Wohl und Wehe der PEG-Sondenernährung
Autor Hartmut Klähn, Facharzt für Allgemeinmedizin
Wohl und Wehe durch PEG-Sonde am Lebensende
Wie wird eine „PEG“-Magensonde zur künstlichen Ernährung gelegt? Wann ist diese zweckdienlich? Wo ist sie gar nicht angebracht oder schädlich? Und was ist beim Abbruch auch der künstlichen Flüssigkeitszufuhr, welcher ein schnelles Sterben ermöglicht, medizinisch und pflegerisch zu beachten? Diese Fragen sollen in Folge reflektiert werden.
Früher wurden für die künstliche Ernährung Sonden durch Mund oder Nase angewandt, Injektionen oder Infusionen in die Vene oder Gaben unter die Haut (subkutan) gegeben. Diese Maßnahmen sind aber für die längerfristige Versorgung mit Kalorien ungeeignet. Ihr Nutzen bestand und besteht weiterhin vor allem in der Versorgung mit Flüssigkeit sowie der Verabreichung von Medikamenten.
Was ist eine PEG-Magensonde?
Ein deutlicher Fortschritt bei langfristig notwendiger künstlicher Ernährung ist mit der Entwicklung der PEG Mitte der 1980er Jahre erreicht worden. PEG, das heißt perkutane endoskopische (enterale) Gastrostomie und gilt als ein relativ kleiner Eingriff: Am ruhig gestellten Patienten wird eine Magenspiegelung durchgeführt. Eine Lichtquelle wird im Magen befindlich an die äußere Bauchwand geführt und durch die Haut sichtbar. Nach einem Hautschnitt wird hier ein Faden durch die Bauchwand in den Magen gebracht, mit der Zange des Gastroskops gefasst und durch die Speiseröhre aus dem Mund befördert. Eine innere Halteplatte wird schließlich mit einer zweiten äußeren Halteplatte verbunden und sorgt für festen Sitz auf der Bauchhaut.
Da jeder Eingriff in den Körper einwilligungspflichtig ist, muss – nach einer ärztlich getroffenen Indikationsstellung – die Einwilligung der Patient_innen oder der dazu berechtigten Vertretungspersonen in Schriftform dokumentiert sein. Werden Angehörige mit dem Hinweis „man kann doch niemanden verhungern lassen“ gedrängt und widerspricht das dem Patientenwillen, ist die Anlage einer PEG-Sonde eine straffällige Körperverletzung.
Wann ist eine Ernährung durch PEG-Sonde indiziert?
Der medizinische Begriff Indikation (synonym auch: Heilanzeige) bezeichnet, welche Behandlungsmaßnahme bei einem bestimmten Krankheitsbild unter Berücksichtigung des Gesamtzustandes der Patient_innen angebracht ist und zum Einsatz kommen sollte. Jedenfalls muss sich für sie aus einer medizinischen Indikation ein Wohl, ein Nutzen oder Vorteil ergeben. Ein geplant kurzfristiger Einsatz macht Entscheidungen leichter, eine dauerhafte Anlage ist sehr genau zu überdenken. Berechtigende medizinische Indikationen sind:
- Mechanisch bedingte Schluckstörungen (z. B. Verengung des Rachens oder der Speiseröhre durch Tumore, Vernarbungen nach Verätzungen)
- Neurogene Schluckstörungen etwa nach Schlaganfall mit Gefahr einer Lungenentzündung durch Fremdkörper in den Bronchien und Lunge (sogenannte Aspirationspneumonie)
- Koma nach schweren Schädel-Hirntraumen
- Schwere Mangelernährung bei Appetitstörung zum Beispiel durch Krebserkrankung
Wann muss, soll oder darf auf eine PEG-Magensonde verzichtet werden?
Es bestehen viele Gründe zum Therapieverzicht/- verbot und -abbruch bezüglich einer PEG-Sondenernährung:
Der Patient oder die Patientin
- hat in geistig bewusstem Zustand oder durch eine Patientenverfügung diese Maßnahme abgelehnt – trotz dringender, das heißt absoluter ärztlicher Indikation zur künstlichen Ernährung darf dann die PEG nicht angelegt werden
- kann in ausreichendem Maße essen und trinken oder gefüttert werden (Anreichung zum Mund). Unzureichende Pflegekapazität bedeutet keine Indikation!
- befindet sich in einem Zustand, in dem qualvolles Dasein ohne Aussicht auf Besserung und/oder bei schwerer Kommunikationsstörung (wie Demenz) nur verlängert würde. Dann besteht keine Indikation mehr!
- befindet sich unumkehrbar in einem bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Sterbeprozess. Dann ist keine oder äußerst selten eine noch schwache Indikation gegeben.
Eine PEG bringt erhebliche Belastungen mit sich. Künstliche Ernährung wird niemals den von der Natur trefflich eingerichteten Verdauungsvorgang nachahmen können. Der physiologisch optimal eingerichtete Ablauf entfällt, der mit dem Anblick und der Wahrnehmung von Düften beginnt – so wird die Speichelbildung angeregt und die Bereitstellung von Magensaft und den notwendigen Enzymen begonnen. Dies unterbleibt bei künstlicher Ernährung, womit sich die Häufigkeit von Magen-Darmbeschwerden wie Übelkeit, Verstopfung oder Durchfall erklärt. Die Zusammensetzung der Nährlösung versucht hier Abhilfe zu schaffen, ohne die Komplikationsrate deutlich zu senken.
Flüssigkeitsgaben haben größere Mengen von Stuhl und Urin zur Folge, das erhöht den pflegerischen Aufwand und mehrt Krankheitsrisiken mit der Gefahr des Durchliegens (Dekubitus). Und vermehrter Bronchialschleim birgt Risiken für entzündliche Veränderungen in den Atemwegen bis hin zu Lungenentzündungen.
Die geschätzten Häufigkeiten
Die Häufigkeit erheblicher Langzeitkomplikationen und Schädigungen wird inzwischen bei 30 bis 70 Prozent der künstlich ernährten Patienten angegeben. Nur 30 Prozent der über eine PEG-Ernährten sind normgewichtig. Eine Vielzahl von Untersuchungen und Studien erbrachten das Ergebnis, dass die Lebensqualität gemindert wird bei verkürzter Lebenserwartung! Die PEG ist also keine optimale Lösung. In allen Fällen ist eine klare Abwägung der Vor- und Nachteile vonnöten. Es ist sehr sinnvoll, die künstliche Ernährung – besonders für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit – zunächst auf einige Wochen oder höchstens Monate zu begrenzen, so dass der Zeitpunkt der Überprüfung definitiv vorgegeben ist.
Über die PEG-Sonde können den Patienten_innen Flüssigkeit, speziell zubereitete Kost und industriell gefertigte Sondennahrung sowie Medikamente zugeführt werden. Monatliche Kosten der Nährflüssigkeit sind grob geschätzt zurzeit mit 400 € pro Monat errechenbar. Die zu bevorzugenden Ernährungsmittel, die von den verordnungsfähigen Standardprodukten abweichen, sind von der Krankenkassenerstattung ausgeschlossen und müssen von den Patienten_innen selbst getragen werden.
Daten über Häufigkeit von PEG-Sonden beruhen auf unterschiedlichen, nicht sehr aktuellen Schätzungen: In Deutschland werden etwa 150.000 PEG-Sonden jährlich gelegt, Tendenz steigend. Betroffen sind zu 65 Prozent ältere Menschen, davon sind schätzungsweise 30 bis 50 Prozent psychisch oder dementiell erkrankt. Insbesondere für diese Patientengruppe wird der Nutzen der Ernährungssonde heute infrage gestellt. In vielen Untersuchungen wurde festgestellt, dass bei schwerer Erkrankung Füttern im Vergleich zu künstlicher Ernährung mindestens gleichwertig in der Lebenserwartung eine deutlich bessere Lebensqualität bringt. Schätzungen besagen, dass 70 Prozent aller PEG nicht (häufiger nicht mehr) auf einer Indikation beruhen, sie haben also keine rechtliche Grundlage. Ein Abbruch künstlicher Ernährung ist zwingend geboten, identisch zu einem Verbot, das in einer Patientenverfügung festgeschrieben ist.
Wann und wie ist eine nicht gerechtfertigte Therapie abzubrechen?
Wenn eine PEG-Sonde bei einwilligungsunfähigen Patient_innen angelegt ist, muss die Indikation weiterer Gabe von Kalorien und Flüssigkeit in Abständen überprüft werden. Ist ein_e Patient_in zur selbstständigen Essenseinnahme nicht mehr in der Lage, kann nach überwiegender Einschätzung von Palliativmedizinern die Kalorienzufuhr beendet werden. Im angloamerikanischen Raum heißt dies Vorgehen, „spoon to the mouth“. Das bedeutet, akzeptiert ein_e Patient_in das gereichte Essen, soll weiter so verfahren werden. Ist das nicht möglich, dürfen Speisen nicht aufgedrängt werden. Drangsalieren („Sie müssen jetzt aber essen“) ist fehl am Platz.
Bei nicht mehr gegebener Indikation hat der Abbruch von künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr bei völliger Umstellung auf nur noch palliative, das heißt lindernde Maßnahmen zu erfolgen. Zunächst ist nach den individuellen Gegebenheiten die Medikation zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Bei erkennbarem Bestehen von Unruhe, Schmerzen, Übelkeit oder anderen Beschwernissen können in gebotenem Umfang Medikamente eingesetzt werden. Opiate mit den wundervollen Wirkungen des Schlafmohnes sind hier – mittels unterschiedlicher Applikationsformen angebracht. Besonders günstig sind subkutane Injektionen. Beruhigungsmittel, etwa Valium-Verwandte, sollen in ausreichendem Umfang eingesetzt werden. Beide Medikamentengruppen, nach den Regeln der ärztlichen Kunst angewandt, haben in aller Regel keine Lebensverkürzung zur Folge und eine indirekte dürfte ansonsten in Kauf genommen werden. Selbstverständlich sind weiter optimale Pflege und psychische Begleitung unbedingt erforderlich.
Eine Nahrungsverweigerung wird von der Umgebung häufig als beunruhigend empfunden und kann sogar Schuldgefühle auslösen. Als Grund, Flüssigkeit zu geben, wird häufig angeführt, „man kann einen Menschen nicht verdursten lassen“. Das ist falsch! Angst vor Verdursten ist nicht gerechtfertigt. Verhungern und Verdursten sind definiert: aus erlittenem Mangel ungewollt und unter Qualen das Leben verlieren zu müssen. Im Sterbeprozess bei eingestellter oder zumindest nachlassender Flüssigkeitszufuhr gönnt die Natur durch hormonelle Umstellungen und Änderungen im Stoffwechsel einen Zustand gedämpften Bewusstseins, Angstlösung, verminderte Schmerzempfindlichkeit und erhöhte Schlafbereitschaft – für den Sterbeprozess eine gewollte Entwicklung. Ein Durstgefühl ist dann ausschließlich über mangelnde Feuchtigkeit der Mundschleimhaut vermittelt und durch optimale Mundpflege zu verhindern.
Mittel dazu sind:
- 2 Sprayfläschchen für klares Wasser und künstlichen Speichel als Spray oder Gel oder Wasserzerstäuber
- Gaze zum Einwickeln von Eis
- Eiswürfelbehälter, um beliebige Flüssigkeiten im Tiefkühlfach herzustellen,
- Wattestäbchen mit Glycerin
- weiche Zahnbürste
- Labello zur Mund- und Lippenpflege
Die Entscheidung, keine Flüssigkeit mehr zuzuführen, bedeutet eine Erleichterung und deutliche Beschleunigung des Sterbevorgangs. Dies ist passive Sterbehilfe, die erlaubt und dem Patientenwillen gemäß geboten ist. Wer dies für sich wünscht, sollte unter der Voraussetzung eines beginnenden Sterbeprozesses eine Patientenverfügung wählen mit der Option, dass keine Flüssigkeit mehr zugeführt werden darf.
Der Tod tritt dann meist friedlich im Schlaf ein.
Video eines Vortrags von Hartmut Klähn bei einer Urania-Veranstaltung vom 26. März 2018: