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Wie sicher und verlässlich sind Patientenverfügungen?

13. Feb 2018

Elke Rasche, Leitung Zentralstelle Patientenverfügung (Dipl. Psychologin, Psychoonkologin) | Foto: Die Hoffotografen GmbH

Übernahme eines Interviews für die Zeitschrift MEINS

Warum ist es möglich, dass so viele Patientenverfügungen ungültig sind?

Ich würde es eher so formulieren: warum werden so viele Patientenverfügungen von Ärzte für nicht geeignet betrachtet? Die Gültigkeit einer Patientenverfügung setzt nach dem “Patientenverfügungsgesetz” (§ 1901a BGB) formal nur die Schriftlichkeit mit Datum und Unterschrift voraus, die darin formulierten Festlegungen sind für Ärzte unmittelbar verbindlich. Es ist jedoch erforderlich, dass aus der Patientenverfügung der Wille für eine konkrete Lebens- und Behandlungssituation hervorgeht (§ 1901a BGB). Da hier jeder Mensch andere Vorstellungen hat, wäre ein individueller Text mit differenzierten Situationsbeschreibungen optimal. Die meisten verwenden jedoch Standardformulare, die wenig differenziert sind und aus denen selten der Patientenwunsch in der konkreten Behandlungssituation hervorgeht. Diese Patientenverfügungen sind also nicht ungültig, sondern einfach nicht hinreichend aussagekräftig für die konkrete Situation. Viele Menschen haben Angst, dass sich Ärzte absichtlich über ihre Patientenverfügung hinwegsetzen. Tatsächlich kommt das kaum vor. Ärzte müssen aber jede Situation gesondert betrachten und fühlen sich im Zweifelsfall dem Erhalt des Lebens verpflichtet.

Warum ist es so wichtig, penibel auf Formulierungen und Situationen in einer Patientenverfügung zu achten?

Orientieren wir uns an Ihrer Fallgeschichte: Es reicht hier nicht aus, für den Fall eines schweren Dauerschadens des Gehirns generalisiert lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen. Ebenso allgemeine Formulierungen wie “Ich möchte keine Apparatemedizin” oder “Wenn mein Leben nicht mehr lebenswert ist, möchte ich nicht unwürdig dahinsiechen” sind zu unkonkret, da sie zu viel Interpretationsspielraum zulassen. Denn wer soll entscheiden, ob die Situation für den Einzelnen lebenswert ist oder nicht, ob sie einem “Dahinsiechen” im Sinne des Patienten entspricht oder nicht? Der Arzt kann das nicht wissen. Deshalb müssen die abzulehnenden Maßnahmen möglichst detailliert aufgezählt werden. So sollte es besser heißen “Verzicht auf Wiederbelebungsversuche unter allen Umständen”, “Verzicht auf künstliche Ernährung durch Sonden im Fall von Wachkoma”, “unter keinen Umständen maschinelle beziehungsweise künstliche Beatmung insbesondere über Luftröhrenschnitt und Beatmungsschlauch”. Auch Dialyse, Amputationen, belastende Chemotherapien oder Bluttransfusionen muss man konkret ausschließen, indem man in der Patientenverfügung formuliert, dass diese Behandlungsmethoden unter keinen Umständen angewandt werden sollen. Sie sehen, das Thema ist sehr komplex. Wenn wir die konkreten Behandlungssituationen noch berücksichtigen – es mag etwa sein, dass eine Bluttransfusion unter bestimmten Umständen ausgeschlossen wird, unter anderen jedoch nicht –, steigt der Grad der Komplexität. In der Zentralstelle Patientenverfügung im Humanistischen Verband raten wir deshalb davon ab, eine Patientenverfügung ohne Beratung zu Hause selbst zu erstellen.

Woher wissen wir denn, wann genau eine Patientenverfügung gültig ist.

Machen Sie die Probe aufs Exempel bei einer Ihnen vorliegenden Patientenverfügung: Angenommen, Sie sind nach einem Schlaganfall, der Sie schluck- und bewegungsunfähig gemacht hat, nicht mehr einwilligungsfähig. Gibt Ihre Patientenverfügung darüber Auskunft, ob und gegebenfalls wie lange Sie nun künstlich ernährt werden wollen? Wenn Sie das nicht der Verfügung entnehmen können, werden es andere später auch nicht wissen! Die Frage ist also nicht, ob das Dokument gültig ist, sondern ob es konkret und aussagekräftig genug ist.

Können wir sie überprüfen lassen? Was kostet das?

Es existieren diverse Anbieter (Ärzte, Notare, Patientenverfügungsdienstleister), die eine bestehende Patientenverfügung überprüfen. In der Regel geschieht dies gegen eine Gebühr, deren Höhe variabel ist. Erfahrungsgemäß ist es wenig ratsam, die Überprüfung durch Notare oder Juristen vornehmen zu lassen, die kein (palliativ-)medizinisches Fachwissen haben. Wenn jemand zum Beispiel nicht zwischen verschiedenen Formen der Hirnschädigung unterscheiden kann, ist es ihm kaum möglich, eine qualifizierte Patientenverfügung zu erstellen oder eine bestehende Patientenverfügung hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu überprüfen. Ärzten fehlt es im Praxisalltag häufig an der Zeit für eine ausführliche Beratung. In der Zentralstelle Patientenverfügung bieten wir selbstverständlich die Überprüfung und Aktualisierung einer von uns ausgestellten und bei uns hinterlegten Patientenverfügung kostenfrei an.

Wo lauert das Fehlerpotential?

Wie schon beschrieben, liegen die häufigsten “Fehler” in der pauschalen Abfassung. In der Regel werden keine individuellen Haltungen beigefügt, die Auskunft darüber geben, wann der Verfasser der Patientenverfügung eine Situation als “lebenswert” oder als “aussichtslos” betrachtet. In der konkreten Situation stellt sich dann die Frage, ob es nicht doch noch Entwicklungspotential gibt und der Betroffene bei einer mehr oder weniger wahrscheinlichen Besserungsaussicht einer Behandlung zustimmen würde. Wenn etwa jemand formuliert, dass er im Fall, dass eine Verbesserung der Situation ausgeschlossen ist, keine Behandlung wünscht, dann wird er in der Regel behandelt werden. Denn kein Arzt kann mit einhundertprozentiger Sicherheit ausschließen, dass nicht irgendwann doch eine Besserung eintritt? Auch in der Medizin geschehen immer wieder überraschende Dinge, etwa wenn Menschen nach 15 Jahren Wachkoma aufwachen. Der Interpretationsspielraum bei einer solchen Formulierung ist beträchtlich, dieser muss ausgeschlossen werden.

Brauchen wir zwingend eine Vorsorgevollmacht zu Ergänzung?

In der Zentralstelle Patientenverfügung unterscheiden wir zwischen einer (Vorsorge-) Vollmacht für finanzielle und rechtsgeschäftliche Angelegenheiten und einer Gesundheitsvollmacht für medizinische und gesundheitliche Angelegenheiten. So kann man sich frei entscheiden, welcher Person man im Bedarfsfall welche Entscheidungen anvertrauen möchte. Aber zurück zur Frage: Ein Patientenvertreter, der medizinische und gesundheitliche Angelegenheiten regelt, ist nicht immer notwendig. Eine Patientenverfügung bindet die Ärzte unmittelbar. Sie kann prinzipiell auch ohne Einbeziehung eines Betreuers oder Bevollmächtigten Geltung beanspruchen. Sobald jedoch Interpretationsbedarf für Ärzte besteht, müssen diese eine Prüfung/Ermittlung des entsprechenden Willens zusammen mit dem Patientenvertreter vornehmen – oder sich durch eine gerichtlich angeordnete Eilbetreuung die Genehmigung für die Durchführung/Fortsetzung oder den Abbruch einer Behandlung einholen. Sie sehen, wenn eine Patientenverfügung nicht eindeutig und korrekt formuliert ist, entstehen Interpretationsspielräume, die auszulegen sind. Diese sollten im Idealfall vermieden werden. Man sollte alles dafür tun, um es nahestehenden Personen, Betreuern, Richtern oder Ärzten zu ersparen, für einen selbst eine Entscheidung über Leben und Tod treffen zu müssen.

Auf welche Blöcke kommt es in der Patientenverfügung wirklich an?

Wir empfehlen, persönliche Bewertungskriterien für Lebensqualität festzulegen. Also kann ich mir ein Leben im Rollstuhl vorstellen? Wie wichtig ist mir geistige Klarheit und Bewusstsein bis zuletzt? Solche und andere Fragen sollten geklärt sein. In der Patientenverfügung selbst sollten verschiedene Behandlungssituationen berücksichtigt werden: das Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit, ein unabwendbarer und unmittelbarer Sterbeprozess sowie Gehirnschädigungen und Hirnabbauprozesse beziehungsweise demenzielle Verläufe. Für diese Situationen ist dann jeweils zu klären, in welchem Umfang ärztliche Maßnahmen wie lebenserhaltende Behandlungsmethoden, Schmerz- und Symptombehandlungen, künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Wiederbelebungsmaßnahmen, künstliche Beatmung, Dialyse oder die Gabe von Antibiotika eingeleitet oder beendet werden sollen. Aufgrund der Komplexität und möglichen Differenzierungen bzw. Bewahrung vor widersprüchlichen Aussagen in einer Patientenverfügung sollte diese möglichst nicht ohne eine vorausgehende beziehungsweise begleitende Beratung verfasst werden.

Wo wird die Patientenverfügung am besten aufbewahrt beziehungsweise hinterlegt?

Die Patientenverfügung sollte an einem für den Notfall leicht zugänglichen Ort aufbewahrt werden. Ein Hinweiskärtchen im Portemonnaie, aus dem hervorgeht, dass eine Patientenverfügung vorliegt und wo diese hinterlegt ist, ist empfehlenswert. Auf dieser sollten auch die Kontaktdaten des Patientenvertreters notiert sein. Wir bieten mit unseren Patientenverfügungen eine Hinterlegung an. Das heißt, wir halten täglich einen Bereitschaftsdienst vor, auch an Sonn- und Feiertagen. Bei Bedarf liegt die Patientenverfügung innerhalb von 24 Stunden im Krankenhaus vor. Unsere Mitarbeiter sprechen im eingetretenen Notfall mit Ärzten, Angehörigen und – wenn noch möglich – mit den Betroffenen selbst. Unsere Klienten erhalten einen Notfallpass, der die wichtigsten Informationen für den medizinischen Notfall – also zu Reanimation, Schmerzmedikation, Intensivmedizin, .u.a. – sowie die Kontaktangaben zum Patientenvertreter enthält.

Wie häufig sollten wir eine Patientenverfügung aktualisieren.

Wir empfehlen eine Aktualisierung alle zwei Jahre. Wenn man aber feststellt, dass sich die eigene Position zu bestimmten Fragen verändert, dann auch in einem kürzeren Rhythmus.

Wo finden wir gute Muster im Internet?

Es gibt unzählige Anbieter. Hier die Spreu vom Weizen zu trennen ist fast unmöglich. Bei Anbietern, die absolute Sicherheit mit einem standardisierten Ankreuzformular versprechen, sollte man skeptisch sein. Solche Formulare können zwar eine erste Orientierung bieten und Regelungen für einige Standardfälle vorgeben. Sobald die individuelle Situation von diesen aber abweicht, entsteht neuer Interpretationsspielraum. Patientenverfügungsmuster ersetzen letztendlich nicht die Beratung und individuelle Formulierung des Patientenwillens für den Einzelfall wie oben skizziert. Deshalb empfehlen wir grundsätzlich Beratung und individualisierte Formulare.