Vorgaukeln, Gleichschalten und Täuschen beherrschen die Suizidhilfedebatte
Dies ist der letzte Patientenverfügung-newsletter 2014 und eine Zusammenschau zum Jahresende.
Wir wünschen unseren Abonnenten schöne Feiertage und stabile Gesundheit und hoffen auf Ihr weiteres Interesse. Wir danken unseren Spendern für die Unterstützung und werden uns auch im kommenden Jahr wieder um faire, dabei nicht unparteiische Aufklärungsarbeit bemühen – oft jenseits der herrschenden Meinungen.
Dabei schauen wir hinter die Kulissen, analysieren Zusammenhänge und weisen auch auf konkrete Verbesserungsvorschläge hin, denen die öffentliche oder politische Beachtung weitgehend versagt bleibt.
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INHALT
1. Beispielloser Pressekonferenzauftritt des Ärztechefs Montgomery flegelhaft, autoritär-gleichschaltend, dreist
2. Gemeinsamer Aufruf des humanistischen Bündnisses auch gegen Kriminalisierung von wiederholt tätigen oder organisierten Suizidhelfern
3. “Orientierungsdebatte im Dt. Bundestag – eigentümliche Täuschungsmanöver zu beabsichtigten neuen Verboten
4. Wichtiges Gerichtsurteil: Unterlassene Notarztrettung bei Suizid
Die Suizidhilferegelung hatte Mitte November in Form einer Orientierungsdebatte erstmalig auch den Dt. Bundestag erreicht. Häufig genug wird der Öffentlichkeit dabei etwas vorgegaukelt oder es werden bloße Meinungen vorgetragen. Klartext und eine eindeutige Rechtsposition, dass es ausnahmslos (!) keine Kriminalisierung der Hilfe bei einem freiverantwortlichen Suizid geben soll, ist dagegen (fast nur) vom Bündnis humanistischer Organisationen zu vernehmen.
Nicht zu Unrecht wurde auch von vielen Politiker/innen innerhalb und im Umfeld der Bundestagsdebatte ein Flickelteppich des entsprechenden ärztlichen Berufsrechts beklagt. Dabei wird kritisiert, dass für Ärztinnen und Ärzte je nach zuständiger Landesärztekammer im entsprechenden § 16 der Länderberufsordnungen unterschiedlich formulierte Regelungen zur ärztlichen Suizidbeihilfe bestehen. Dies nimmt u. a. eine Parlamentariergruppe um Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU) zum Anlass, um eine ausdrückliche Erlaubnis für ärztliche Suizidhilfe vorzuschlagen. Allerdings sollen dazu strikteste Voraussetzungen erfüllt sein (d.h. dass gleichzeitig in allen anderen Fällen durchaus ein Verbot drohen müsste, sonst macht die ausdrückliche Erlaubnis keinen Sinn).
Der Humanistische Verband Deutschlands als eine Organisation im Bündnis hatte demgegenüber in seiner Schrift zur Suizidhilferegelung vorgeschlagen, die ärztliche Beihilfe v.a. im Palliativbereich durch den Zugang zum Suizidhilfemedikament Natriumpentobarbital (Nap) zu privilegieren – nach ebensolchen Voraussetzungen, d. h. strengen Sorgfaltskriterien. Wenn diese in anderen Kontexten nicht so strikt erfüllt würden, wäre damit das Problem einer gleichzeitigen Verbotsdrohung vom Tisch (d.h. wenn z. B. ein Arzt keinen zweiten Kollegen hinzugezogen hätte oder wenn der Suizident noch nicht todkrank gewesen wäre.) Die Anwendung von Nap als einzig verlässlichem Mittel für einen sanften, sicheren Freitod mag nach dem Vorschlag des HVD dann zwar beschränkt sein, wäre aber doch generell als eine von mehreren möglichen Alternativen bei tödlich erkrankten, schwerleidenden Patienten zu prüfen. Auch die dortigen Vorschläge zur Klärung der bestehenden Rechtslage scheinen durchaus nachdenkenswert angesichts Tatsache, dass Ärzte sich v.a. im Umfeld der Nicht-Hinderung eines Suizids nicht nur bedroht sehen müssen, sondern durchaus auch vor Gericht wiederfinden können (siehe unten, Punkt 4).
Was fast wie ein Nebenschauplatz anmutet, nämlich unterschiedliche Formulierungen in den Berufsordnungen der Landesärztekammern, hat auf die politische und medizinrechtliche Debatte in Deutschland eine überraschend starke Wirkung ausgeübt. Der Bundesärztekammerpräsident Frank Ulrich Montgomery sah sich zu einer drastischen Reaktion gezwungen. Er hat am Freitag vor dem 3. Adventssonntag auf einer spektakulären Pressekonferenz den Versuch unternommen, dem Eindruck der offensichtlichen Uneinigkeit unter der Ärzteschaft entgegenzutreten – mit einer beispiellosen Rabulistik und autoritären Inszenierung. Vertreter der 17 regionalen Ärztekammern saßen als verstummte Staffage neben und hinter ihm, als Montgomery beteuerte, dass es in Sachen Sterbehilfe keinerlei Dissens in der Ärzteschaft gebe.
1. Beispielloser Pressekonferenzauftritt des Ärztechefs Montgomery flegelhaft, autoritär-gleichschaltend, dreist
Der Journalist Timot Szent-Ivanyi schildert die Situation auf der Pressekonferenz und die Hintergründe wortgleich in der Frankfurter Rundschau (Print-Ausgabe vom 13. / 14. 12.) und in der Berliner Zeitung wie folgt:
>> … Am Freitag präsentierte sich der Chef der Bundesärztekammer eher als Flegel: Er redete, obwohl er gar nicht gefragt wurde, schnitt anderen das Wort ab, blaffte Journalisten an und warf ihnen vor, wieder einmal nichts zu begreifen.
Was war passiert? Als sein Vorgänger Jörg-Dietrich Hoppe vor einigen Jahren laut darüber nachdachte, den Ärzten in dieser Frage mehr Freiheiten zu geben, schaffte es Montgomery, am Ende eine Verschärfung durchzusetzen. 2011 beschloss der Ärztetag eine Änderung der Berufsordnung, nach der es Medizinern verboten ist, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Damit ist die Berufsordnung schärfer als das deutsche Strafrecht, in dem die Beihilfe zum Suizid nicht verboten ist.
Allerdings übernahmen nicht alle Landes-Ärztekammern diesen Passus. Sieben der 17Kammern schrieben das Verbot nicht in ihre Berufsordnungen und beließen es bei der Feststellung, dass es Aufgabe der Ärzte sei, Leben zu erhalten. Das passte nun wieder Montgomery gar nicht in den Plan.
Deshalb wurde am Freitag eine Pressekonferenz organisiert, bei der zwar fast alle Kammer-Präsidenten anwesend waren, aber lediglich als Staffage für einen Auftritt Montgomerys dienten. Fragen an sie, das stellte Montgomery klar, waren unerwünscht. Und dann erläuterte der Ärztepräsident zur Überraschung der Zuhörer, dass sich alle Kammern einig seien. Den von der Politik reklamierten Flickenteppich gebe es gar nicht. Die Haltung aller Kammern sei ebenso einheitlich wie eindeutig. Der Arzt sei auf keinen Fall dafür da, einem Suizidwilligen zu assistieren. Einzelne Kammer-Präsidenten hatten in den vergangenen Monaten dafür plädiert, auch den Ärzten einen Handlungsspielraum einzuräumen. So argumentierte der Berliner Kammer-Chef Günther Jonitz, man dürfe die Ärzte nicht schlechter stellen als andere Bürger. In dem von Montgomery dominierten Pressekonferenz am Freitag wurden derartige Äußerungen nicht wiederholt. Dennoch wurde deutlich, dass weiterhin nicht alle Kammern Montgomery folgen. Als er doch noch reden durfte, sagte der baden-württembergische Kammer-Präsident Ulrich Clever etwas, was als Absage an eine strikte Linie verstanden werden kann: Auch Ärzte sind Staatsbürger. <<
Gebührende Seriosität lässt der BÄK-Präsident vermissen. Sichtlich erregt erwiderte Montgomery auf die Nachfrage eines Pressevertreters: Lassen Sie es doch den Klempner oder den Apotheker oder den Tierarzt machen, aber nicht eben den Arzt. An die Adresse der Politik sagte Montgomery, es sei keine gesetzliche Änderung nötig – außer ein Verbot organisierter und geschäftsmäßiger Sterbehilfe.
In der von Montgomery vorgestellten Erklärung heißt es: Die Berufsordnungen der Ärztekammern formulieren einheitlich und bundesweit, dass es die Aufgabe von Ärzten ist, das Leben zu erhalten. Sie seien von der Haltung geprägt, dass es keine ärztliche Tötung (!) geben dürfe. Stattdessen müsste die Gesundheit geschützt und wiederhergestellt, Leiden gelindert und Sterbenden Beistand geleistet werden. Diese Aussagen beziehen sich allerdings auf andere Stellen wie z. B. die Präambel in den Berufsordnungen, nicht aber auf die durchaus unterschiedlichen Formulierungen im § 16, der sich laut Musterberufsordnung mit der Suizidhilfe befasst (und nur um diese geht es ja beim Gesetzesvorhaben!). Was für ein Griff in die Trickkiste Leben zu erhalten und Sterbenden Beistand zu leisten gehört selbstverständlich zum einheitlichen Grundverständnis in allen Landesärztekammern (daran hatte ja niemand Zweifel angemeldet).
Weitere Quelle: www.sueddeutsche.de/bundesaerztekammer-lassen-sie-das-doch-den-klempner-machen
2. Gemeinsamer Aufruf des humanistischen Bündnisses
Als besonders treffend hat sich im Nachhinein ein gemeinsamer Aufruf vom humanistischen Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende (Mein Ende gehört mir) erwiesen, der bereits im November veröffentlicht wurde.
Darin heißt es: Zwar hätten bekanntermaßen nicht alle der zuständigen Landesärztekammern ein Suizidhilfeverbot in ihrer Berufsordnung umgesetzt. Dennoch sind die Ärzte verunsichert und auch die Hilfswilligen getrauen sich nicht, sich zu dieser Hilfe zu bekennen oder sie zu praktizieren, erklärte Erwin Kress, einer der Sprecher des Bündnisses.
Wir fordern die Bundesärztekammer auf, ihre paternalistische Haltung aufzugeben heißt es im Aufruf. Nicht allen Leidenden kann mit Palliativmedizin geholfen werden. Und nicht alle Menschen wollen ein längeres Siechtum unter palliativmedizinischer Betreuung, betonte Kress. Auch lebenssatten (nicht lebensmüden) Hochbetagten, die meist auch an irreversiblen Polypathologien leiden, dürfe die Möglichkeit ärztlicher Freitodhilfe nicht grundsätzlich verwehrt werden. Gleichzeitig fordern wir, dass Sterbehilfeorganisationen und Einzelpersonen, die bereit sind, Menschen bei einem freiverantwortlichen Suizid zu unterstützen, nicht kriminalisiert werden, so weiter im Aufruf. (Diese Position einer wirklichen, d.h. ausnahmslosen Nicht-Kriminalisierung wird in der politischen Debatte nur um eine Gruppe um die Grünenpolitikerin Renate Künast vertreten, s.u., Punkt 3). Damit hat sich das Bündnis erstmalig in dieser Klarheit gegen die Sündenbockfunktion der organisierten Suizidhilfe ausgesprochen ungeachtet dessen, dass es auch dort gegen bestimmte Vereine oder Personen in diesem Umfeld durchaus Vorbehalte gibt. Einer gleichgeschaltete Hexenjagd mit Hilfe von drohender Gefängnisstrafe muss jedoch von allen zurückgewiesen werden, die verhindern wollen, dass Fragen von vermeintlicher Unsittlichkeit oder gar Antipathien in unserem Land zum Gegenstand von Strafrechtsverfolgung werden.
Anlass für den Bündnisaufruf war eine Untersuchung der Schweizer Ärztekammer. Die Präsidentin Elke Baezner von der Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (ebenfalls Bündnismitglied) verwies darauf, dass in der Schweiz Sterbehilfeorganisationen keinesfalls gewinnorientiert und gesellschaftlich sehr breit anerkannt sind. Nahezu 80.000 Mitglieder von EXIT Deutsche Schweiz und 20.000 Mitglieder von EXIT ADMD Suisse romande würden dies eindrücklich belegen.
3. Orientierungsdebatte im Dt. Bundestag – Vortäuschung, dass es gar kein neues Strafrechtsverbot geben soll
Die erste sog. Orientierungsdebatte im Bundestag Mitte November bestand über Stunden lang aus einer Vielzahl ganz persönlicher und emotionaler Redebeiträge. Dabei sind viele der Abgeordneten, möglicherweise die Mehrheit von ihnen, längst noch unentschieden und möchten eine rechtliche Überregulierung wohl am liebsten vermeiden und sich nicht festlegen müssen. Mit ersten Gesetzentwürfen ist im Februar 2015 zu rechnen. Dabei zeichneten sich zur Zeit fünf Grundpositionen ab, zu denen sich fraktionsübergreifend kleine Parlamentariergruppen zusammengefunden haben.
Sofern es sich nicht um weitestgehende Verbotsforderungen der Gruppe um Gesundheitsminister Hermann Gröhe handelt, geben sich die übrigen weniger strikt und wollen jeweils unterschiedliche Personengruppen (Angehörige, langjährige Hausärzte oder auch sonstige Nahestehende) von zukünftiger Strafverfolgung bei der Suizidhilfe ausnehmen. Doch der liberalere Schein trügt. Bisher haben nur Renate Künast von den GRÜNEN zusemmen mit Dr. Petra Sitte von der LINKEN eine weitere Erlaubnis auch für Vereine gefordert, die für Sterbewilligen eine letzte Anlaufstelle beim Suizid darstellen. »Das Strafrecht ist nicht der Ort, seine eigene Weltanschauung oder Religion für andere zum Maßstab zu machen«, sagte Künast bei der Präsentation eines gemeinsamen Positionspapiers, dem sich inzwischen einige Abgeordnete angeschlossen haben.
Den vier weiteren Positionen mit unterschiedlichen Akzenten ist eins gemeinsam: ein Verbot organisierter oder mehrfach auch von Einzelpersonen angebotener Suizidhilfe zu fordern oder zumindest gutzuheißen und in Kauf zu nehmen. Dies in der leider zutreffenden Erwartung, sich damit ohne weitere Begründung oder empirische Basis inmitten des politischen Mainstreams zu befinden. Einhellig verweist dieser auf die Möglichkeiten von palliativer Versorgung und schürt die Angst, in Deutschland gäbe es (heute schon oder demnächst) daneben die Suizidhilfe als schnelles, leicht verfügbares und ganz normales Dienstleistungsangebot. Man begnügt sich mit Wiederholung der (unhinterfragten und weitgehend unrichtigen) Vorurteile, wonach die Sterbehelfer geltungs- oder gewinnsüchtige und nicht eben vertrauenswürdige Menschen seien, die auf einzufordernde Dokumentations- und Sorgfaltspflichten verzichten würden. Sie scheinen gar, weil sie die Sterbewilligen nicht hinreichend kennen würden, quasi als Un-Menschen zu gelten, insofern deren zukünftig beabsichtigte Bestrafung gar nicht ins Gewicht fällt – bei gleichzeitiger Behauptung, man wolle gar keine neue Strafrechtsregelung (für alle anderen Menschen?!).
Eigentümliches Täuschungsmanöver zu beabsichtigten neuen Verboten
Es geht durchaus um nicht mehr und nicht weniger als ein neues Strafrechtsverbot was aber nicht offen gelegt wird. Dabei fällt offenbar kaum jemandem auf, wie dabei mit gespaltener Zunge gesprochen wird. Als ein Beispiel mag für jeden nachprüfbar der folgende Beitrag von Eva Högl (SPD) gelten, die ebenfalls eine Gruppe von Abgeordneten um sich versammelt hat. Im Tagesspiegel führt Högl aus, sie sei der Meinung, dass der Freiraum, den Ärztinnen und Ärzte in ethischen Grenzsituationen am Ende des Lebens schon heute haben, unbedingt erhalten und gesichert werden muss. . Das Ende des Lebens sollte unter Einbeziehung der Menschen aus dem Umfeld des Sterbenden, der Ärztinnen und Ärzte und Pflegerinnen und Pfleger unter ethischen Gesichtspunkten individuell gestaltet werden. Ihnen muss erlaubt bleiben, in besonderen Fällen individuelle Entscheidungen zu treffen, die auch darin bestehen können, einem Menschen bei der Durchführung seines freiverantwortlichen Sterbewunsches zu unterstützen.
Ich möchte ganz klar betonen, dass ich die bisherigen Regelungen in Deutschland für gut halte. Weitergehende Regelungen sei es im Strafgesetzbuch oder im Bürgerlichen Gesetzbuch lehne ich daher ab. Im gleichen Atemzug betont Högl jedoch, dass sie zukünftig durchaus das Strafrecht verschärft sehen möchte: “Die Sterbehilfe durch Vereine sowie durch Einzelpersonen, die im Zentrum ihrer Tätigkeit assistierten Suizid regelmäßig und organisiert betreiben, möchte ich unterbinden. Es wäre fatal, wenn zukünftig Patientinnen und Patienten den assistierten Suizid als eine von mehreren gleichwertigen Optionen am Ende des Lebens wählen könnten. ” Quelle: http://www.tagesspiegel.de/meinung/andere-meinung/sterbehilfe-debatte-in-deutschland-es-geht-um-das-leben/11079706.html
Bisher scheint kaum jemand diese doch recht eklatanten Widersprüche bemerkt zu haben, die gleichermaßen die Gruppe um Lauterbach, Reimann und Hintze auszeichnen: Es wird behauptet, man wolle von Verboten absehen allerdings mit einer Ausnahme, nämlich die von Vertreter/innen organisierter Suizidhilfe. Dabei gäbe es durchaus die Möglichkeit, ärztliche Suizidhilfe unter besonderen Umständen zu privilegieren und dabei wie bisher in allen anderen Fällen – von Strafe abzusehen (siehe Einleitung oben).
Doch scheint die gewollte Kriminalisierung v.a. von Vereinsvertretern von der Organisation SterbehilfeDeutschland e. V. der große gemeinsame Nenner des Gesetzgebers. Dabei meint sich niemand die Mühe machen zu müssen, eine Diskriminierung dieser Organisationen durch das scharfe strafrechtliche Schwert (es drohen deren Akteuren bis zu drei Jahren Gefängnis!) auch nur annähernd zu legitimieren. Betroffen sind gleichermaßen Einzelpersonen wie der Arzt Uwe Christian Arnold, der wiederholt Suizidhilfe anbietet (die ZEIT vermittelt hier einen positiven Eindruck von ihm und seiner Herangehensweise: http://www.zeit.de/2014/48/sterbehilfe-arzt-uwe-christian-arnold ).
4. Wichtiges Gerichtsurteil: Unterlassene Notarztrettung bei Suizid
Ein Notarzt wird zu einem Ehepaar gerufen, das Suizid begangen hat. Die schwerpflegebedürftige Ehefrau A. (83) ist bereits tot, der krebskranke Ehemann Dr. A. (85) bewusstlos. Es liegt eine Patientenverfügung vor, die allerdings ein Behandlungsverbot nur für den Fall eines bereits eingetretenen Sterbeprozesses vorsieht. Doch der bevollmächtigte Sohn selber Arzt bestätigt vor Ort, dass die beiden gemeinsam sterben wollen.
Nichtsdestotrotz wurde der eingetroffene Notarzt wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt und musste sich vor Gericht verantworten. Sein mutmaßliches Vergehen: Er hat den Willen des Patienten respektiert und ist der Anweisung der Polizei zur Reanimation und Krankenhauseinweisung nicht nachgekommen. Er wurde freigesprochen. Das Landgericht Deggendorf fällte dazu bereits 2013 ein wegweisendes Urteil. Dessen Fazit lautet:
>> Der Angeschuldigte hat nach Vornahme einiger Untersuchungen von einer Behandlung des Dr. A Abstand genommen, weil er den offensichtlichen Wunsch des Patienten, aus dem Leben zu scheiden, auf den auch der anwesende Sohn mit Nachdruck hingewiesen hatte, entsprechen wollte (…). Dabei hatte er aufgrund der Angaben des Sohnes, der ihm als Berufskollege bekannt war, sowie aufgrund der von ihm vorgefundenen Situation eine ausreichende Erkenntnisgrundlage, um eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu treffen. Auf dieser Basis war der Angeschuldigte alleine schon aufgrund des beachtlichen Willens des Suizidenten, der von ihm auch ausreichend sicher zu erkennen war und vertretbar gewürdigt wurde, nicht zur Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen verpflichtet. Dies unabhängig von den in der Patientenverfügung des Dr. A getroffenen Regelungen.
Nachdem Dr. A bei Eintreffen des Angeschuldigten bewusstlos war, kam dem vom Vorsorgebevollmächtigten mitgeteilten mutmaßlichen Willen seines Vaters gemäß § 1901 a Abs. 1, Abs.2, Abs. 5 BGB besondere Bedeutung zu. Dies unabhängig von der Frage, ob sich Dr. A zu diesem Zeitpunkt schon unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befand oder nicht (vgl. § 1901 a Abs. 3 BGB). Da sich der vom Vorsorgebevollmächtigten geäußerte mutmaßliche Wille als plausibel darstellt (und auch dem Angeschuldigten in der Behandlungssituation dargestellt hat) und insbesondere im Einklang mit der am Tatort vorgefundenen Suizidsituation steht, ist auch im Hinblick hierauf eine Verpflichtung des Angeschuldigten zur Vornahme lebenserhaltender Maßnahmen nicht zu begründen. …<<
Quelle: http://www.burhoff.de/insert/?/asp_weitere_beschluesse/inhalte/2495.htm
Nun hat Report München den Fall aufgegriffen und anhand von Interviews mit den Betroffenen rekonstruiert: http://www.ardmediathek.de/tv/report-MÜNCHEN/Was-zählt-der-Patientenwille/Das-Erste/Video?documentId=25100196&bcastId=431936
Exkurs
Wie schon so oft hat sich dieser Fall innerhalb einer Arztfamilie abgespielt. Die Suizide erfolgten mit Mitteln, welche sich Ärzte wohl selbst recht einfach beschaffen konnten. Doch was bedeutet dies für Menschen, die sich mangels dieser Möglichkeiten an eine Suizidhilfegesellschaft wenden (müssen)? Wenn deren Vertreter/innen in Zukunft mit Gefängnis bedroht werden, bleibt dann vielleicht am Ende tatsächlich der seit Jahren bekannte Klempner – wogegen Ärztechef Montgomery keine Einwände hätte?
Für Patienten mögen die Unterschiede bei den Landesärztekammern unbedeutend sein sie haben vorher in ganz Deutschland keinen behandelnden Arzt für die Suizidhilfe gefunden und finden ihn auch nicht in den Bundesländern, wo diese standesrechtlich ausdrücklich nicht verboten ist. Siehe aktuelle Studie, nach der von 734 anonym befragten Ärzten nur ein einziger (d.h. 0,3 % !) angibt, einmal Suizidhilfe geleistet zu haben wobei allerdings etwa ein Drittel für eine liberale Regelung eintreten, diese aber offenbar selbst nicht ausschöpfen. Siehe zur Studie:
http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2014/pm00212.html.de
und
http://praxis.medscapemedizin.de/artikelansicht/4903173