Wirksamer Schutz vor Psychiatrie-Zwang durch Patientenverfügung?
Psychische Kranke und Patientenverfügung (Sep. 2010)
http://www.zeit.de/2010/37/M-Patientenverfuegung
Psychiatrische Zwangsmaßnahmen (Erfahrungen aus der Schweiz, 2010):
www.beobachter.ch/psychiatrie_auch-wenn-der-patient-sich-wehrt/
Patientenverfügung bei psychischen Erkrankungen und Behandlungsvereinbarung in der Psychiatrie – Tagungsbericht
Am 7. Juli 2010 fand in Berlin eine Fachtagung zum Thema “Patientenverfügung und Behandlungsvereinbarung bei psychichen Erkrankungen” statt. Veranstalter der gut besuchten, kostenfreien Fachtagung (unterstützt vom BMG) war die “Aktion Psychisch Kranke e.V.” in Kooperation mit der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheikunde). Die juristischen und psychiatrischen Experten im Publikum und Referenten wie Prof. Dr. Andreas Heinz (Charité Campus Berlin-Mitte), Dr. Rolf Marschner (Rechtsanwalt, München), Prof. Dr. Reinhard Peukert (Fachhochschule Wiesbaden) waren nachdenklich, zuhörend, praxiserfahren und kompetent. Im Zentrum stand, gemeinsam mit Sibylle Prins (Psychiatieerfahrene) und Gudrun Schliebener (Angehörigen-Vertreterin) das “zweiseitige” Instrument der Behandlungsvereinbarung, welches sich von Bielefeld aus verbreitet und bewährt habe. Siehe Information und hier Formular.
Zu Möglichkeiten und Grenzen des “einseitigen” Instrument einer Patientenverfügung bei psychischer Erkrankung referierten Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann (Medizinethik, Uni Bochum) und Prof. Dr. Dirk Olzen (Bürgerliches Recht und Prozessverfahrensrecht, Uni Düsseldorf). Je nach Standpunkt können die denkbaren Konsequenzen aus der neuen Rechtslage (“Patientenverfügungs-Gesetz”) zu sehr divergierenden Prognosen und Schlussfolgerungen führen. Diese reichen von der Ausrufung des Endes der Zwangspsychiatrie bis zur Schreckensvision einer Krankenhauspsychiatrie, die etwa bei Abwendung einer akuten Selbstgefährdung infolge psychischer Erkrankungen auf die alleinige Anwendung von Zwangsmaßnahmen wie Unterbringung, Fixierung und Isolation zurückgeworfen werden kann, wenn in einer Patientenverfügung jede Psychophamaka-Therapie ausgeschlossen wird.
Der Medizinethiker Prof. Jochen Vollmann hat insbesondere zur Selbstbestimmungsfähigkeit von psychisch Kranken geforscht. Unterstützt von den Erfahrungsberichten von Frau Prins und Frau Schliebener warb er dafür, die Chance einer Behandlungsvereinbarung zu nutzen. Es bestand weitgehende Einigkeit darin, dass das Instrument der Patientenverfügung überfordert sei, wollten damit psychisch erkrankte Menschen überhaupt jede Untersuchung auch zum Zwecke der Betreuungsbedürftigkeit und Einwilligungsfähigkeit verhindern. Das Patientenverfügungs-Gesetz könne zudem in einem Spannungsverhältnis zu den Landesgesetzen für psychisch Kranke (PsychKG) zur Unterbringung stehen. Anders sähe es aus mit einer Untersuchung zum Zwecke einer ebenfalls abgelehnten Pharmako-Therapie. Denn eine solche diagnostische Untersuchung mache dann ja gar keinen Sinn.
Umstritten war, ob für die Einwilliungsfähigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Patientenverfügung zumindest so etwas wie die Einsicht in eine Funktionsstörung (um nicht zu sagen: psychische Erkrankung) voraussetzt. Überwiegend wurde dies eher verneint – schließlich gibt es entsprechend bei körperlichen Erkrankungen ein absolutes Abwehrrecht vor unerwünschter Behandlung verbunden mit dem Recht, definitiv nicht ärztlich aufgeklärt werden zu wollen.
Die Veranstaltung war von Zwischenrufen von “Psychiatriebetroffenen” geprägt, die sich v. a. gegen den juristischen Vortrag von Prof. Dirk Olzen richteten.Die Juristen und Gerichte werden es schon richten (müssen) – so sein Credo. Weder medizin-ethische, fachlich-qualitative noch verfassungsrechtliche Aspekte scheinen ihn zu tangieren, er setzt vielmehr ausschließlich auf Verfahrensvorschriften und Rechtsformalismus.
Auf psychiatrische Erkrankungen bezogen vertrat Olzen wie hier im Gutachten (folge Link), dass das Gesetz (BGB) “zum Wohl des Betroffenen erlaubt … seinen Willen notfalls durch Zwang zu überwinden”. Knackpunkt, Tabu und “Totschlagargument”, so zeigte auch wieder die Fachtagung, ist dabei die mögliche Selbstgefährdung des psychisch Kranken durch Suizid.
____________________________________________
Quelle: www.patverfue.de :
<< Wir sind ein Bündnis von Organisationen, das mit Hilfe der PatVerfü erreichen will, dass von allen Gerichten in der BRD die PatVerfü als wirksame Patientenverfügung zum Schutz vor psychiatrischer Zwangsdiagnose, Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung und “Betreuung” genannter Entmündigung gegen den Willen der Betroffenen anerkannt wird.
Dazu wollen wir über das am 18.6.2009 im Bundestag beschlossene Gesetz zur Patientenverfügung informieren und insbesondere durch diese Internet-Domain einem breiten Publikum eine konsequente Nutzung im Sinne der Selbstbestimmung ermöglichen. Dabei berufen wir uns ausdrücklich auf die Menschenrechte. Durch Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention ist endgültig jede Körperverletzung und Freiheitsberaubung an angeblich “psychisch Kranken” in einer Psychiatrie genauso ein Verbrechen, wie bei nicht so Verleumdeten. … >>
Die Initiative hat in Zusammenarbeit mit Vertrauensanwälten Hinweise für Richter, Betreuer und Psychiater ausgearbeitet: http://www.patverfue.de/hinweise.html
Siehe hier mit Debatte (Dez. 2009):
http://de.indymedia.org/2009/12/269478.shtml
Kritische Bewertung siehe “Patientenverfügungen für psychisch Kranke” – kein Ende von Zwangseinweisungen (von Asmus Finzen):
www.apk-berlin.de/Infoheft_2010-1-11.pdf
Unabhängig und gegen die Intentionen von www.patverfue.de finden Sie hier eine Petitions-Initiative zur Legalisierung der Sterbehilfe auch für psychisch Kranke: