Warnung vor immer mehr stationären Hospizen
Während die allgemeine Palliativversorgung zunehmend als ungenügend gilt, wird jetzt der Ausbau des Sondermodells „Stationäres Hospiz“ erstmalig in Frage gestellt. Dabei hatte der Humanistische Verband Deutschlands schon 2015 in einer vom Bundesgesundheitsausschuss erbetenen Stellungnahme vor einer Hospiz-Idealisierung gewarnt.
Nach Auffassung des Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Staatsekretär Andreas Westerfellhaus, weist die Palliativversorgung vor allem in den Pflegeheimen gravierende Schwächen auf. Dies sagte Westerfellhaus anlässlich der 21. Berliner Hospizwoche Ende September.
Ähnliches bemängelte zeitgleich Professor Lukas Radbruch, Palliativmediziner und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), auf deren Bremer Kongress. Die palliativmedizinische Versorgung Schwerkranker und Sterbender („Palliative care“) sei unzureichend und lückenhaft – trotz des Hospiz- und Palliativgesetzes, welches im Dezember 2015 in beeindruckendem Konsens aller Parteien verabschiedet worden war. “Wir haben schon viel erreicht“, so Radbruch mit Bezug auf diese gesetzliche Regelung. Aber dringender Nachholbedarf bestehe bei der Versorgung „von anderen als Krebspatienten“ und von „Sterbenden in Pflegeheimen“, räumte der DGP-Präsident ein. Demgegenüber wird der Ausbau von immer mehr stationären Hospizen zunehmend in Frage gestellt.
Hospize für wenige Krebspatient_innen im Endstadium
Das Problem der Palliativ- und Hospizversorgung ist, dass sie in Deutschland traditionell fast nur Krebspatient_innen vorbehalten bleibt und darunter auch nur den wenigen, die nicht mehr länger als einige Monate oder gar Wochen zu leben haben. Dazu gehört, dass Anspruch auf einen Platz im stationären Hospiz nur hat, wer bis zum Tod nicht bei sich zu Hause bleiben kann – Pflegeheimbewohner_innen sind ausgeschlossen, da sie bereits stationär versorgt sind. So handelt es sich um nur rund zwei Prozent aller Sterbenden in Deutschland, die im Hospiz sterben. Diese Patient_innen werden in verklärenden und idealisierenden Medienberichten gern als Hospizgäste vorgestellt, die in angenehmstem Umfeld in Würde und Gelassenheit ihrem Lebensende entgegen gehen. Dabei wird oft suggeriert, dass ein Suizidbegehren von chronisch Schwerkranken doch wegen der Hospize gar nicht nötig sei – es müsste eben nur immer noch mehr davon geben. Den illusionären und falschen Versprechen, die mit dem Hospiz- und Palliativgesetz (HPG) verbunden waren, hatte der Humanistische Verband Deutschlands im Bundesgesundheitsausschuss bei einer Anhörung entgegengehalten:
„Eins bleibt unklar, sowohl im HPG-Entwurf der Bundesregierung als auch in den Anträgen der Oppositionsparteien: Welche Patientengruppen sollen von den Neuerungen profitieren und welche bleiben, wie bisher, außen vor, etwa weil sie noch eine zu lange Lebenserwartung haben? Soll es weiterhin im Kern nur einen Anspruch von „Sterbenden“ bzw. „unheilbar Todkranken“ auf Palliative Care geben? Dessen Ziele sind Beschwerdelinderung, menschliche Zuwendung und Fürsorge – müsste dies nicht allgemein und insbesondere auch in der Altenpflege und -medizin gelten?“
Späte Einsichten nach drei Jahren
Dieser gravierende Einwand wurde damals zwar zur Kenntnis genommen, ging aber in der allgemeinen Hospiz-Euphorie unter. Es wurde die „heile Welt“ der dortigen Sterbebegleitung beschworen, ein kritisches Wort dagegen war inopportun. Das Thema „Pflegenotstand“ wurde in der öffentlichen Aufmerksamkeit vor drei Jahren noch ausgeblendet. Auch auf diesen wies die vom Gesundheitsausschuss erbetene schriftliche Stellungnahme des Humanistischen Verbandes zum Entwurf des Bundesgesetzes damals, im September 2015, hin:
„Allerdings werden auch organisatorische Maßnahmen zur besseren Palliativ- und Hospizversorgung nur wirksam werden, wenn ausreichend qualifiziertes ärztliches Personal und v.a. Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen. Bei letzteren besteht ein Zusammenhang, sich der Hinwendung schwerstpflegebedürftiger Menschen bis zu deren Tod widmen zu können, ihrer Berufszufriedenheit und einem besseren Image der Pflege, welches dringend aufzuwerten ist. …
Für die stationären Hospize ist ab 2016 eine finanzielle Verbesserung von 90 auf 95 % der zuschussfähigen Kosten vorgesehen. … Allerdings wird damit der weitere Ausbau eines Modells bestehender stationärer Einrichtungen gefördert, worauf nur eine sehr kleine Minderheit einen Anspruch hat.“
Nun scheinen sich auch in der Politik realistischere Bewertungen und Bedarfsplanungen anzubahnen – ausgehend vom Norden der Bundesrepublik. Laut Ärztezeitung gilt zumindest für Schleswig-Holstein: Kassen und Palliativverbände warnen vor zu vielen Hospizen.
Ein zu überdenkender und vielleicht unnötiger Hospizausbau wird in einer gemeinsamen Erklärung der Krankenkassen und der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin so erklärt: Die vielen neuen Initiativen für stationäre Hospize könnten damit zu tun haben, dass das Hospiz- und Palliativgesetz deren Finanzierung attraktiver gemacht hat. Dazu müssen aber die Kranken- und Pflegekassen tiefer in die Tasche greifen: Die Mindestzuschüsse lägen für einen Patienten in einem stationären Hospiz pro Tag bei 320 Euro (d.h. mit ca. 9.000 Euro monatlich mindestens 5.000 Euro höher als der Zuschuss für einen Pflegeheimplatz). „So wäre es möglich, dass sich auch kommerzielle Anbieter für die Hospizversorgung interessieren könnten“, lautet das Fazit von Heiner Melching, dem Geschäftsführer des Palliativverbandes. Stattdessen gehe es aber darum, „die Hospizleistungen in die Pflege zu bekommen”.
Die Erkenntnis kommt spät, aber sie verbreitet sich: Dass die Sonderentwicklung von immer mehr stationären Hospizen als Mythos von einer heilen Welt des Sterbens zu entlarven ist – und wohl auch als politisches Ablenkungsmanöver vom allgemeinen Pflegenotstand.
Für Andrea Käthner-Isemeyer, Leiterin der Abteilung Soziales im Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg KdöR, stellt sich ein weiteres Problem dar: “Ein weiteres Argument gegen den Ausbau ist, das die Hospizgäste palliativmedizinische Versorgung durch niedergelassene Ärzt_innen benötigen. Davon haben wir bereits absolut zu wenige. Die vorhandenen müssten dann auch noch die Versorgung in den neuen Hospizen übernehmen. Das halten wir für kaum machbar, zumal die ambulante Fallzahl in den onkologischen Praxen ebenfalls steigt.”