. „Für die nächsten drei Jahre liegt ein entsprechender Betrag zum Anschub einer angemessenen Suizidprävention in Deutschland bei mindestens 80 Millionen Euro“, zeigt sich Lindner im Deutschen Ärzteblatt-Artikel Trotz Parlamentsbeschluss stiefmütterlich behandelt“ überzeugt. Die dortige Grafik zeigt als „Alarmsignal“ auf, dass sich die jährliche Zahl der registrierten Suizide wieder erhöht und – erstmalig nach kontinuierlichen Rückgängen seit den 1990er-Jahren – wieder die Marke von 10.000 überschritten habe. Hinzu kommen all jene Suizide, die in der Statistik als „ungeklärte Todesursache“ auftauchen, sowie die insgesamt als 10- bis 20-mal so hoch geschätzten misslungenen Versuche zur Selbsttötung. 

Ziel des laut Parlamentsbeschlusses bis Jahresmitte 2024 vorzulegenden Gesetzentwurfs soll auch ein Suizidpräventionsdienst sein, der in Zusammenarbeit von sozial­psychiatrischen Diensten, projektfinanzierten professionellen Beratungsstellen sowie der Laienhilfe durch Telefonseelsorge rund um die Uhr erreichbar ist. Dazu betont der im Juli vorigen Jahres mit so großer Mehrheit verabschiedete Antrag: „Früherkennung und Beratung von Menschen mit Suizidgedanken haben einen hohen Stellenwert. Deshalb sind niedrigschwellig zu erreichende Krisendienste unerlässlich“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 20/7630). 

Allerdings geht man bei deren Realisierung vom psychiatrischen Mantra aus, dass sich Suizidprävention und eine ergebnisoffene Konfliktberatung für Menschen mit Suizidgedanken und -impulsen fundamental ausschließen. Dabei ist offenkundig, dass eine Öffnung zur zumindest möglichen (gleichsam nicht verbotenen) ärztlich assistierten Suizidhilfe niedrigschwellig sehr viel mehr Hilfe- und Ratsuchende erreichen würde, die sich sonst gar nicht angesprochen oder gar abgeschreckt fühlen. Solche Ansätze zum zeitgemäßen respektvollen Umgang zum Phänomen Suizidalität sollten deshalb von der Prävention nicht ausgegrenzt, sondern im Gegenteil in eine Suizid(konflikt)-Beratungsstrategie integriert werden.

Neue Herausforderungen zur Bestimmung der „Freiverantwortlichkeit“

Separate Einigungsversuche zu einem Suizidhilfegesetz „dümpeln“ hinter den Parlamentskulissen ebenfalls vor sich hin. Dabei könnte zu verbindlichen Regulierungen etwa ein Vier-Augen-Prinzip von zwei Ärzt*innen als Voraussetzung zählen, um im Betäubungsmittelgesetz die Verschreibung suizidtauglicher Medikamente zu legalisieren bzw. diese zugänglich zu machen (ein diesbezüglicher Gang vor das Bundesverfassungsgericht ist dazu jedenfalls untauglich). 

Auch diese Bemühungen scheinen zu einer „never ending story“ zu werden – so lautete unlängst die Anmoderation einer Debatte zum Thema „Geht’s ohne Gesetz besser – oder wie geht’s weiter?“ mit der FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr, liberale Initiatorin eines der 2023 gescheiterten Gesetzentwürfe. Doch es besteht neuer Regelungsbedarf – dabei keinesfalls ausschließlich aus psychiatrischer Sicht – für eine konkrete Bestimmung der Freiverantwortlichkeit von Suizident*innen –, denn dieses neue Rechtskonstrukt entscheidet letztlich darüber, ob Suizidhelfer*innen freigesprochen oder wegen eines Tötungsdelikts verurteilt werden. 

Eine erforderliche Einsichts-, Einwilligungs- bzw. Entscheidungsfähigkeit schützt Menschen laut Betreuungsrecht auch in anderen Lebensbereichen davor, zum Opfer relevanter geistiger oder seelischer Störungen zu werden. Es geht dabei um eine drohende Gefährdung, wenn diese kausal krankheitsbedingt (akut auch etwa durch Delir) vom Betroffenen gar nicht als solche wahrgenommen und eingeschätzt werden kann. 

Das damit verbundene Abgrenzungsproblem führen die gegenwärtigen Sterbehilfeprozesse gegen zwei Ärzte deutlich vor Augen. Einer davon ist bereits zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt (wegen Revision noch auf freiem Fuß) – der Psychiater Dr. Spittler, dem unzulässige Hilfe zur Selbsttötung im Fall Oliver H. vorgeworfen wird. Spittler betont, dass er bei der Abfassung seines Gutachtens bezüglich dessen „Residualsymptomatik nach mehrfachen paranoid-schizophrenen Erkrankungen“ selbstverständlich die Frage der Freiverantwortlichkeit gemäß psychiatrischen Kriterien geprüft und beurteilt habe. Gegenüber der Autorin macht er deutlich: „Ich weiß doch zur Genüge, dass ein Patient mit einer Schizophrenie Wahnsymptome haben kann … aber Oliver H. hat sich in der Untersuchungssituation so ungezwungen spontan und nüchtern sachlich verhalten, dass selbst von ihm verborgen gehaltene Wahnsymptome auszuschließen waren.“ Und auch der zurzeit vor Gericht stehende ehemalige Hausarzt Dr. Turowski weist bezüglich einer von ihm geleisteten Suizidassistenz bei der 37-jährigen Isabell R., die sehr schwer und nachhaltig an ihren Depressionen gelitten hatte, darauf hin: Aufgrund „der bilanzierenden Klarheit in den Ausführungen der Patientin“ habe er sich von deren Einsichts- und Urteilsfähigkeit völlig überzeugen können.

Diese Fälle beschäftigen sowohl Medien als auch die Fachwelt. Was allerdings nur Insider*innen bekannt ist: Es gibt auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen einen Suizidhelfer im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), gegen einen Arzt in Brandenburg, gegen einen namhaften Palliativmediziner in NRW – die Liste ließe sich wohl fortsetzen. Eine zunehmende Verunsicherung macht sich breit, für hilfesuchende Patient*innen gibt es noch größere Versorgungsengpässe als schon zuvor. Die jetzt bereits angeklagten Ärzte mit aberkannter Approbation, die jahrelang in jeweils Hunderten von Fällen für die DGHS (sowie auch für Dignitas und SterbehilfeDeutschland) tätig waren, dürften auch dort eine Lücke hinterlassen.

In öffentlichen Verlautbarungen erscheint hingegen weiterhin das Image einer „heilen Welt“ der organisierten Suizidhilfe ohne jegliche Probleme. Die jüngste Presseerklärung der DGHS nennt die erfolgreiche Bilanz von 419 ärztlichen Freitodbegleitungen im vergangenen Jahr bei ihren Mitgliedern – vorrangig in der Altersgruppe von (offenbar psychisch und kognitiv völlig uneingeschränkten) 80 bis 89-Jährigen. 


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