Vier Entwürfe zur Regelung der Suizidhilfe erste Lesung am 3. Juli
I N H A L T :
- Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur Suizidhilfe
- Mitschnitt der Veranstaltung Organisierte Suizidhilfe in Deutschland vom 3. Juni
- Weitere einschlägige Veranstaltungen (jeweils Eintritt frei!) bis Ende Juni
Nun müssen sich die Bundestagsabgeordneten festlegen. Bislang ist die Suizidhilfe bei einer freiwillensfähigen Person, welche die Tat dann selbstständig ausführt, in Deutschland völlig straffrei. Das soll sich jetzt aber nach Willen des Gesetzgebers ändern. Die Frage ist jedoch: Wie soll die Assistenz bei der Selbsttötung i. d. R. durch Bereitstellung tödlich wirkender Medikamente – in Deutschland geregelt werden? Am 3. Juli steht die erste Lesung von vier (fraktionsübergreifenden) Gesetzentwürfen zum Verbot bzw. zur Regelung der Suizidhilfe auf der Tagesordnung des Bundestages. Drei Gruppen haben ihre Entwürfe schon fertig. Der vierte ist noch nicht vollständig ausgearbeitet.
Zwei Entwürfe für ein Strafrechtsverbot
Bei den Verbotsbefürwortern reicht das Spektrum vom Totalverbot der Suizidhilfe ohne jegliche Ausnahme (Gruppe um Patrick Sensburg und Thomas Dörflinger, beide CDU) bis zum strafrechtlichen Verbot nur der geschäftsmäßigen Suizidhilfe. Zu letzterem hat sich eine größere Parlamentariergruppe zusammengefunden, die als einzige aus Vertreter/innen aller Fraktionen (von Union bis zu den Linken) besteht.
Neben Michael Brand (CDU) haben sich zu diesem 2. Verbotsentwurf Kerstin Griese und Eva Högl (beide SPD), Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe (beide Grüne) sowie Kathrin Vogler und Halina Wawzyniak (beide Linke) zusammengefunden. Ihnen zufolge soll die Beihilfe zur Selbsttötung in Zukunft mit bis zu 3 Jahren Gefängnis geahndet werden, wenn sie – etwa von einem Verein oder auch einem einzelnen Arzt – geschäftsmäßig betrieben wird. Ein neuer Strafrechtsparagraph soll dieser Gruppe zufolge heißen:
§ 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
“(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.”
Die Arbeit von Organisationen wie der des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch (egal ob kommerziell oder nicht) wäre damit nicht mehr möglich. Aber auch z. B. Onkologen (Krebs- oder Palliativmediziner), die im Laufe von Jahren bei mehreren ihrer Patienten Suizidhilfe geleistet hätten auch völlig unentgeltlich wären vom Vorwurf der Geschäftsmäßigkeit, d.h. über einen Einzelfall hinausgehenden Tätigkeit bedroht. Nach außen hin wird publikumswirksam so getan, als ob es gegen Geschäftemacherei ginge. In Wirklichkeit meint “geschäftsmäßig” im rechtlichen Sinne aber, dass man die Suizidhilfe “zu einem dauernden oder wiederkehrenden Bestandteil seiner Tätigkeit macht”, wie es auch richtig in der Begründung dieses Entwurfs heißt. Ob man damit Geld verdient oder nicht, soll keine Rolle spielen.
Wann aber handelt ein Arzt schon “geschäftsmäßig” und muss also bestraft werden? Oder wann geht es bei ihm nur um die straflose Wiederholung einer einzelnen Gewissensentscheidung? “Die Absicht ist entscheidend”, sagte hierzu laut Berliner Morgenpost der Initiator des Entwurfs, Michael Brand und ergänzte: “Dann müssen Gerichte entscheiden.” Vor Gericht zu klären wäre dann recht absurderweise – ein neuer Tatbestand, nämlich der des Regelmäßigkeitsbewusstseins des ärztlichen Suizidhelfers.
Wie rp online berichtet, sagte Kerstin Griese, die kirchenpolitische Sprecherin der SPD: “Wir rechnen uns aus, dass unser Antrag mehrheitsfähig ist”. Schon am Tag der Vorstellung hätten eine Reihe prominenter Vertreter aus Union und SPD ihre Zustimmung signalisiert. Zu den Unterstützern zählen die Fraktionschefs Volker Kauder (CDU) und Thomas Oppermann (SPD) sowie Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Rechtsexperte Wolfgang Bosbach (CDU). In der SPD favorisieren auch Arbeitsministerin Andrea Nahles, Umweltministerin Barbara Hendricks, die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und Parlamentsgeschäftsführerin Christine Lambrecht diesen Verbotsentwurf, der somit größte Aussichten auf eine Mehrheit hat. Eine Schwierigkeit mit dem Sterbetourismus in die Schweiz meint man in dieser Gruppe auch gemeistert zu haben: Laut ihrem Entwurf wäre ja die dortige organisierte, “geschäftsmäßige” Suizidhilfe nach deutschem Recht demnächst auch eine Straftat. Und das hieße, dass man in Deutschland bestraft werden könnte, wenn man “Teilnehmer” dieses Sterbetourismus wäre, etwa jemanden in die Schweiz fahren würde. Doch Angehörigen oder auch Nahestehende, die etwa einen sterbewilligen Schwerkranken dann dorthin begleiten, sollen ausdrücklich straffrei bleiben (etwa im Unterschied zu England, wo auch sie strafbedroht sind).
Zwei alternative Entwürfe gegen ein Strafrechtsverbot von Sterbehilfeorganisationen
Die beiden übrigen Entwürfe wollen ausdrücklich darauf verzichten, die in Deutschland tätigen (SterbehilfeDeutschland) oder in die Schweiz vermittelnden (Dignitas) Sterbehilfevereine strafrechtlich zu verbieten. Dazu zählt zum einen der liberalste Vorschlag einer Gruppe um Renate Künast von den Grünen und Petra Sitte/ Kai Gehring, beide von der Linken.
Der vierte Entwurf befindet sich noch im Stadium der Planung, er wird vertreten von einer Parlamentariergruppe um Karl Lauterbach (SPD) zusammen mit seiner Parteikollegin Carola Reimann und Peter Hintze (CDU).
Auf der Podiumsveranstaltung des Humanistischen Verbandes Deutschlands u.a. umrissen Petra Sitte und Karl Lauterbach ihre Konzepte.
Die per Video aufgenommene Statements von Petra Sitte und Karl Lauterbach siehe hier: http://www.patientenverfuegung.de/aktuelles
Nach Petra Sitte soll die organisierte, auf wiederholte Geschäftigkeit zielende Suizidhilfe ausdrücklich erlaubt bleiben. Verboten werden soll nur die “gewerbsmäßige” Suizidhilfe. Demnach würde mit Gefängnis bestraft, wer Suizidhilfe anbietet und wiederholt leistet, um sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Dadurch soll verhindert werden, dass die Suizidhilfe zu einem kommerziellen Geschäft wird. Wenn die Ärzte Suizidhilfe leisten wollen, müssen sie zunächst den Patienten über alle medizinischen, vor allem palliativen Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens informieren und Alternativen zur Selbsttötung aufzeigen. Diese ärztlichen Beratungspflichten sollen auch den Suizidhilfevereinen auferlegt werden.
Nach Karl Lauterbach ist es nicht hinnehmbar, dass sich de facto die Möglichkeit von Suizidhilfe auf Mitglieder bestimmter Vereine beschränkt. Er will Ärzten explizit die Assistenz bei der Selbsttötung erlauben, sofern der Patient eine aussichtslose, tödliche Krankheit mit schwerem Leiden hat was aber nicht auf Palliativpatienten (wie im Modell des US-Staates Oregon) begrenzt sein sollte. Die Vertreter dieses Entwurfes orientieren sich stark an dem von den Medizin(ethik und rechts)-Experten G.D. Borasio, R.J. Jox, J. Taupitz, U. Wiesing. Deren Vorschlag setzt ein Strafrechtsverbot der nicht-ärztlichen Suizidhilfe voraus (sowie auch der ärztliche Suizidhilfe, sofern strikt formulierte Verfahrensweisen und Kriterien nicht eingehalten werden). Soweit will Lauterbach aber angeblich nicht gehen wobei sich die vonim mitvertretene Parlamentariergruppe bisher ihren Gesetzentwurf noch nicht endgültig ausgearbeitet hat.
Auf derselben Veranstaltung brachte der Podiumsteilnehmer Roger Kusch am Ende seine tiefe Sorge zum Ausdruck, da es offenbar keine nennenswerte Stimme im Parlament gibt, welche sich für die Beibehaltung der bisherigen liberalen Regelung stark mache. Die Beiträge der – im Vergleich mit anderen Parlamentariergruppen ja eher liberal auftretenden – Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach und Petra Sitte ließen erkennen, dass auch diese die bestehende Praxis der Suizidorganisationen jedenfalls nicht unangetastet lassen wollen. Kusch machte am Schluss der Veranstaltung deutlich, sein Verein SterbehilfeDeutschland habe in Zürich bereits eine Dependance eingerichtet und werde alle Aktivitäten sofort dorthin verlagern, sobald ein zu befürchtendes Verbotsgesetz in Kraft ist. Und dies solange – was allerdings Monate oder Jahre dauern könne – bis es verfassungsrechtlich wieder gekippt sei. Dazu habe sein Verein schon einen Klageantrag vorbereite. (Videoausschnitt mit Roger Kuschs Schlusswort in der Abschlussrunde siehe hier)
Weitere Veranstaltung zur Auseinandersetzung mit den vier Gesetzentwürfen
Die o. g. Podiumsveranstaltung des Humanistischen Verbandes Deutschlands (zusammen mit der gbs und der HU) wird fortgeführt durch die Humanistische Union (zusammen mit dem arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt Universität zu Berlin):
Angehörige, Ärzt/innen oder Sterbehelfer/innen wer darf beim Suizid assistieren?
30. Juni 2015 um 18.30 Uhr im Senatssaal der Humboldt-Universität Berlin, Hauptgebäude Unter den Linden 6.
Seit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 sind der Suizid (d.h. die frei verantwortliche Selbsttötung) und die Beihilfe dazu in Deutschland straffrei. Das soll jetzt geändert werden: Sterbehilfevereine und Personen, die regelmäßig Suizidhilfe anbieten, sollen strafrechtlich belangt werden. Im Bundestag gibt es derzeit vier fraktionsübergreifende Gesetzesinitiativen zur Neuregelung des assistierten Suizids. Bei der Veranstaltung erhalten Vertreterinnen und Vertreter der vier Abgeordnetengruppen die Gelegenheit, ihren jeweiligen Gesetzesvorschlag vorzustellen. Wir möchten mit ihnen diskutieren:
- warum ein Verbot bzw. eine Begrenzung der Suizidbeihilfe aus ihrer Sicht notwendig ist,
- warum Ärzte und/oder Angehörige helfen dürfen professionelle Sterbehelfer/innen jedoch nicht,
- welche Sterbehilfe-Angebote, medizinischen Entwicklungen oder anderen Tatsachen ein strafrechtliches Verbot gegen Vereine und Suizidhelfer/innen rechtfertigen,
- wie die jeweiligen Entwürfe zum verfassungsrechtlichen Anspruch der Selbstbestimmung Sterbewilliger, der Rechtssicherheit für alle Beteiligten sowie dem Ziel der Suizidprävention stehen.”
Es diskutieren
- Thomas Dörflinger , MdB (CDU, angefr.) [für den Entwurf Sensburg/Dörflinger], Renate Künast , MdB (Bündnis 90/Die Grünen) [für den Entwurf Künast/Sitte/Gehring u.a.], Kathrin Vogler , MdB (Die Linke) [für den Entwurf Brand/Griese/Vogler u.a.], Dr. Karl Lauterbach , MdB (SPD, angefr.) [für den Entwurf Hintze/Reimann/Lauterbach]
- Moderation: Prof. Dr. Rosemarie Will (Humanistische Union)
Zwei Veranstaltungen mit internationalen Vertreter/innen aus Oregon, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz
1. Veranstalter: G.D. Borasio, R.J. Jox, J. Taupitz, U. Wiesing
Tagung Assistierter Suizid: Der Stand der Wissenschaft
15. Juni, ab 9 Uhr in der Akademie der Wissenschaften Berlin/Brandenburg, Jägerstr. 22
Alles weitere siehe Programm (mit Anmeldemodus):
Die Veranstalter haben die Patientenverfügung-newsletter-Redaktion darauf hingewiesen: Wir haben aufgrund der Nachfragen vieler Interessierten, die nicht nach Berlin reisen können, einen Livestream für unsere Tagung organisiert.
Übertragen wird der Livestream unter: www.suizidhilfe-tagung.de
2. Veranstalter: Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben
Podiumsdiskussion Die letzte Hilfe! Ärzte aus dem In- und Ausland diskutieren über Suizidhilfe
20. Juni, 19.30 Uhr, Urania, Kleist-Saal, An der Urania 17, 10787 Berlin-Schöneberg (nahe U-Bhf. Wittenbergplatz).
Wer sein Leben lang in Selbstbestimmung gelebt hat, will diese im Sterben nicht aufgeben. Daher kommt den Ärzten bei der Sterbebegleitung und -hilfe eine besonders wichtige Auf-gabe zu. Aber wer entscheidet, wie weit sie dabei gehen dürfen?
Es nehmen teil: Dr. Erika Preisig, Hausärztin, Sterbehelferin und Vereinspräsidentin von Lifecircle, Schweiz: Thomas Sitte, Palliativmediziner, Vorsitzender der Deutschen PalliativStiftung; Peg Sandeen, Sprecherin von Death with Dignity, US-Bundesstaat Oregon; Fione Zonneveld, Sprecherin Nederlandse Vereniging voor een Vrijwillig Levenseinde (NVVE), Niederlande; François Damas, Arzt und Vorsitzender der Ethikkommission des Krankenhauses La Citadelle in Liège sowie Mitglied der belgischen Bundeskommission zur Sterbehilfe; Dr. Carlo Bock, Onkologe, Präsident der Fondation Cancer, praktiziert als Mediziner Sterbehilfe, Luxemburg.
Moderation: DGHS-Vizepräsident Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Birnbacher.
Während der Diskussion wird simultan übersetzt.