Auch im Bundestag Patientenverfügungen sorgen erneut für Diskussion
I N H A L T :
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Anhörung im Gesundheitsausschuss (21.9.2015)
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Irreführendes zu Patientenverfügungen
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Stellungnahme des Humanistischen Verbandes zum vorgesehenen Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung
1. Anhörung im Gesundheitsausschuss mit Frage an Humanistischen Verband
Das Gesetz zur Verbesserungen der Palliativ- und Hospizversorgung war am heutigen Montag Thema einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Bislang gibt Deutschland pro Jahr rund 400 Millionen Euro für diesen Bereich aus, der v.a. im Sozialgesetzbucn (SGB) V und XI geregelt ist. Bereits im Juni hatte das Parlament in Erster Lesung über den Gesetzentwurf beraten, der 200 Millionen Euro zusätzlich vorsieht, unter anderem für die bessere Finanzierung von Hospizen, Hospizdiensten und der Allgemeinen Palliativversorgung. Für die Pflegeheimbewohner_innen, die als Verlierer der Reform gelten können, soll es als neue Leistung lediglich eine krankenkassenfinanzierte Beratung zur Versorgungsplanung” geben. Die anwesenden Fachleute regten zahlreiche Nachbesserungen an. Das zwischen den Bundestagsfraktionen prinzipiell unumstrittene Gesetz soll 2016 in Kraft treten.
Zur Anhörung und Stellungnahme war auch der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) eingeladen und sollte antworten auf folgende Fragestellung, welche den § 139g SGB V (neu) Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase betrifft:
Abgeordnetenfrage an HVD:
Ihr Verband verfügt über langjährige Erfahrungen in der Beratung zu und im Umgang mit Patientenverfügungen. Wie beurteilen Sie vor diesem Erfahrungshorizont die Gesetzesvorschläge zur Einführung einer Versorgungsplanung am Lebensende und wie können die Patienten- und Bewohnerrechte in dieser Planung gestärkt werden?
Auszug aus der mündlichen Anwort der HVD-Vertreterin des HVD, Gita Neumann (sinngemäß, Wortprotokoll wird noch auf der Seite des Bundestages veröffentlicht):
“Vorsorgeplanug in den Pflegeeinrichtungen muss sich einerseits im Sinne von Advance Care Planning und anderseits als Teil der palliativen Geriatrie verstehen. Letztere ist ein paradigmatisches Beispiel für mein Lieblingsthema, dass nämlich starre Grenzen zwischen kurativer und palliativer Medizin der Vergangenheit angehören. Sie geraten bei chronisch kranken Menschen ins Schwimmen, i.d.R. am Lebensende mehr hin zur palliativ-hospizlichen Option. Aber das muss nicht bei jedem Menschen so sein. Zutreffend wird im Absatz 2 § 139g bei Notfallentscheidungen auch von Rettungsdiensten und Krankenhauseinlieferungen ausgegangen, was z. B. eine Reanimation und eine intensivmedizinische Beatmung einschließt. Jedenfalls muss die Beratung zu Vorstellungen des Betroffenen über Ausmaß, Intensität und Grenzen einer Behandlung eine absolute Wertneutralität im Sinne der Selbstbestimmungsrechte der Bewohner_innen garantieren.
Mit der krankenkassenfinanzierten Versorgungsplanung in Pflegeheimen wird Neuland betreten und einen Bezug zum Betreuungsrechts zugrunde zu legen ist unverzichtbar. In diesem Sinne ist der Adressatenkreis für die vorgesehene Beratung in Absatz 1 unbedingt zu erweitern auf Betreuer oder Gesundheitsbevollmächtigt im Falle der Nicht-mehr-Ansprechbarkeit des Betroffenen – hierbei wird es sich wahrscheinlich sogar um die größte Gruppe handeln, die um Versorgungsplanung nachsucht. Dazu sind bestehende Patientenverfügungen und/oder Instrumente zur Ermittlung des Patientenwillen hinzuzuziehen. Gemäß Betreuungsrecht gelten Vorgaben zur Ermittlung und verbindlichen Geldtendmachung des Patientenwillens im medizinischen Entscheidungsfall bekanntlich unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung. In der Überschrift des neuen § 139g SGB V ist deshalb die Einschränkung auf das Lebensende zu erweitern. Wir schlagen vor, hier den Begriff in krisenhaften Situationen zu ergänzen . Eine Einbeziehung des behandelnden Arztes ist mehr als wünschenswert. Eine obligatorische Einbeziehung in die Beratung, wie der Gesetzentwurf vorgibt, ist jedoch abzulehnen.”
2. Irreführendes zum angeblichen Scheitern von Patientenverfügungen
Die medial verbreitete Aussage “Die traditionelle Patientenverfügung muss als gescheitert gelten” wies Gita Neumann am Rande der Gesundheitsausschuss-Anhörung als völlig überzogen und kontraproduktiv zurück. Sie stammt von Jürgen in der Schmitten vom Institut für Allgemeinmedizin der Universität Düsseldorf. Dieser setzt zusammen mit dem Münchner Medizinethiker Georg Marckmann auf ein anderes Vorgehen, womit Menschen kontinuierlich über ihre Wünsche am Lebensende befragt werden sollen: Auf Advance Care Planning, was so viel bedeutet wie eine lebenslang währende gesundheitliche Vorausplanung.
Ein gutes Verfahren im Pflegeheim, so hatte auch Neumann heute im Gesundheitsausschuss (s.o.) vorgetragen. Dabei hat der Humanistische Verband bereits über 20 jährige Praxiserfahrung mit der regelmäßigen Anpassung und Aktualisierung von bestehenden Patientenverfügungen. Dieser Prozess kann durchaus am Ende, v.a. wenn die Betroffenen im Pflegeheim sind, in die Abfassung eines Notfallbogens münden. Der von Marckmann und in der Schmitten vorgestellte Ansatz ist also gar nichts Neues, wie die Autoren gern glauben machen, sagt Neumann. Auch die von ihnen eingeforderten persönlichen Abwägungen oder Festlegungen zu verschiedenen Stadien einer Demenz würden in einer maßgeschneiderten Optimalen Patientenverfügung des HVD schon seit eh und je berücksichtigt. Selbst in den sogenannten “Standard-Patientenverfügungen” des HVD gibt es solche Ansätze zur Differenzierung.
Bei aller Übereinstimmung, so Neumann, muss etwas befremdlich erscheinen, dass die Materialien und Fortbildungskonzepte der beiden Wissenschaftler als Warenzeichen beizeiten begleiten eingetragen wurden – und dass eben so dreist das Scheitern aller anderen Ansätze behauptet wird.
Leider gibt es auch von Rechtsanwälten und Notaren immer wieder Fehlinformationen zu Patientenverfügungen und neuerdings werden auch wieder grundsätzliche Vorbehalte laut, die eigentlich überwunden schienen.
Um einiges richtig zu stellen, war Gita Neumann (Zentralstelle Patientenverfügung des HVD) auf der diesjährigen 19. Jahrestagung der Betreuungsbehörden /-stellen zu einem Vortrag eingeladen. Beitrag siehe hier (der unterste Beitrag auf der Seite)
3. Auszug aus der Stellungnahme des Humanistischen Verbandes zum vorgesehenen Gesetz zur Hospiz- und Palliativversorgung:
… Welche Patientengruppen sollen von den Neuerungen profitieren und welche bleiben, wie bisher, außen vor, etwa weil sie noch eine zu lange Lebenserwartung haben? Soll es weiterhin im Kern nur einen Anspruch von Sterbenden bzw. unheilbar Todkranken auf Palliative Care geben? Dessen Ziele sind Beschwerdelinderung, menschliche Zuwendung und Fürsorge müsste dies nicht allgemein und insbesondere auch in der Altenpflege und -medizin gelten? In einer demokratischen Gesellschaft sollte zumindest ein Problembewusstsein dafür zu erkennen sein, dass alle Patient_innen mit entsprechenden Leiden das gleiche Recht auf eine angemessene Behandlung haben weiter: http://www.bundestag.de/blob/387946/a26ad39105bc2dca19f70a9d8bb3e3bc/humanistischer-verband-deutschlands-–bundesverband-data.pdf
Liste aller eingeladenen Organisationen / Körperschaften: http://www.bundestag.de/blob/387026/de5b7dcf24dd3d680d76ef73a108320b/sachverstaendige-data.pdf
Liste der von diesen eingegangenen Stellungnahmen: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a14/anhoerungen/stellungnahmen_inhalt/387370